"Wie tickt die finnische Seele?"
Clas Oliver Richter ist seit 2012 ARD-Korrespondent in Stockholm und berichtet aus acht Ländern Skandinaviens. Von Grönland bis Estland, vom Nordkap bis Kopenhagen erzählen er und sein Team Geschichten zwischen Eis, Elchen und EU-Politik. Aufzuräumen mit den typischen Klischees über die Länder des Nordens - das betrachtet Richter als Herausforderung. Die spektakuläre Natur fasziniert ihn auch nach Jahren dort immer wieder.
Auf Twitter können Sie Clas Oliver Richter folgen unter: @ARD_Stockholm.
Was hat Sie bis jetzt in Ihrer Korrespondenten-Wahlheimat am meisten beeindruckt?
Clas Oliver Richter: Wer in den Norden kommt, staunt als erstes über die gigantischen Landschaften, die jeden, der mit offenen Augen unterwegs ist, faszinieren. Das gilt für Island mit seiner "Mondlandschaft" genauso wie für die norwegischen Küsten oder das schwedische Mittelgebirge. Wir können in unseren Reportagen nur selten mit exotischen Eindrücken dienen, aber unsere Geschichten erzählen wir am liebsten mit großen Panorama-Bildern, die unsere Zuschauer in die Weite der Landschaften mitnehmen und die mich jedes Mal wieder aufs Neue erst einmal sprachlos machen.
Was hat Sie am meisten schockiert?
Richter: Die Ereignisse in der Ukraine haben auch Konsequenzen für das Baltikum und damit für unsere Berichterstattung. Vor allem in Lettland und in Estland leben viele Russen. Bei jeder unserer Drehreisen bin ich überrascht und auch ein wenig bestürzt, dass die Bevölkerungsgruppen weiterhin unter sich bleiben, dass zum Beispiel Esten das estnische Fernsehen schauen, dass aber vor allem die Russen sich konsequent über russische Medien informieren. Es scheint, als ob es in allen baltischen Ländern nur sehr langsam gelingt, die unsichtbaren und gewachsenen Barrieren zwischen der russisch-stämmigen Bevölkerungsschicht und Esten, Letten und Litauern zu überwinden. Und schockiert bin ich, wenn ich mir vorstelle, wie es zu diesem Nebeneinander gekommen sein muss. Das gegenseitige Misstrauen sitzt häufig so tief, das macht mir zuweilen Angst.
Welche Geschichte wollen Sie unbedingt in Ihrer Zeit als Korrespondent erzählen?
Richter: Eines der großen Geheimnisse für uns bleibt die finnische Seele. Auf der einen Seite erleben wir die Finnen auf unseren Drehreisen als ruhige, wortkarge und zurückhaltende Zeitgenossen. Auf der anderen Seite sind skurile Veranstaltungen wie zum Beispiel die Luftgitarren-Weltmeisterschaft, die WM im Ehefrauen-Tragen und im Schlammfußball nun einmal finnische Erfindungen. Also, wie tickt die finnische Seele? Hinter dieses Mysterium möchte ich in einer Reportage kommen.
Was ist die größte Herausforderung für die Zusammenarbeit mit den Redaktionen in Deutschland?
Richter: Die Länder aus unserem Berichtsgebiet sind den Zuschauern und den Redaktionen in Deutschland bekannt. Jeder und jede hat eine Vorstellung von Schweden, von Dänemark oder von Norwegen. Und jeder hat Klischees im Kopf. In den Gesprächen mit den Redaktionen in Deutschland spielen diese Klischees immer eine Rolle und wir müssen immer wieder Überzeugungsarbeit leisten, wenn unsere Eindrücke vor Ort so gar nichts mit den Klischees in Deutschland zu tun haben.
Was haben Sie bei jeder Drehreise dabei?
Richter: Ganz wichtig für Drehreisen am Wasser (und Wasser gibt es fast überall): Nie ohne Badehose reisen! Und ab Oktober immer wärmende Outdoor-Unterwäsche einpacken. Nichts quält mehr, als ein langer Drehtag bei Minus 15 Grad ohne lange Unterhosen.
Was war bisher die größte Panne, die Ihnen widerfahren ist?
Richter: Wahrscheinlich treten wir permanent in Fettnäpfchen, weil es schwierig ist, die ungeschriebenen Gesetze schwedischer Etikette zu erkennen und sie dann auch zu beherzigen. Konflikte werden hierzulande nämlich am liebsten gar nicht ausgetragen, sondern gerne einfach vergessen. Klartext redet man am besten nur in ganz homöopathischen Dosen und bitte nie laut oder fordernd! Deutsche Journalisten fallen da zuweilen auf und ernten verständnislose Reaktionen, wenn zum Beispiel eine Interview-Absage nicht ohne Weiteres hingenommen wird.
Mussten Sie aus Höflichkeit bei einer Drehreise schon mal Merkwürdiges essen oder trinken?
Richter: Wer in Schweden lebt und arbeitet macht irgendwann Bekanntschaft mit dem sogenannten "Stinkefisch", dem Surströmming. Hering, der in Salzlake eingelegt wird, durch Säuerung konserviert und am Ende fürchterlich faulig riecht. Surströmming wird in Konservendosen verpackt. Der Druck von innen wird irgendwann so stark, dass sich die Dosen nach außen wölben, als würden sie platzen. Ab dem dritten Donnerstag im August wird der "Stinkefisch" offiziell verkauft. Zumeist wird Surströmming mit Milch gereicht, das macht die Sache aber auch nicht besser.
Was sind Ihre Lieblingsplätze in Stockholm?
Richter: Stockholms Wasserseite gehört zu den schönsten Orten, die ich kenne. Am Ufer flanieren, auf einen Kaffee in eine der vielen Bars einkehren, im Hintergrund die malerische Kulisse der Altstadt: für mich der Lieblingsplatz in einer großartigen Stadt.
Wie sieht für Sie ein perfekter Sonntag aus?
Richter: Der Sonntag in Schweden ist für Sport und Einkaufen reserviert. Alle großen Geschäfte haben geöffnet, ab 10 Uhr frönen die Schweden dem Volkssport "Shopping". Spätestens um 10.30 Uhr sind die Parkplätze vor den großen Shopping-Centern und in den Innenstädten belegt. Mein perfekter Sonntag in unserer Wahlheimat hat nichts mit dem Einkauf zu tun, dafür aber sehr viel mit Sport. Wenn unser Sohn ein Fußballspiel hat, dann gehört es zu unseren liebsten Familien-Beschäftigungen, mit ihm seinen Erfolg oder die Niederlage zu teilen. Und wenn noch Zeit bleibt, sind wir auf den Inseln rund um Stockholm unterwegs, genießen die besondere Landschaft nicht weit entfernt von unserem Wohnort. Auch unsere Tochter, die schon ihre eigenen Teenager-Wochenend-Pläne macht, mag uns dabei noch begleiten. Die Schären beruhigen und entspannen, perfekt für einen erholsamen Sonntag.
Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Heimat?
Richter: Was jetzt kommt, ist ein Klassiker, aber ich kann nichts daran ändern. Auch ich vermisse gutes Graubrot, gerne doppelt gebackenes Warburger Graubrot! Stockholm ist eine Stadt voller Kultur und Lebensart, aber in Sachen Brot bleibt weiterhin Luft nach oben. Und an dunkles schwedisches Brot, das süß (!!!!) schmeckt, will ich mich erst gar nicht gewöhnen!