Sendedatum: 07.02.2017 21:15 Uhr

"Kriminalität ist nie eine Frage des Passes"

Dr. Dominic Kudlacek arbeitet beim Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen und beschäftigt sich mit Kriminalitätsfurcht. Mit Panorama spricht er über Angst vor und Ursachen von Kriminalität.

Panorama: Hat die Zuwanderung der letzten zwei Jahre Folgen für die Kriminalstatistik?

Dr. Dominic Kudlacek vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen © Screenshot
"Deutschland ist nach wie vor eines der sichersten Länder der Welt", so Dr. Dominic Kudlacek arbeitet beim Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen.

Dr. Dominic Kudlacek: Die Zahl der Straftaten durch Zuwanderer, die die Polizei registriert, steigt natürlich. Mehr Menschen begehen mehr Kriminalität als weniger Menschen. In einer Stadt mit 1 Millionen Einwohner gibt es mehr Kriminalität als in einer Stadt mit 100.000 Einwohnern. Die Frage ist: Sind die Menschen, die seit 2015 zu uns gekommen sind, krimineller als die Menschen, die hier bereits wohnen?

Und? Sind Zuwanderer auffälliger als Deutsche?

Das lässt sich mit der reinen Anzahl der Straftaten nicht beantworten. Dazu braucht man die sogenannte "Tatverdächtigenbelastungszahl". Man muss die Anzahl von Straftaten auf 100.000 der Bevölkerung beziehen. Dieser statistische Wert gibt Auskunft darüber, wie stark eine bestimmte Gruppe von Kriminalität betroffen ist.

Die absoluten Zahlen zeigen einen Zuwachs an Straftaten von Zuwanderern. Dieser Zuwachs lässt sich vor allem durch die gestiegene Bevölkerungszahl erklären: Mehr Menschen = Mehr Kriminalität.

In Deutschland ist es mit den Zahlen von 2015 so gewesen, dass unter 100.000 Personen 2.125 als Tatverdächtige ermittelt worden sind. Und jetzt muss man sich diese Zahl angucken, wie sie für andere Bevölkerungsgruppen aussieht. Diese Berechnung ist mit zahlreichen Mängeln belastet, darüber müssen wir überhaupt nicht diskutieren. So ist es zum Beispiel schwierig, genau zu sagen, wie viele Personen einer Gruppe überhaupt in Deutschland sind, das erschwert das Ganze enorm und gibt sehr viel Rauschen in die Zahlen. Aber diese Störfaktoren, die betreffen Syrer genauso wie es Menschen aus Nordafrika betrifft.

Kriminologen nutzen die Tatverdächtigenbelastungszahl um verschiedene Gruppen zu vergleichen (zum Beispiel Frauen und Männer). Sie rechnen Tatverdächtige auf 100.000 Einwohner einer ausgewählten Gruppe. So lässt sich erkennen, ob eine bestimmte Gruppe eher von Kriminalität belastet ist. Die Zahlen zeigen, dass Menschen, die jung, männlich sind und im urbanen Raum leben, stärker von Kriminalität betroffen sind.

Was ergibt der Vergleich also?

Zuwanderer aus Nordafrika sind deutlich stärker von Kriminalität betroffen als die Durchschnittsbevölkerung, aber auch als zum Beispiel Syrer. Rechnet man ausländerrechtliche Straftaten heraus, so sind Nordafrikaner etwa sechs Mal so häufig einer Straftat verdächtig wie Syrer.

Mit der Tatverdächtigenbelastungszahl lassen sich auch verschiedene Zuwanderer-Gruppen vergleichen. Beim Vergleich mit der Gesamtbevölkerung Deutschlands muss beachtet werden: Die deutsche Gesamtbevölkerung setzt sich demografisch anders zusammen als die Gruppen der ausgewählten Zuwanderer. Menschen, die jung, männlich sind, schlechte Perspektiven haben, werden häufiger kriminell. Das trifft auf die ausgewählten Zuwanderer-Gruppen in unterschiedlichem Maße zu.

Warum sind Zuwanderer aus Nordafrika stärker von Kriminalität betroffen als Menschen aus Syrien oder Irak?

Kriminalität ist nie eine Frage des Passes, sondern immer eine Frage von Perspektiven und von Lebenslagen. Untersuchungen belegen, dass Kriminalität eher von jungen Menschen begangen wird als von älteren Menschen. Und Männer begehen deutlich mehr Straftaten als Frauen. Auch die Fähigkeit, sich in die Gesellschaft einzubringen, Perspektiven, soziale Kompetenzen spielen eine Rolle. Wir Kriminologen nennen das Belastungsfaktoren. Unter den Zuwanderern aus Nordafrika sind deutlich mehr junge Männer als zum Beispiel bei anderen Zuwanderergruppen. Wären deutsche Menschen gekommen aus einer ähnlichen demografischen Struktur, ähnliches Alter, ähnliche Bildung, ähnliche Geschlechterverteilung, dann würde sich die Kriminalität nicht so sehr unterscheiden zwischen diesen beiden Gruppen. Ein weiterer Belastungsfaktor sind die schlechten Perspektiven für Zuwanderer aus Nordafrika,  Ungewissheit verbunden mit Sorgen, Frustration, ist ganz schlecht. Da könnte viel gemacht werden, indem zum Beispiel Asyl-Verfahren beschleunigt würden.

Haben Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung durch Zuwanderer zugenommen?

Insgesamt sind sie leicht rückläufig, aber Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die von Zuwanderen verübt werden, haben leicht zugenommen. Insgesamt halten sie sich zwar auf einem niedrigen Niveau, aber die Anzahl der Taten war bis 2015 über Jahrzehnte hinweg rückläufig und jetzt gibt es einen leichten Anstieg. Natürlich kommen solche Taten sehr viel seltener vor als das Erschleichen von Leistungen. Aber diese Taten haben auch eine andere Intensität und für die Opfer eine besondere Bedeutung. Schwarzfahren ist eine ärgerliche Sache, wird aber bei den Verkehrsbetrieben wahrscheinlich nicht zu Traumata führen. Sexualstraftaten jedoch haben für die Opfer enorme Folgen, die sie teilweise jahrelang, womöglich ihr Leben lang begleiten.

Gibt es Belastungsfaktoren, die das erklären?

Diese Taten werden überwiegend von jungen Männern und Menschen ohne Perspektive begangen. Bei sexuellen Straftaten spielen wieder die Belastungsfaktoren Geschlecht, Alter und die soziale Perspektive eine Rolle.

Wie wahrscheinlich ist es denn für mich, von einem Zuwanderer überfallen und angegangen zu werden?

Schlimme sexuelle Gewalt in Deutschland spielt sich nicht in den Parks oder hinter Gebüschen ab - das sind tragische Einzelfälle. Die Großzahl sexueller Straftaten wird im Schlafzimmer begangen und es sind die Freunde, die Expartner oder die prügelnden Ehemänner der Frauen, die diese Taten begehen.

Laut einer Umfrage im Auftrag von Panorama fühlt sich jede dritte Frau infolge der Zuwanderung unsicherer im öffentlichen Raum - können Sie das nachvollziehen?

Deutschland ist nach wie vor eines der sichersten Länder der Welt: Die Sicherheit hier hat sich über Jahre kontinuierlich verbessert und ist nach wie vor auf sehr hohem Niveau. Ungeachtet dessen gibt es bestimmte Bereiche und Zeiten, in denen man etwas gefährdeter ist. Wäre dem nicht so, wäre so ein Polizeiaufgebot wie jetzt zu Silvester gar nicht notwendig.

Wie aussagekräftig sind Statistiken zu Kriminalität, beispielsweise die PKS (polizeiliche Kriminalstatistik)?

In der Statistik finden sich nur die Verdachtsfälle, die der Polizei bekannt geworden sind. Und die PKS umfasst keine Verurteilungen. Das muss man bei der Interpretation der Zahlen bedenken. Auch lassen sich die Bezugszahlen nicht lückenlos klären - wir können nicht fehlerfrei sagen, wie viele Menschen aus wie vielen Nationen in Deutschland gerade leben.

Macht diese Polizeiliche Kriminalitätsstatistik dann überhaupt Sinn?

Ja  - es ist zwar Vorsicht bei der Interpretation der Daten geboten, aber wir können hier durchaus Trends wahrnehmen. Jahrelang war der Trend rückläufig, jetzt ändert sich das. Zum Beispiel bei Wohnungseinbruch oder Diebstahl, Delikte, die sich in den letzten Jahren entgegen dem eigentlich positiven Trend wieder nach oben entwickelt haben.

Wie soll man mit der Kriminalität von Flüchtlingen umgehen?

Es wird viel darüber gesprochen, die Diskussionen darüber eskalieren  aber immer sehr schnell  - sowohl von links, als auch von rechts. Darum sollte man faktenbasiert darüber sprechen, offen und ehrlich. Alles andere ebnet aus meiner Sicht Demagogen den Weg, sich des Themas anzunehmen und dann schnell von "Verheimlichung von Fakten" zu sprechen. 

Kein vernünftiger Wissenschaftler würde versuchen, die ethnische Zugehörigkeit oder die Staatsbürgerschaft als einen kriminogenen Faktor darzustellen. Es sind immer Belastungsfaktoren, die kriminogen wirken - und die sind unabhängig von einer politischen Kategorie wie der Staatsbürgerschaft. Allerdings ist es so, dass einzelne Herkunftsgruppen durchaus von den Belastungsfaktoren stärker betroffen sein können als andere Gruppen. Darüber muss man offen und ehrlich sprechen.

Das Interview führte Anna Orth

Dieses Thema im Programm:

Panorama - die Reporter | 07.02.2017 | 21:15 Uhr

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