Wie TTIP das Land spaltet
Dienstag, 19. April 2016, 21:15 bis
21:45 Uhr
Donnerstag, 21. April 2016, 02:10 bis
02:45 Uhr
Lübecker Marzipan als Verkaufsschlager in den USA? Ja, sagt Willi Meier, Geschäftsführer des Marzipanherstellers Niederegger: "Aber dafür brauchen wir TTIP, damit wir leichter nach Amerika exportieren können. Das Leben würde viel leichter sein." Landwirt Martin Schulz sieht das allerdings anders: "TTIP macht mir Angst". Denn der Agrarmarkt der EU sei ohnehin schon völlig überlaufen.
Das geplante Freihandelsabkommen der Europäer mit den USA spaltet. Kaum ein Thema treibt in Deutschland so viele Menschen auf die Straßen wie TTIP. Doch worum geht es eigentlich, wenn zwei riesige Wirtschaftsmächte wie die USA und die EU einen transatlantischen Vertrag aushandeln: um die Interessen großer Firmen, um die wirtschaftliche Zukunft der EU oder um Wohlstand für alle?
"TTIP ist ein deutsches Projekt"
"TTIP war interessanterweise eine Idee der Europäer, die auf der amerikanischen Seite auf sehr fruchtbaren Boden gefallen ist. Es ist ein Projekt, das schon seit 20 Jahren immer wieder aufgetaucht ist und im Übrigen auch ein ureigen deutsches Projekt", sagt Lutz Güllner von der EU-Kommission. Seit 2013 wird nun verhandelt. Eigentlich soll Ende 2016 ein Ergebnis vorliegen. Ziel des Abkommens ist: mehr Wirtschaftswachstum, mehr Arbeitsplätze, mehr Wettbewerb.
Bei TTIP geht es nicht nur um den Abbau von Zöllen, sondern auch um den Abbau vieler anderer Hindernisse, die einem freien Handel entgegenstehen. Die EU hat ihre Regeln, bevor sie ein Produkt zum Verkauf zulässt. Die Amerikaner haben ihre Standards. Und manchmal sind die Unterschiede so groß, dass Verpackungen und Waren ganz anders sein müssen, um sie andernorts verkaufen zu können. So gelten beispielsweise für Autos, die in den USA zugelassen sind, teilweise deutlich andere Vorschriften als bei uns. TTIP will das auflösen. Konkret bedeutet das, dass am Ende Produkte, die in der EU zugelassen sind, auch in den USA verkauft werden dürfen und umgekehrt. Das Abkommen ist insofern ein umfassendes Handelsabkommen, das weitreichende Konsequenzen hat, die im Grunde jeden Bürger in den USA und in der EU betreffen können.
Willi Meier vom Lübecker Marzipanhersteller Niederegger wünscht sich TTIP sehnlichst herbei. Bisher müssen Marzipanprodukte für die USA in anderen Verpackungen verkauft werden als in der EU. Willi Meier würden seine Süßigkeiten gerne in der gleichen Verpackung anbieten. Er erhofft sich dadurch Kostenvorteile für sein Unternehmen. Davon träumt auch Bernhard Mattes, Geschäftsführer der Ford-Werke in Köln. "Doppelte Testverfahren und doppelte Zulassungsverfahren" würden mit dem Handelsabkommen in Zukunft wegfallen, hofft er.
Bedrohung für die Demokratie?
Doch es knackt und kracht an vielen Ecken. In den Verhandlungen, aber auch durch den Protest auf der Straße. Pia Eberhardt von der Nichtregierungsorganisation CEO, laut "Spiegel" das "Gesicht und das Hirn der Anti-TTIP-Bewegung", glaubt, dass das Abkommen vor allem Nachteile bringt: "Wenn ich TTIP höre, denke ich an die Bedrohung unserer Demokratie und mehr Macht für Konzerne, in Zukunft all das zu bekämpfen, was ihnen nicht passt." Es ist diese Angst, die im Oktober 2015 rund 150.000 Menschen in Berlin gegen TTIP auf die Straße gebracht hat. Dabei geht es besonders um die sogenannten Schiedsgerichte, die in dem Abkommen verankert werden sollen. Diese Gerichte würden es ausländischen Unternehmen ermöglichen, an der nationalen Justiz vorbei, gegen Entscheidungen von Regierungen zu klagen, durch die sie ihre Investitionen behindert sehen. TTIP-Kritiker sehen dadurch ein Mittel, um demokratische Entscheidungen auszuhebeln.
Auch Verbraucherschützer Klaus Müller macht sich Sorgen um eine Zukunft mit TTIP. "In den USA können sie ein Produkt auf den Markt bringen, ohne aufwendige Testschleifen zu durchlaufen, aber sie haften nachher dafür. In Europa ist das anders, sie müssen hier nach dem Vorsorgeprinzip viele Testschleifen durchlaufen. Und ich glaube, dass dieser Weg tatsächlich der bessere, der nachhaltigere ist." Genau dieses Vorsorgeprinzip sieht Klaus Müller gefährdet, sollte "TTIP falsch konstruiert werden".
EU-Kommission reagiert auf Kritik
Auf die Kritik der TTIP-Gegner versucht die EU-Kommission seit einiger Zeit zu reagieren. Jahrelang wurde der Kommission vorgeworfen, sie verhindere beispielsweise einen Einblick der Zivilgesellschaft in die geheim ablaufenden Verhandlungen. Mittlerweile können alle Abgeordneten des Bundestags aber auch allen Abgeordneten des EU-Parlaments die Verhandlungspapiere einsehen. Allerdings nur in speziellen Leserräumen. Notizen mitnehmen dürfen sie nicht. Außerdem dürfen sie mit niemandem, der die Akten nicht auch lesen darf, über den Inhalt sprechen.
Zu den wenigen Personen, die immer Zugang zu den Akten hatten, gehört der EU-Parlamentarier Bernd Lange aus Hannover. Er hat daher auch einen guten Einblick in den Verhandlungsstand. Derzeit stehe es mit dem Abkommen nicht zum Besten, meint er: "Es wird sehr schwierig werden, bei TTIP eine Einigung zu bekommen." Die Vorstellungen von EU und USA lägen bei verschiedenen Bereichen des Abkommens deutlich auseinander. Trotzdem wirbt er dafür, bis zum Ende zu verhandeln. Eine Alternative zu diesem Abkommen sieht er nicht.
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