Wie ist es, in Corona-Zeiten jung zu sein?
Die Zeit zwischen 16 und 25 Jahren ist eigentlich die Zeit der Freiheit, in der alles los geht. Doch wie ist es, unter Corona jung zu sein? Wir haben drei junge Menschen aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern getroffen.
An Silvester 2019 dachte Kim Hubert noch: Das wird mein Jahr! Die Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau hatte sie abgeschlossen, gute Übernahmechancen standen in Aussicht und nach zwei Jahren Arbeit wollte sie genug Kapital für ihr eigenes Ziel gespart haben und sich als Hochzeitsplanerin selbständig machen. Doch dann kam Corona. Kims Träume sind mittlerweile geplatzt. Entgegen ihrer Hoffnung wurde sie im Sommer nicht übernommen. Seitdem ist sie arbeitslos, mit 24 Jahren. Die neue Situation ist für sie schwer auszuhalten. "Man möchte jetzt eigentlich erwachsen werden und arbeiten. Und da ist gerade auf Pause gedrückt worden. Man wartet, wann es weitergeht", sagt sie.
"Man sitzt nur zu Hause, fühlt sich dabei total schlecht"
Noch nie war die 24-Jährige in ihrem Leben so verunsichert. Sich in ihrer Branche zu bewerben, ist momentan nahezu aussichtslos. Kim muss sich Alternativen suchen. Seit August sitzt sie in ihrer Wohnung in Neumünster fest. Was sich erst wie Urlaub anfühlte, belastete sie nach ein paar Wochen. "Man sitzt nur zu Hause, guckt Serien, fühlt sich dabei aber total schlecht, weil man denkt: Vielleicht kann ich ja noch fünf Bewerbungen schreiben. Vielleicht kann ich noch mehr machen."
Ihr Freund ist Handwerker, bricht früh am Morgen zu den Baustellen auf. Kim bleibt oft den ganzen Tag allein zu Hause. Auch das mache ihr manchmal zu schaffen, erzählt sie. Ihre Familie und Freunde nur über Videotelefonie zu sehen, könne körperliche Nähe nicht ersetzen. Mit diesem Erleben ist Kim nicht allein. Eine aktuelle Studie der TUI-Stiftung zeigt: Von allen Einschränkungen, die zur Bekämpfung der Pandemie eingeführt wurden, fällt Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Reduzierung der sozialen Kontakte am schwersten.
Treffen mit der Clique derzeit unmöglich
Auch Marius Denda aus Anklam vermisst es, seine Freunde zu treffen. Der Instagram-Account des 16-Jährigen ist voll von Bildern, auf denen sich vier, fünf, sechs Jugendliche in den Armen liegen. Diese Fotos erscheinen Marius heute, als stammten sie aus einer lange zurückliegenden Zeit. Corona macht solche Treffen mit seiner Clique bis heute unmöglich.
Auch wenn ihm dieser Verzicht schwerfällt: Marius sagt, er halte sich an die Regeln - wie die Mehrheit der Jugendlichen. 83 Prozent der für die TUI-Jugendstudie Befragten gaben an, dass sie die Corona-Bestimmungen weitgehend befolgen. Wichtigstes Motiv dabei: die Gesundheit anderer zu schützen. Umso mehr ärgert Marius die Pauschal-Kritik an Jugendlichen aus der Politik. "Natürlich gibt es Leute, die unvernünftig sind, aber die gibt’s, glaube ich, in jeder Generation. Wir werden gerade als Sündenböcke für Sachen benutzt, die andere auch verzapfen", sagt er.
"Das kann uns nicht mehr zurückgegeben werden"
Die Pandemie hat für den Elftklässler vieles verändert. Er hat das Gefühl, durch Corona etwas zu verpassen: "Ich glaube, uns fehlt etwas. Das kann uns auch nicht mehr zurückgegeben werden." Praktika fielen weg, Konzerte verschoben, Partys und Geburtstagsfeiern könnten nicht stattfinden. Dieser Verzicht sei für junge Menschen schwer, findet Marius, "weil es eine ganz besondere Zeit ist, wo man einfach ausprobieren kann, ohne irgendjemandem etwas dafür schuldig zu sein."
Corona bremst auch Marius Engagement im Demokratiebahnhof aus. Das ehemalige Bahnhofsgebäude ist heute ein Jugend- und Kulturzentrum. Marius hat hier schon Konzerte und Festivals mitorganisiert - im Moment ist nichts davon möglich. Noch ist der Jugendtreff des Zentrums unter strengen Auflagen geöffnet. Jetzt dürfen maximal zehn junge Leute hier ihre Nachmittage verbringen, früher kamen bis zu 40. Dabei ist es für viele Jugendliche eine der wenigen Anlaufstellen in der Region. Angesichts der hohen Zahlen an Neuinfektionen mit dem Corona-Virus wird der Treff vermutlich bald wieder schließen müssen. Dann müssten junge Menschen wieder schauen, wo sie bleiben, befürchtet Marius.
Ablenkung und Zukunftsangst
Sich mit anderen draußen zu treffen, das war auch für Stefanie Barzola vor Corona Normalität. Die 16-Jährige wohnt mit ihrer Mutter, ihrem Stiefvater und zwei Geschwistern in einer Drei-Zimmer-Wohnung im Hamburger Stadtteil Barmbek-Süd. Zu Hause ist es eng. Der Unterschied zu früher? Statt sich mit bis zu 50 anderen in der Hamburger Innenstadt zu treffen, hängt sie heute mit einer, maximal zwei Freundinnen ab.
Unter einem Durchgang zwischen zwei Häusern schützen sich Stefanie und ihre Freundin Mariela vor dem Regen. Sie üben TikTok-Tänze, nehmen sich dabei mit dem Handy auf. Das lenkt auch ein bisschen von ihren Zukunftsängsten ab. "Eigentlich könnt ich jetzt stolz sein, dass ich einen Abschluss hätte. Aber wegen der Corona-Krise konnte ich den nicht schreiben", sagt sie.
Abschluss-Prüfungen fielen aus
Während das Abitur trotz Corona geschrieben wurde, fielen für viele Schülerinnen und Schüler an Hamburgs Stadtteilschulen im Frühjahr die Prüfungen für den Ersten Allgemeinen Schulabschluss (ESA) aus. Sie finden normalerweise am Ende der neunten Klasse statt und entsprechen dem ehemaligen Hauptschulabschluss. Eine Nachfrage von Panorama 3 an die Hamburger Schulbehörde dazu, wie viele junge Menschen davon betroffen sind und wie die Stadt die Situation bewertet, blieb bis Dienstag unbeantwortet.
Für Schülerinnen wie Stefanie bedeutet das: Sie muss ihren Abschluss im nächsten Jahr, der zehnten Klasse, nachholen. Eigentlich wollte sie die zehnte Klasse für einen Versuch nutzen, auch den mittleren Schulabschluss, den früheren Realschulabschluss, zu erreichen.
Stefanie hat Angst, dass die Schulen noch mal schließen und sie damit schlechter auf die Prüfungen vorbereitet wird. Im ersten "Lockdown" hat sie sich schulisch verschlechtert. Mit dem ersten "Lockdown" hat die 16-Jährige schlechte Erfahrungen gemacht. Ihre Mutter kommt aus Ecuador, spricht nur wenig Deutsch und konnte sie in schulischen Angelegenheiten kaum unterstützen. Sollte Stefanie die Prüfung in diesem Jahr nicht bestehen, hätte sie gar keinen Schulabschluss.
Wie soll es beruflich weitergehen?
Stefanie muss nicht nur ihren Schulabschluss nachholen, sondern sich parallel dazu auch um Ausbildungsplätze bewerben. Keine einfache Aufgabe unter Pandemie-Bedingungen. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt: Corona erschwert es jungen Menschen, herauszufinden, was sie nach der Schule machen wollen. Berufsmessen, Veranstaltungen in Betrieben und Schulen sind weggefallen, ebenso Informationsangebote der Arbeitsagenturen. Fast 40 Prozent der Jugendlichen wünschen sich mehr Unterstützung bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder hätten sich diese gewünscht.
Doch Stefanie hat wenigstens etwas Glück: Sie bekommt Unterstützung von der MUT Academy in Hamburg. Rund 60 Jugendlichen werden hier beim Übergang von der Schule in die Ausbildung unterstützt - auch jetzt noch zu Corona-Zeiten. Stefanie hat nun eine Beraterin, die ihr bei der Berufssuche hilft. Beide hoffen trotz der schwierigen Bedingungen einen passenden Ausbildungsplatz zu finden.