Stand: 01.10.2013 17:29 Uhr

Jachtfieber auf der Ostsee

von Pia Lenz & Anna Orth
Surfer Reinhard Fahlbusch. © NDR
Ein Blick aufs Meer ist alles, was Reinhard Fahlbusch nach dem Unfall bleibt: Surfen kann er nicht mehr.

Es war ein strahlender Sommertag an der Ostsee. Im Wasser der Neustädter Bucht dümpelt ein Surfer. Plötzlich ein Knall: Eine große Motorjacht erfasst den Surfer, tötet ihn fast. Er verliert ein Bein und Unmengen von Blut, unzählige Knochen sind gebrochen. Drei Mal müssen ihn die Ärzte wieder ins Leben holen.

Der tragische Unfall ist nun zwei Jahre her: Reinhard Fahlbusch steht am Strand von Scharbeutz und schaut auf die Bucht, in der er drei Jahrzehnte lang gesurft und gesegelt ist. Das Wasser ist voll mit Badenden, Seglern und Surfern. Dazwischen jagen Motorboote immer wieder laut an der Küste vorüber. Fahlbusch kann den Anblick kaum ertragen. Er geht an die Öffentlichkeit, weil er sich sicher ist, es geht um mehr als sein persönliches Unglück. Er ist an jenem Sonntagnachmittag nicht nur in die Schiffsschrauben einer Motorjacht geraten, sondern mitten hinein in den Kampf zweier rivalisierender Lager, die an der Ostseeküste miteinander streiten. Doch das weiß er erst heute.

VIDEO: Jachtfieber auf der Ostsee (30 Min)

Hätte der Unfall verhindert werden können?

Es ist jetzt nicht mehr nur sein persönlicher Kampf um Schuld, Entschädigung und Gerechtigkeit, sondern ein grundsätzlicher Kampf zweier Lager um Geschwindigkeitsbegrenzung, Einhaltung von Sicherheitsnormen und Zuständigkeiten. Es geht um die Frage: Hätte der tragische Unfall des Surfers Fahlbusch vielleicht verhindert werden können?

Jacht auf der Ostsee. © NDR
Eine Jacht wie diese riss Reinhard Fahlbusch das Bein ab. Bei hohen Geschwindigkeiten werden Wassersportler leicht übersehen.

An jenem Tag im August 2011 genießt der erfahrene Surfer Fahlbusch den Spätsommer auf dem Wasser. Genau wie die Besatzung der acht "Sunseeker"-Motorjachten, die im Neustädter Hafen zur "Baltic Cruise" gestartet sind - einem PR-Ausflug für vermögende Kunden der Luxus-Werft. Das größte Schiff, die "Predator 74" prescht vorweg. Mit 22 Metern Länge, 3.600 PS und 47 Tonnen Verdrängung ist sie die Vorzeigejacht in der Lübecker Bucht. Ihr stolzer Besitzer: ein Lübecker Unternehmer.

Reinhard Fahlbusch hatte keine Chance, als der Jachtbesitzer seine Predator annähernd auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt. 38 Knoten, also fast 70 Stundenkilometer, beträgt ihre Geschwindigkeit beim Aufprall. Fahlbusch hat daran keine Erinnerung. Er wacht erst wieder im Lübecker Universitätsklinikum auf, sein linkes Bein fehlt.

Konnte der Fahrer den Surfer gar nicht sehen?

Kurz nach dem Unfall wird Jürgen Albers von der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) auf den Fall aufmerksam. Die Bundesstelle wird immer dann tätig, wenn ein Unfall mehr als nur ein schicksalhafter Einzelfall zu sein scheint, sondern wenn es Hinweise auf grundsätzliche Fehler gibt. Prüfer Albers wird stutzig, weil ein Polizist nach dem Unfall notiert hatte, der Jachtbesitzer habe den Surfer Fahlbusch möglicherweise gar nicht sehen können. Die BSU lässt das Boot vermessen.

Keine ausreichende Rundumsicht

Tatsächlich kommt Albers in seinem Unfallbericht zu dem Schluss, die Sichtfenster der Sunseeker Motorjacht seien so konstruiert, dass der Steuermann kleine Wassersportler wie Surfer oder Segler nicht ausreichend sehen könne. Trotz gültiger Zulassung verstoße das Schiff somit gegen die entsprechende europäische Norm. Albers empfiehlt den verantwortlichen Stellen, die betroffene Jacht und andere Modelle von Sunseeker zu prüfen.

Auch Surfer Fahlbusch kennt das Gutachten der BSU. Was ihn besonders frustriert: Bis heute hatte es keine Folgen. Keine der offiziellen Stellen hat die Jachten der Luxuswerft bislang erneut überprüft. Sunseeker selbst erklärt, man habe ein eigenes Gutachten erstellen lassen, das die Sicherheit seiner Schiffe bestätige. Zur Verfügung stellt man diese Gutachten leider nicht. Sunseekers Jachten rasen weiter über die Meere.

Weitere Informationen
Jürgen Albers von der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchungen (BSU). © NDR

Ein Unfall ohne Konsequenzen

Jürgen Albers von der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung hält die gesamte Baureihe einer Unfall-Jacht für unsicher. Doch trotz seines Gutachtens passiert nichts. mehr

Dieses Thema im Programm:

Panorama - die Reporter | 01.10.2013 | 21:15 Uhr

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