TTIP und Schiedsgerichte: scheinheilige Kritik
"Internationale Schiedsgerichte" - für viele gleichbedeutend mit dem ultimativen Bösen: Geheimgerichte, Schattengerichte, eine regelrechte Hinterzimmerjustiz. Bei der Debatte um private Schiedsgerichte im Rahmen von Freihandelsabkommen wie TTIP wird schnell davon gesprochen, dass mächtige ausländische Konzerne gegen ganze Staaten klagen können, so die Demokratie aushebeln und den Rechtsstaat aushöhlen. Auf diesem Niveau kritisieren auch viele Kommunalpolitiker private Schiedsgerichte: Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ließ verbreiten: "Es kann nicht sein, dass Schiedsgerichte außerhalb des demokratischen Rechtsstaates über Vertragsverletzungen entscheiden." München, Köln und etwa 200 weitere Kommunen haben Resolutionen erlassen, in denen sie Schiedsgerichte ablehnen.
Deutschland meist Kläger statt Beklagter
Aber so einfach lässt sich der schwarze Peter nicht zuweisen: Meist ist nämlich der jahrelange Exportweltmeister Deutschland (bzw. ein deutscher Konzern) Kläger statt Beklagter. Und es war auch Deutschland, das 1959 zum Schutz seiner Firmen - als erste Regierung weltweit - private Schiedsgerichte ermöglichte, über einen Vertrag mit Pakistan. Seitdem hat die Bundesrepublik 130 weitere Verträge abgeschlossen. Und auch die Bilanz lässt sich sehen: Klagen gegen Deutschland: drei. Klagen gegen das Ausland von deutschen Investoren: 44.
Investoren bestehen auf Einspeisevergütungen
Das Besondere: selbst diejenigen Politiker, die Stimmung gegen Schiedsgerichte machen, befürworten auf der anderen Seite Klagen von deutschen Firmen vor den vermeintlich undemokratischen Geheimgerichten. Aktuell klagen etwa ein Dutzend deutsche Firmen gegen Spanien: Dort gab es extrem hohe Einspeisevergütungen für Ökostrom, weshalb die Deutschen vor Ort riesige Solarfelder errichteten. Wenig später kam die Schuldenkrise, Spanien stand vor der Pleite. Das Land konnte die versprochenen Milliarden für den Ökostrom nicht mehr zahlen und kürzte die Subvention. Doch die deutschen Investoren bestanden auf die versprochene Unterstützung - und klagten auf Hunderte Millionen Euro Schadensersatz - vor privaten Schiedsgerichten.
Mit zweierlei Maß gemessen
Ausgerechnet Köln und München fordern nun Geld von Spanien. Denn die Stadtwerke München und Rheinenergie aus Köln gehören zu den Investoren. Das Motto offenbar: Klagen gegen Deutschland sind rechtswidrig. Klagen von deutschen Unternehmen aber rechtmäßig. "Es ist kein Widerspruch, wenn die Stadtwerke den Weg gehen, von dem sie glauben, dass sie am Ende am ehesten zum Ziel kommen", rechtfertigt sich etwa Lydia Dietrich von der Rosa Liste der Münchner Grünen. Auch Jörg Frank von den Grünen in Köln findet die Klage vor dem privaten Schiedsgericht berechtigt: "Wenn die Rheinenergie darum kämpft, den Substanzerhalt der Firma durchzusetzen, dann ist das völlig berechtigt. Jede andere Stadt würde das auch so tun." Münchens Oberbürgermeister Reiter zieht es vor, auf eine Panorama-Anfrage bezüglich des Widerspruchs zu schweigen.
Berechtigte Kritik
Dennoch: Kritik an den Schiedsgerichten ist durchaus berechtigt. Zweifelsohne werden sie häufig von Investoren missbraucht, weiß Pia Eberhardt von der Anti-Lobby-Organisation Corporate Europe Observatory (CEO): "Wir wissen von etwa 600 Klagen weltweit, die dieses System dahingehend nutzen, dass sie alles angreifen - ob das jetzt ein Umweltgesetz ist oder eine gesundheitspolitische Maßnahme, die ihnen nicht passt."
Worauf es ankommt, ist, dass Streitfälle nicht im Verborgenen, sondern öffentlich verhandelt werden, dass staatlich bestellte Richter damit befasst sind, dass eine Berufung möglich ist und dass offensichtlich unbegründete, allein auf Erpressung zielende Klagen gar nicht erst zugelassen werden. Es liegen unterschiedlich Vorschläge auf dem Tisch, wie das umzusetzen wäre - die TTIP-Gegner haben jetzt die Chance zu zeigen, um was es ihnen wirklich geht: um Fortschritte in der Sache oder ums Rechthaben.