Zeitreise: Der Mann in der Todeskugel
von Karl Dahmen
Wenn er in seiner eisernen Kugel saß, zählte er zunächst die einzelnen Stöße von der Bahn. Dann merkte er durch die Geschwindigkeit: Jetzt war er im Looping und dann plötzlich Stille. Da war ihm klar: Er ist im freien Flug durch die Manege, um schließlich im Netz zu landen. Der schönste Augenblick aber war, sagt er, wenn der Deckel abgeschraubt wurde wie bei einer Astronautenkapsel und er aussteigen konnte, gefeiert vom frenetischen Applaus der Zuschauer. In den 1950er- und 60er-Jahren war er eine Attraktion in Zirkussen und Freizeitparks: Don Oscarez und seine Todeskugel. Viel Geld hat er damals verdient und die Herzen der Frauen flogen ihm zu, erinnert sich der 91-Jährige heute noch.
Der Lebenstraum eines Kleinstadtjungen
Angefangen hat alles in einer kleinen Stadt in Tschechien noch während des Zweiten Weltkriegs. Damals sah Don Oscarez im Kino einen Film, in dem jemand in einer gläsernen Kugel durch die Manege flog. Dieses Bild ließ ihn nicht los und als er schließlich nach dem Krieg in Bad Oldesloe und Lübeck landete, versuchte er mit Hilfe eines Zirkusdirektors seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Er baute ein Modell und fand jemanden, der seiner Idee Form gab: den Konstrukteur der Ju87, dem berüchtigten Stuka, Hermann Pohlmann. Dieser berechnete Geschwindigkeiten, Längen und Winkel. Und tatsächlich - im Dezember 1948 - war die Premiere für Don Oscarez in seiner Todeskugel.
Eine europaweite Erfolgsgeschichte
Sein Auftritt wurde europaweit ein großer Erfolg. Er sagt, er verdiente mehr bei einem Auftritt als ein Ballettmeister mit zwölf Tänzerinnen. Allein sein Name machte die Hälfte der Plakate aus. Die Leute faszinierte das Spiel mit der Gefahr: Die Kugel ein paar Millimeter auf den Schienen falsch platziert und schon schlingerte diese, fiel herunter oder schoss über das Netz hinaus, das sie eigentlich auffangen sollte.
Das Spiel mit dem Risiko
Don Oscarez erzählt, er sei bestimmt mehr als 3500 Mal die Bahn mit 75 Stundenkilometern hinabgesaust, zusammengekauert in der Kugel, die einen Durchmesser von einem Meter hatte. Aber oft genug ging es auch schief: Rund 50 Unfälle hatte er insgesamt. Die Kugel verfehlte das Netz und schlug hart auf dem Boden auf. Er hatte viele Arm- und Beinbrüche. Einmal war Oscarez sogar zehn Stunden bewusstlos, bevor er im Krankenbett aufgewachte. "Die Krankenhäuser in Deutschland kennen mich", meint er schmunzelnd.
Ein Zirkusmann in Rente
Aber auch vor Don Oscarez machte das Alter keinen Halt. Sensationsnummern in Freizeitparks waren plötzlich nicht mehr so gefragt, sodass die Kugel in einem kleinen Depot in Dortmund eingelagert wurde. Oscarez sagt, er würde sofort wieder losfliegen, wenn denn die Gage stimme. In unserer Zeitreise sprechen wir mit ihm in Bad Oldesloe und erzählen von einer Zeit, als einige Artisten das Spiel mit dem eigenen Leben zu einem Geschäftsmodell machten.