"Viele Russen sind der Staatspropaganda verfallen"
Mitten in den Ukraine-Krise kam Birgit Virnich als ARD-Korrespondentin nach Moskau. Das war im August 2014 und der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ist nach wie vor einer der Schwerpunkte ihrer Arbeit. Darüber hinaus findet sie innerhalb ihres Berichtsgebietes vom Polarkreis bis nach Mittelasien viele Geschichten auch außerhalb der politischen Bühne.
Auf Twitter können Sie Birgit Virnich folgen unter: @birgitvirnich.
Was hat Sie bis jetzt in Ihrer Korrespondenten-Wahlheimat am meisten beeindruckt?
Birgit Virnich: Der Mut der russischen Soldatenmütter. Trotz massiver Einschüchterungsversuche beharren sie weiterhin auf Antworten auf ihre Fragen nach dem Verbleib junger russischer Soldaten. Außerdem die ukrainische Pilotin Nadjscheda Sawtschenko. Sie lässt sich auch von den fürchterlichen Haftbedingungen in Russland nicht mürbe machen und kämpft aus ihrer Zelle weiterhin stolz für ihr Land.
Was hat Sie am meisten schockiert?
Virnich: Dass so viele Russen der Staatspropaganda verfallen sind und sich dieses Land so schnell verändert hat. Die Weltoffenheit, die ich noch vor eineinhalb Jahren gespürt habe, ist mittlerweile wie verflogen. "Durch die staatliche Propaganda aufgeheizt sind einige Bürger bereit, andere zu hassen und sogar zu töten, nur weil sie nicht mit der Politik der Regierung einverstanden sind," schreibt Lew Schlossberg, ein mutiger Journalist und Abgeordneter über dieses Klima des Hasses.
Welche Geschichte wollen Sie unbedingt in Ihrer Zeit als Korrespondentin erzählen?
Virnich: Die Geschichte von Russlands Oligarchen, die sich leider zurückhalten, wenn es um Kritik an der russischen Führung geht. Viele sind aber der Überzeugung, dass Putin die guten Wirtschaftsjahre für Reformen hätte nutzen müssen, um die Wirtschaft aufzubauen.
Was ist die größte Herausforderung für die Zusammenarbeit mit den Redaktionen in Deutschland?
Virnich: Themen mit Nachhaltigkeit über einen längeren Zeitraum zu beleuchten. Das ist wichtig, gerade in Russland, wo man die Wucht der vielen einzelnen Gesetze gegen NGO`s (Anmerk. d. Red.: Nicht-Regierungs-Organisationen) und die Presse nur begreift, wenn man das Thema über einen längeren Zeitraum verfolgt. Die einzelnen Gesetze sind zu kleinteilig, als dass man deren Wirkung in der aktuellen Berichterstattung allein vermitteln könnte.
Was haben Sie bei jeder Drehreise dabei?
Virnich: Eine Kladde, in die ich meine Beobachtungen und Geschichten schreibe. Unverzichtbar beim Texten.
Was war bisher die größte Panne, die Ihnen widerfahren ist?
Virnich: Als ich am Rosenmontag 2014 ganz kurzfristig zur Studiovertretung nach Moskau fliegen wollte, saßen in Köln ein paar Betrunkene auf den Eisenbahnschienen, so dass der Zug nach Frankfurt nicht fuhr. So konnte ich erst ganz früh am nächsten Morgen fliegen und war genau 30 Minuten im Studio Moskau, als Präsident Putin seine erste Pressekonferenz zur Ukraine-Krise gab. Ich hatte also keine Zeit drüber nachzudenken, ob ich die vielen Schalten und Stücke schaffen würde, ich habe sie einfach gemacht. Werde ich nie vergessen.
Mussten Sie aus Höflichkeit bei einer Drehreise schon mal Merkwürdiges essen oder trinken?
Virnich: Man hatte mich davor gewarnt, dass ich Unmengen an Wodka trinken müsse. Bisher bin ich eher in den Genuss kulinarischer Highlights gekommen, beispielsweise in Georgien, wo nicht nur das Essen und der Wein großartig sind, sondern auch die Trinksprüche.
Was ist Ihr Lieblingsplatz in Moskau?
Virnich: Die urbanen Oasen, in denen man das andere Moskau erlebt: der Gorki Park, der eher dem Central Park gleicht, das alte Industriegelände Winzavod und die Fabrik "Roter Oktober", wo sich junge Designer niedergelassen haben.
Wie sieht für Sie ein perfekter Sonntag aus?
Virnich: Im Winter: Schlittschuhlaufen quer durch den Gorki Park, dann genüsslich im Café lesen und abends Kultur.
Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Heimat?
Virnich: Mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Aber es entstehen immer mehr Fahrradwege in Moskau.