Korrespondentin statt Chemikerin
Nach einem Auslandsjahr in Frankreich studierte Claudia Buckenmaier Politik und Germanistik in Tübingen und in Frankfurt am Main. Die gebürtige Baden-Württembergerin kam 1992 zum NDR und absolvierte dort ihr Volontariat. Im Anschluss arbeitete sie in der Auslandsredaktion mit vielen Einsätzen in den ARD-Studios weltweit. 1999 wechselte sie dann ins Hauptstadtstudio Berlin. Von 2007 bis 2012 war Buckenmaier Studioleiterin im ARD-Studio in Stockholm. Nach ihrer Rückkehr aus Schweden leitete sie fünf Jahre die Auslandsredaktion des NDR in Hamburg. Seit Juli 2017 ist sie Korrespondentin im ARD-Studio in Washington D.C.
Auf Twitter können Sie Claudia Buckenmaier folgen unter: @CBuckenmaier.
Frau Buckenmaier, was hat Sie bis jetzt in Ihrer Korrespondenten-Wahlheimat am meisten beeindruckt?
Claudia Buckenmaier: Der wunderschöne, warme Sommer. Nach fünf Jahren in Skandinavien und weiteren fünf Jahren in Hamburg war es einfach schön, im Juli und im August morgens aufzuwachen und zu wissen, wieder einer dieser herrlichen warmen Tage, an denen ich mir keine Gedanken über Strümpfe oder Jacken machen muss.
Was hat Sie am meisten schockiert?
Buckenmaier: Im Alltag, auch wenn das Wort "schockiert" da etwas zu stark ist, die Fahr-"Künste" der Autofahrer und -fahrerinnen hier in den USA. Wenn auf dem Highway ein Fahrer plötzlich und ohne den Blinker zu setzen von rechts über mehrere Spuren nach links rüberzieht, ohne auch nur einmal zu bremsen, weil er links abfahren will, was hier durchaus gängig ist, dann stockt einem schon manchmal kurz der Atem. Auch sonst erscheint einem im Straßenverkehr vieles unberechenbar. Und diese absolute Unberechenbarkeit schockiert mich dann auch immer wieder auf politischer Ebene, wenn der Präsident mal wieder mit einem Tweet einen Mitarbeiter feuert oder kurz davor ist, einem anderen Land den Krieg zu erklären. Im ersten Moment habe ich immer noch den Reflex, das macht er jetzt nicht wirklich, aber Donald Trump tut es, und er schafft es auch, jedes Mal noch eins draufzusetzen.
Welche Geschichte wollen Sie unbedingt in Ihrer Zeit als Korrespondentin erzählen?
Buckenmaier: Es gibt nicht das eine große Thema. Ich will Geschichten erzählen, die die Menschen berühren, die ihr Interesse für ein anderes Land, eine andere Kultur, eine andere Denkweise wecken, die andere, aber auch einen selbst ins Nachdenken bringen, die nicht den Klischees entsprechen, die sich doch viele von einem Land machen.
Was ist die größte Herausforderung für die Zusammenarbeit mit den Redaktionen in Deutschland?
Buckenmaier: Sie davon zu überzeugen, dass eine Geschichte unbedingt erzählenswert ist - gerade Geschichten, die jenseits der Schlagzeilen-Aktualität liegen.
Was haben Sie bei jeder Drehreise dabei?
Buckenmaier: Vor allem mein berufliches Rüstzeug: Laptop, Handy mit zusätzlichem Akku, falls mal wieder keine Steckdose in der Nähe ist, einen "Ohrwurm" für mögliche Schaltgespräche und Puder fürs Gesicht. Und auf alle Fälle etwas zum Lesen fürs Flugzeug, besonders gerne einen Roman und nicht nur Fachliteratur.
Was war bisher die größte Panne, die Ihnen widerfahren ist?
Buckenmaier: Es sind kleine Pannen, die einem wohl selbst am intensivsten in Erinnerung bleiben, oft vielleicht sogar für andere kaum wahrnehmbar. Wenn einem beim Live-Aufsager in der 20 Uhr-Tagesschau plötzlich der inhaltliche Faden wegrutscht und man sich einfach nur noch zum Ende rettet und denkt, man hätte sich jetzt vor Millionen Zuschauern blamiert. Eine Panne, die ich selbst gar nicht gemerkt habe, ist mir in Island passiert, als ich tagelang live vom Vulkanausbruch des Eyjafjalljökull berichtete. Nein, es war kein Versprecher bei diesem für viele so unaussprechlichen Namen. Ein isländischer Kollege hatte mit mir geübt. Das kann ich bis heute wie im Schlaf. Aber in einer Schalte mit dem Schweizer Fernsehen muss ich statt von betroffenen Touristen von Terroristen gesprochen haben. Ich selbst hab es nicht gehört, nicht gemerkt. Vielleicht habe ich auch nur undeutlich gesprochen, aber danach ging ein Shitstorm im Internet nieder, als ob ich das mit voller Absicht gesagt hätte. Das war in höchstem Maße unangenehm. Vor allem tat es mir für die Sendung leid, dass ich sie durch eine Unachtsamkeit, die mir hätte nicht passieren dürfen, mit in diesen Shitstorm hineingezogen habe.
Mussten Sie aus Höflichkeit bei einer Drehreise schon mal Merkwürdiges essen oder trinken?
Buckenmaier: Hier in den USA bisher noch nicht, wobei hier manchmal der Hang zu besonders fettigem Fastfood schon auch unter Merkwürdigkeiten fällt. Aber früher bei Dreharbeiten in China oder während eines Praktikums auf den Philippinen gab es das ein oder andere kulinarisch Zweifelhafte, aber in der Regel versuche ich, alles zu probieren, auch weil es ja immer mit Gastfreundschaft verbunden ist. Wenn es gar nicht geht, dann muss man eben eine glaubhafte und respektvolle Ausrede finden.
Welcher ist Ihr Lieblingsplatz in Washington?
Buckenmaier: Noch habe ich DEN Lieblingsplatz nicht gefunden, es sind viele Plätze, die mir gefallen. Ich liebe schöne Plätze am Wasser, in Georgetown, wo das ARD-Studio liegt, unten am Potomac oder in Washington Harbour das kleine Lokal auf dem Fluss, von wo man einen perfekten Blick auf den Sonnenuntergang und die landenden Flugzeuge auf dem Ronald Reagan Airport hat.
Wie sieht für Sie ein perfekter Sonntag aus?
Buckenmaier: Gemütlich mit Kaffee an einem warmen Tag vor dem Haus die "Washington Post" und die "New York Times" lesen, dann auf einem der Farmers Märkte einkaufen, auf denen es richtig gutes Gemüse und Obst oder auch frischen Ziegenkäse gibt. Und dann rausfahren, neue Ecken rund um Washington entdecken, sich treiben lassen. Es gibt hier unglaublich viele tolle Ausflugsziele und wunderschöne Natur. Einmal ist uns bereits ein Bär über den Weg gelaufen. Also einfach die Augen und alle anderen Sinne offen halten.
Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Heimat?
Buckenmaier: Auch wenn das ein Klischee ist und wohl für viele andere Länder gilt, es bleibt trotzdem wahr: Brot. Vor allem Brot ohne Geschmackszusätze und ohne Zucker. Und generell die kleinen Geschäfte. Große Shopping Malls und überdimensionierte Supermärkte waren noch nie mein liebster Einkaufsort, und hier sind sie noch größer als überall sonst. Was ich auch vermisse, dass nicht jeder Innenraum auf Kühlschranktemperatur heruntergekühlt ist. Gemütliches Sitzen in einem netten Restaurant mit Gänsehaut ist halt nicht so einfach.
Was macht für Sie den Beruf der Auslandkorrespondentin so besonders?
Buckenmaier: Die Chance, Menschen näher zu kommen, etwas aus ihrem Leben mitzubekommen, unendlich viele Erfahrungen sammeln zu können, immer wieder zu Gast zu sein, obwohl man selbst beruflich bedingt immer ein bisschen ein Eindringling ist. Es ist ein Beruf, der nie zur Routine wird, es auch gar nicht werden kann.
Wenn Sie nicht Korrespondentin geworden wären, dann wären sie ...?
Buckenmaier: Lebensmittelchemikerin. Hört sich überraschend an? In meiner Schulzeit war alles, was mit Chemie zu tun hatte, meine zweite Leidenschaft. Ich hatte damals tatsächlich überlegt, mich für einen Studienplatz zu bewerben, aber da war dann doch der Hang zum Journalismus stärker.
Augen auf bei der Berufswahl: Was raten Sie jungen Kollegen/innen, die am Anfang ihrer Karriere stehen und die es als Korrespondent ins Ausland zieht?
Buckenmaier: Das Handwerk lernen! Warum nicht im Lokaljournalismus? Das ist eine so wichtige Form des Journalismus. Lokalpolitik hat einen ganz unmittelbaren Einfluss auf die Menschen. Und deshalb ist an dieser Stelle guter Journalismus wichtig. Außerdem lässt sich dort all das lernen, was man auch als Auslandskorrespondent benötigt. Ich kenne kaum jemanden, der auf direktem Weg aus dem Ausland berichtet hat, ohne andere berufliche Stationen vorher.
Haben Sie ein spezielles Ritual zum Abschalten, beispielswiese nach einer anstrengenden Berichterstattung oder bei Themen, die einem persönlich unter die Haut gehen? Wie schafft man es, diese Dinge nicht allzu sehr an sich heranzulassen?
Buckenmaier: Ein spezielles Ritual hab ich nicht, aber ich finde es sehr wichtig, über das Erlebte zu reden, mit dem Team, das ähnliche Erfahrungen gemacht hat, mit der Familie, den Freunden. Nichts in sich reinfressen. Das war besonders wichtig, als ich in Norwegen über das Leid berichtet habe, das die schrecklichen Verbrechen von Anders Breivik über so viele Familien gebracht haben. Manchmal war es kaum noch auszuhalten. Ich weiß noch, wie ich einen Abend nach dem letzten Beitrag durch die Straßen von Oslo gelaufen bin und in einer Kirche ein Kerzenmeer für die Opfer sah. Diese Ruhe und die Gemeinsamkeit mit all den anderen Menschen, die sich wie ich von diesem Licht haben anziehen lassen, war sehr wohltuend.