Neumünster: Zwischen Töpferkunst und Architektur
Spannende Geschichten aus Schleswig-Holstein, ungewöhnliche Einblicke und regionale Besonderheiten - davon handeln unsere Stadtgeschichten im Schleswig-Holstein Magazin. In unserer neuen Reihe zeigen wir Porträts von Städten und Stadtteilen im nördlichsten Bundesland. Dieses Mal: Neumünster.
von Carsten Prehn
Nach Kiel, Lübeck und Flensburg ist Neumünster Schleswig-Holsteins viertgrößte Stadt. Doch Neumünster hat ein hartnäckiges Imageproblem, was viele Einwohner überhaupt nicht nachvollziehen können. Um Vorurteile zu entkräften, haben wir uns auf die Suche nach neutralen Beobachtern gemacht - und sie tatsächlich - mitten im historischen Stadtzentrum - gefunden. Manchmal braucht es den unverstellten Blick von Auswärtigen, um das Besondere im Vertrauten zu entdecken und wahre Schönheit würdigen zu können.
Weltoffenheit: Nationen durch Keramikkunst vereint
In der Stadttöpferei Neumünster geben sich Keramikerinnen und Keramiker aus aller Herren Länder die Klinke in die Hand. Das Künstlerhaus vergibt seit 1987 Stipendien und hat es so zu internationaler Bekanntheit und Beliebtheit gebracht. Nach Gästen aus Österreich, Frankreich, Südkorea, Kanada, der Türkei und Deutschland arbeiten hier Ende 2019 Künstler aus Argentinien und Indien. Gut drei Wochen Zeit haben Verónica Anahí Córdoba und Sukhdev Rathod bis zu ihrer gemeinsamen Abschlusspräsentation. Das bedeutet viel Arbeit, bietet aber auch reichlich Gelegenheiten, die Stadt kennenzulernen.
Andere Stände als in Argentinien
Die Stadttöpferei liegt sehr zentral und dennoch ganz ruhig in einer kleinen Kopfsteinpflastergasse. Von hier geht Verónica Anahí Córdoba nur fünf Minuten bis zum Wochenmarkt auf dem Großflecken. Sie liebt es, an den Ständen entlang zu spazieren, die Menschen zu beobachten, die Ware zu betrachten und einzukaufen - ganz andere Sachen als in Argentinien. Ein paar Brocken Deutsch hat sie auf diese Weise auch schon gelernt. Das Beste: Markt ist in Neumünster drei Mal pro Woche.
Norddeutsche Schönheit und Gelassenheit
Sukhdev Rathod schlendert gern durch die engen Straßen abseits der Hauptverkehrswege, wo die Stadt gleich viel stiller und grüner ist. Er kann sich kaum sattsehen an den Backsteingebäuden. "Das ist eine so schöne und ästhetische Art zu bauen", schwärmt er. Heutzutage sei alles aus Glas, Stahl und Beton - überall gleich, ob in den USA oder Indien - langweilig. Da kann Neumünster ordentlich punkten, denn in der Stadtmitte stehen viele Häuser mit roten Ziegeln, einige sogar mit Fachwerk oder Treppengiebeln und dazu die prächtige gelbe Vicelinkirche.
Für die Leiterin der Stadttöpferei, Danijela Pivašević-Tenner, hat Neumünster ohnehin fast nur Vorzüge. Sie war selbst Stipendiatin, stammt aus der Millionenstadt Belgrad und kam über Berlin nach Neumünster. Aus gutem Grund ist sie hier hängen geblieben. "Warum bin ich so produktiv?", hat sie sich zunächst gewundert. Die Erklärung ließ nicht lange auf sich warten: Neumünster hat kurze Wege, da sind Besorgungen schnell abgehakt. Anders als in Berlin halten sich die Verlockungen hier in Grenzen - es gibt nicht täglich irgendwo eine Vernissage, die besucht werden will. Und die Gefahr, kostbare Stunden zu vergeuden, weil das Wetter so herrlich ist, besteht auch eher selten. "Also kann man immer gut und konzentriert arbeiten", sagt Pivašević-Tenner und lacht.