Trauer um einen Helden - zum Tod von Khorshed Alam
Von Christoph Lütgert
Ein Held - mit dieser Titulierung muss man sehr vorsichtig sein. Bei Khorshed Alam, dem Arbeitsforscher und Kämpfer für die drei Millionen schutzlosen Näherinnen und Näher in Bangladesh ist dieser Ehrentitel mehr als berechtigt. Am 16. November 2012 ist er in einem Krankenhaus in Dhaka gestorben. Er hatte schon seit langem Herzprobleme. Wer Khorshed kennen lernen durfte, hat Grund zur Trauer.
Meine Kollegin Britta von der Heide und ich waren im Frühjahr 2010 für die "KiK-Story" nach Bangladesh geflogen. Es wurde der bislang wichtigste und erfolgreichste Film in der Reihe "Panorama - die Reporter", und er erregte auch in der ARD Aufsehen - Dank Khorshed Alam. Er hatte uns mit ausgebeuteten Näherinnen zuzsammen gebracht, ermutigte sie, ihre Angst zu überwinden und vor der Kamera zu reden. Er schleuste uns in Textilfabriken ein, versorgte uns mit soliden, unangreifbaren Fakten, die den westlichen Abnehmern, aber auch uns Käufern die Schamesröte ins Gesicht treiben mussten.
Ein Kämpfer gegen die Preisdrückerei westliche Großabnehmer
Ich sehe ihn noch, wie er vor uns saß, uns aus stets freundlichen und immer müden Augen anguckte. Ich höre ihn noch, wie er mit seinem formidablen Englisch keine Klassenkampfparolen dröhnte, sondern leise und sachlich die schrecklichsten Fakten aneinander reihte: Die Ausbeutung der Näherinnen, die für teilweise weniger als umgerechnet 20 Euro im Monat arbeiten mussten, die Schikanen der Fabrikbesitzer, der Zwang zu unbezahlten Überstunden, die permanenten Demütigungen. Und vor allem die Preisdrückereien der westlichen Großabnehmer, die ihren Kunden zu Hause auch noch verlogen vorgaukeln, sie kümmerten sich um das Wohl dieser Näherinnen und Näher. Alles sauber recherchiert gegen erbitterte Widerstände heimischer Unternehmen aber auch der Politik, penibel protokolliert von Zuträgern aus allen Regionen Bangladeshs.
Immer mit einem Bein im Gefängnis
Khorshed war ein Staatsfeind in einem Land, dessen 4.000 Textil-Fabriken 80 Prozent der Exporte generieren. Der Geheimdienst war hinter ihm her, und Khorshed Alam erzählte uns bitter-fröhlich, dass er immer mit einem Bein im Gefängnis stehe. Unerschrocken informierte er Medien, Politiker, Organisationen im Westen über das, was in seiner Heimat los war, reiste ohne Rücksicht auf seine angeschlagene Gesundheit mehrmals im Jahr durch Europa, um unser Gewissen zu wecken oder wach zu halten. So war er der wichtigste Beschützer der schutzlosen Näherinnen seiner Heimat. Außer ihm gab es keinen anderen mit solcher Wirkungsmacht. Nach ihm, so sehen es Kenner der Szene, ist keiner in Sicht.
Er sah deutlich älter aus, als er war, hatte Raubbau an sich und seiner Gesundheit getrieben. Er starb, nur 46-jährig, viel zu früh.