Im Norden passiert nichts? Von wegen!
Christian Stichler (47) wurde in Karlsruhe geboren. Er hat Politische Wissenschaften, Geschichte, Literatur und Skandinavistik studiert und beim NDR volontiert. 1997 war er zunächst freier Mitarbeiter von Radio Schweden in Stockholm und kam dann als Hörfunkredakteur zurück nach Hamburg zu NDR Info. Seit 2001 war er in unterschiedlichen Redaktionen des NDR Fernsehens tätig und dabei immer wieder auch als Reporter in Skandinavien unterwegs. Am 1. Juli 2018 löste er Clas Oliver Richter als Studioleiter und Fernsehkorrespondent im ARD-Studio Stockholm ab. Sein Berichtsgebiet erstreckt sich von Grönland bis Estland, vom Nordkap bis Litauen und zählt mit insgesamt acht Ländern zu einer der größten Regionen, die ein ARD-Korrespondent zu betreuen hat.
Auf Twitter können Sie Christian Stichler und dem Team des ARD-Studios Stockholm folgen unter: @ARD_Stockholm.
Herr Stichler, was hat Sie bis jetzt in Ihrer Korrespondenten-Wahlheimat am meisten beeindruckt?
Christian Stichler: Die Offenheit, mit der in den skandinavischen und baltischen Ländern den Medien aus dem Ausland begegnet wird. Egal ob ein Jäger in Nordschweden oder ein Start-Up-Unternehmer in Estland: Die Menschen haben Lust, uns ihre Geschichten zu erzählen.
Was hat Sie am meisten schockiert?
Stichler: Schockiert hat mich in dieser Form nichts. Aber sehr eindrücklich waren die Dreharbeiten in den Vorstädten von Stockholm und Malmö. Da gibt es in den Plattenbausiedlungen Parallelwelten, die so gar nichts mit dem Bild von Schweden zu tun haben, das wir Mitteleuropäer gerne pflegen.
Welche Geschichte wollen Sie unbedingt in Ihrer Zeit als Korrespondent erzählen?
Stichler: Geschichten vom Leben in der Einsamkeit - auf einer Insel in den Schären oder einem abgelegenen Hof auf Island, wo die Menschen mit sich und der Natur alleine sind.
Was ist die größte Herausforderung für die Zusammenarbeit mit den Redaktionen in Deutschland?
Stichler: Manchmal herrscht der Eindruck, da oben im Norden passiert doch nichts. Viele andere Ecken dieser Welt sind doch viel interessanter. Aber wenn ich auf die ersten 100 Tage meiner Korrespondententätigkeit zurückblicke, dann haben wir dieses Vorurteil schon kräftig abbauen können.
Was haben Sie bei jeder Drehreise dabei?
Stichler: Die Live-U (Gerät zur Live-Videoverbindung über Mobilfunknetze, Anm. d. Red.) - die gehört an den Mann beziehungsweise die Frau. Damit sind wir in der Lage im Fall der Fälle fast von jedem Ort in unserem Berichtsgebiet live zu senden.
Was war bisher die größte Panne, die Ihnen widerfahren ist?
Stichler: Der Gipfel von Helsinki am 16. Juli: Wir haben für die Tagesthemen ein Stück über die Pressekonferenz von Trump und Putin produziert, aber erst wenige Minuten vor der Sendung erfahren, dass die Tagesthemen an diesem Montag schon um 22:13 Uhr begannen. Kurzum: Es fehlten am Ende nur wenige Sekunden. Aber unser Stück ist nicht rechtzeitig in Hamburg gewesen und so mussten die Tagesthemen den Beitrag aus der Tagesschau senden. Das hat uns alle mächtig gewurmt.
Mussten Sie aus Höflichkeit bei einer Drehreise schon mal Merkwürdiges essen oder trinken?
Stichler: Nicht aus Höflichkeit, sondern aus purem Interesse habe ich bei unserem Dreh für den Weltspiegel auf den Färöer-Inseln vergorenen Fisch gegessen. Der riecht sehr eigentümlich, gilt aber inzwischen selbst bei Feinschmeckern als Spezialität. Aber ich will höflich sein: Zu meiner Leibspeise wird dieser Fisch sicher nicht werden.
Welcher ist Ihr Lieblingsplatz in Stockholm?
Stichler: Einer der Favoriten: die Valhalla-Bageri. Da gibt es die besten Zimtschnecken (Kanelbullar) der Stadt. Dazu einen Becher Kaffee auf die Hand und dann ein Spaziergang über Gärdet, die große freie Fläche im Osten der Stadt. Das ist zu jeder Jahreszeit ein Highlight.
Wie sieht für Sie ein perfekter Sonntag aus?
Stichler: Frühstück mit der Familie und dann mit den wirklich sehr guten schwedischen Sonntagszeitungen ab aufs Sofa. Im Sommer eine Runde Rennradfahren oder Joggen und sich dann etwas selbst kochen. Das schöne in Stockholm: Die meisten Lebensmittelgeschäfte haben auch am Sonntag geöffnet.
Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Heimat?
Stichler: Derzeit noch nichts. Ich war seit Dienstantritt in Stockholm noch nicht wieder auf deutschem Boden und halte es nach wie vor gut aus.
Was macht für Sie den Beruf des Auslandkorrespondenten so besonders?
Stichler: Es ist ein großes Privileg, Einblicke in das Leben fremder Menschen und Länder zu bekommen, die man als normaler Tourist niemals erhalten würde. Und dann ist es das Arbeiten mit einem kleinen, aber sehr feinen Team. Das macht großen Spaß.
Wenn Sie nicht Korrespondent geworden wären, dann wären sie ...?
Stichler: … vermutlich noch im 14. Stock von Haus 11 (sein Arbeitsplatz beim NDR in Hamburg, Anm. d. Red.).
Augen auf bei der Berufswahl: Was raten Sie jungen Kollegen/innen, die am Anfang ihrer Karriere stehen und die es als Korrespondent ins Ausland zieht?
Stichler: Es gibt so viele Möglichkeiten im Ausland zu arbeiten. Stipendium, Praktikum, NGOs etc. Es gibt viele Wege, die einen raus aus der Heimat führen. Der Weg als Fernsehkorrespondent/in ist nur einer - wenn auch ein sehr privilegierter.
Haben Sie ein spezielles Ritual zum Abschalten, beispielswiese nach einer anstrengenden Berichterstattung oder bei Themen, die einem persönlich unter die Haut gehen? Wie schafft man es, diese Dinge nicht allzu sehr an sich heranzulassen?
Stichler: Zum einen sorgen meine drei Kinder dafür, dass ich zuhause meistens nicht allzu lange an den letzten Dreh denken kann oder muss. Zum anderen hilft aber auch ein 10-Kilometer-Lauf am Wasser entlang. Danach ist man wieder bei sich.