Erst Hoffnung, dann Pleite: Was wird aus dem Ihme-Zentrum in Hannover?
Mysteriöse Grundbucheinträge, Dutzende leerstehende Wohnungen: Auf Vieles, was mit dem Ihme-Zentrum in Hannover passierte, kann sich auch der vorläufige Insolvenzverwalter noch keinen Reim machen. Klar ist nur: Die Hoffnungen der Bewohner, dass das marode Zentrum saniert wird, sind abermals enttäuscht worden.
Mit seinen vielen Türmen, Ecken und Kanten steht das Bauwerk wie eine Burg aus der Neuzeit mitten in Hannover am Ufer des kleinen Flüsschens Ihme, das ihm seinen Namen gab. Der Komplex, der auf dem größten gegossenen Betonfundament Europas ruht, ist schon seit Jahren ein Problemfall. Zehntausende Quadratmeter Gewerbefläche stehen leer. Teilweise sind nur noch nackte Betonträger zu sehen. Bereits mehrfach wechselten sich die Investoren ab, häufig verbunden mit vollmundigen Plänen für die Zukunft.
Bei den Bewohnern folgte auf die große Hoffnung regelmäßig die Enttäuschung darüber, dass sich nicht wirklich etwas in die richtige Richtung bewegt hat. Aktuell wird in dieser Geschichte ein neuer, trauriger Höhepunkt erreicht. Die Firma, die rund 80 Prozent des Ihme-Zentrums besitzt, ist insolvent. Der restliche Teil des Zentrums gehört häufig Menschen, die einzelne Wohnungen im Zentrum besitzen. Für diese rund 500 Wohnungseigentümer könnte die Insolvenz des Haupteigentümers wohl bald Folgen haben.
Verschachtelte Besitzverhältnisse: "Die kümmern sich nicht"
Seit fast 15 Jahren beobachtet Torsten Jaskulski sehr genau, was im Ihme-Zentrum vor sich geht. Als Verwalter muss er die Interessen aller Eigentümer im Blick haben. Er war schon da, als 2015 die Berliner Firma Projekt IZ Hannover GmbH den Großteil des Ihme-Zentrums erwarb, für gerade mal 16,5 Millionen Euro aus einer Zwangsversteigerung. Der Wert des Komplexes wurde damals mit 49,6 Millionen beziffert.
Dann begannen vier Jahre, die Torsten Jaskulski als "Warteposition" bezeichnet. Damals gehörte die Berliner Firma über eine Briefkastenfirma auf Zypern einem israelischen Investor. Offenbar wurde damals relativ wenig in den Komplex investiert, um dann schnell wieder verkaufen zu können. So empfanden es vor Jahren auch viele Bewohner, wie Hans-Georg Burke, der im Ihme-Zentrum eine schöne Eigentumswohnung besitzt. Er ist einer von den 500 kleineren Wohnungseigentümern. "Die kümmern sich nicht" und außer "Symbolpolitik" sehe er nichts, sagte er vor fast fünf Jahren.
Enttäuschte Hoffnungen
Im Frühjahr 2019 trat dann der Unternehmer Lars Windhorst als neuer Eigentümer der Projekt IZ Hannover GmbH in Erscheinung. Eine von ihm indirekt kontrollierte Firma aus Luxemburg hatte die Gesellschaft erworben. Im Rathaus von Hannover sprach er davon, dass die Investition nur Sinn mache, "wenn sie optisch attraktiv ist, wenn es ein positives Momentum gibt, wenn Leute merken, sehen und spüren, dass sich hier etwas verändert."
Axel Brunngraber kann sich noch gut daran erinnern, er wohnt schon fast 50 Jahre im Ihme-Zentrum. Der schillernde Investor Windhorst habe bei vielen Bewohnern "Hoffnungen geweckt". Verwalter Jaskulski erzählt heute, dass es zunächst auch gut vorangegangen sei. Die Betonsanierung der Stützpfeiler sei auch mit Geld von Windhorst erfolgt. Doch schon 2022 seien finanzielle Zusagen für die Sanierung von Windhorsts Mitarbeitern nicht erfüllt worden, "das Geld kam nicht." So blieben die Gewerbegeschosse des Ihme-Zentrums in einem bedauernswerten Zustand. Jaskulski rechnet mit einem Investitionsbedarf von bis zu 100 Millionen Euro.
Großmieter springen ab
Weil kaum noch etwas passierte, zog die Stadt Hannover, die im Ihme-Zentrum Büroetagen für die Stadtverwaltung nutzte, kurzfristig die Reißleine: Im März dieses Jahres kündigte sie einen Mietvertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren. Der Vertrag sei an "Sanierungsschritte geknüpft gewesen, die nicht vollzogen wurden," so Stadtsprecher Felix Weiper. Wenig später zieht auch der Energieversorger Enercity aus dem Ihme-Zentrum aus, was schon vor Jahren angekündigt worden war.
Damit gehen dem Unternehmen Projekt IZ Hannover GmbH zwei wesentliche Einnahmequellen verloren. Weil kein Geld mehr kommt, wird die Firma auf Betreiben der Kleineigentümer in ein vorläufiges Insolvenzverfahren geschickt. Von Windhorsts Tennor-Gruppe werden keinerlei Fragen zum Ihme-Zentrum beantwortet.
Müssen die Kleineigentümer zahlen?
Seit Mai 2023 sei von der Projekt IZ Hannover auch kein Hausgeld mehr bezahlt worden, erzählt Verwalter Jaskulski. Es gehe dabei um etwa 450.000 Euro im Monat. Noch ist nicht klar, ob am Ende auch die Kleineigentümer per Umlage dafür aufkommen müssen. Hans-Georg Burke hat von bedrohlichen Zahlen gehört und macht sich deswegen schon große Sorgen. Monatliche Zusatzkosten von "500 Euro bis 1.000 Euro zusätzlich zu dem, was wir ohnehin schon bezahlen," befürchtet er. Ob es wirklich so kommt, ist offen.
Mammutaufgabe für den vorläufigen Insolvenzverwalter
Vorläufig verantwortlich für das Ihme-Zentrum ist nun Insolvenzverwalter Jens Wilhelm V. Seine Aufgabe erscheint gigantisch: Er muss sich in 48 Grundbücher einarbeiten und einen Überblick über 192.000 Quadratmeter Fläche verschaffen. Bei seiner Arbeit sei er schon mehrfach auf Merkwürdigkeiten gestoßen, erzählt er.
So seien 55 Wohnungen, die der Projekt IZ Hannover GmbH gehören, seit Jahren nicht vermietet, weil man mit Handwerkern im Clinch liege. "Wirtschaftlich sehe ich da keinen Sinn drin," sagt Wilhelm V. Denn die Projekt IZ Hannover GmbH verzichtet so auf gewaltige Einnahmen, doch die waren Windhorsts Mitarbeitern offenbar nicht so wichtig. Öffentlich war aus dem Kreis von Windhorsts Firmen noch vor nicht allzu langer Zeit erklärt worden, man habe bereits 130 Millionen Euro in den Komplex gepumpt, inklusive Kaufpreis. Auch dafür hat der vorläufige Insolvenzverwalter Wilhelm V bisher noch keine belastbaren Indizien finden können, sagt er.
Mysteriöse Grundbucheintragungen
Am merkwürdigsten erscheinen aber Grundbucheintragungen, die vielleicht einen Hinweis darauf geben, dass das Ihme-Zentrum für Windhorsts Firmen nur ein Teil von ganz anderen Geschäften war. 2020 waren zunächst 60 Millionen Euro zugunsten der MK-Kliniken AG ins Grundbuch des Ihme-Zentrums eingetragen worden. 2022, als das Geld nur noch spärlich floss, folgten weitere Eintragungen ins Grundbuch: 230 Millionen zugunsten der relativ kleinen Held-Bau Consulting Projektsteuerungsgesellschaft. Beide Firmen werden von dem Unternehmer Ulrich Marseille kontrolliert. Sowohl er als auch die Unternehmen haben Anfragen von Panorama 3 nicht beantwortet.
Auch der Insolvenzverwalter sucht noch Erklärungen für die Eintragungen, die den Wert des Ihme-Zentrums bei Weitem übersteigen: "Der Sinn hat sich mir noch nicht erschlossen. Ich kann zumindest sagen, dass die Beträge, die dort im Grundbuch stehen, nicht umgesetzt worden sind in Investitionen, also in Instandsetzungen im Ihme-Zentrum", sagt Wilhelm V.
Die vielleicht letzte Chance: Wohnungen
Der vorläufige Insolvenzverwalter hofft nun auf einen Neustart für das Ihme-Zentrum. Dafür versucht er nicht einen, sondern mehrere Investoren ins Boot zu holen. Er sieht eine Chance darin, aus Gewerbeflächen Wohnungen zu machen. Die würden in Hannover noch viele Jahre gesucht. Für das Ihme-Zentrum ist es wohl die allerletzte Chance.