Das kann man nicht verzeihen
Von John Goetz und Martin Munz
So wuchs also ein Junge auf, der zum Terroristen wurde. "Das hier ist Uwes Zimmer", sagt die Mutter. Ein Zimmer mit eigenem Balkon und Blick über die Hügel rund um Jena. Gepflegter Neubau. Sauber. Die Mutter holt Fotos aus einen Regal, die zeigen, wie der Raum früher aussah: Ein Jugendzimmer in den 90er Jahren. Bett, Schrank, Schreibtisch. Nichts auffälliges. Normal eben. Doch so normal war dieses Leben nicht. Die Fotos hat die Mutter gemacht, weil sich ihr Sohn an Zuhause erinnern wollte. Denn er war abgetaucht, im Untergrund. Er war Uwe Böhnhardt, einer der drei Mitglieder der Zwickauer Zelle.
Erstmals lässt Brigitte Böhnhardt ein Kamerateam in ihre Wohnung. Gemeinsam mit ihrem Mann Jürgen hat sie sich lange dagegen gewehrt. Doch dann waren da diese Artikel über sie in den Blättern, in denen sie sich kaum wiedererkannten. Artikel über Versager-Eltern am Rande der Gesellschaft. Eine Darstellung, die so gar nicht passt zu diesen Leuten, die da auf den Stühlen im Wohnzimmer sitzen, neben dem Fernseher. Da sitzt das Ehepaar Böhnhardt und hat etwas mitzuteilen. Sie haben sich entschlossen, aufzuräumen mit den Legenden. Zu erzählen, wie es wirklich war, aus ihrer Sicht.
Ein Gefühl der Ohnmacht
Über ihre Rolle sind sie sich dabei im Klaren: "Wir sind die Familie des Täters", sagt die Mutter. "Was glauben sie, was das für ein Gefühl ist? Ein Gefühl der Ohnmacht, der Niederlage. Manch einer hat uns nicht verstanden. Wie ein Richter am Landgericht Gera, der mir vorgeworfen hat, warum schmeißen sie den Kerl nicht raus? Man kann sein Kind nicht rausschmeißen. Man liebt es, auch wenn es Schwierigkeiten macht, auch wenn es Dummheiten macht, und auch wenn es in Machenschaften verstrickt ist, die man keinesfalls akzeptiert, aber man liebt sein Kind. Man lebt nicht ruhiger, wenn man weiß, es lebt unter der Brücke. Das kann mir keiner erzählen."
Keine Frage, diese Leute haben viel nachgedacht. Nach eigenen Fehlern gesucht. Und suchen immer noch. Auch nach Worten zu den Taten ihres Sohnes. "Also Parolen grölen oder irgendwo Transparente tragen und irgendwo protestieren und so weiter, das habe ich letztendlich zugetraut, aber das nicht. Das habe ich bewusstseinsmäßig nicht erfasst. Ich kann es bis heute nicht erfassen. Das wollte mein Bewusstsein nicht wirklich wahrhaben. Und sicher auch heute noch nicht. Ich kann meinen Sohn nicht diesen Taten zuordnen."
Und dann erzählen sie die Geschichte ihres Sohnes, der Wandel vom Nesthäkchen ("Er war doch unser Liebling"), höflich und hilfsbereit, zum Mitverantwortlichen von 10 Morden und mehr als einem Dutzend Raubüberfällen. 1991 war es, da bekam Uwe Probleme in der Schule. Er schwänzte den Unterricht, begann seine Eltern zu belügen. Vom Balkon ihrer Wohnung konnten die Eltern beobachten, wie Uwe das Schulhaus betrat – aber nicht, dass er sie durch die Hintertür wieder verließ. Die siebte Klasse schaffte er nicht - mehrfach. Noch heute hadern die Eltern mit der Schule und mit sich selbst. Die Schule habe sie nicht richtig unterstützt. "Was glauben sie denn, wie es den Eltern da geht? Sie gehen jeden Tag mit einem schlechten Gewissen zum Dienst, weil sie nicht wissen, was zu Hause der Junge macht. Sie bemühen sich den Arbeitstag durchzustehen, so gut es auch geht, und trotzdem war immer die Unruhe. Was ist zu Hause, was macht er, wo ist er, mit wem ist er zusammen?"
- Teil 1: Ein Gefühl der Ohnmacht
- Teil 2: Falsche Freunde - hilflose Eltern
- Teil 3: Der Schritt in den Untergrund
- Teil 4: Beate Zschäpe meldet sich wieder