Weniger Aufstiegschancen für junge Leute
Am Abendbrottisch bei Günter Kraemer in Osnabrück. Mit dabei sind seine Frau, die gemeinsame Tochter Susanne mit ihrem Mann und Enkel Daniel. Drei Generationen. Drei Generationen, denen es trotz anhaltendem Wirtschaftswachstum ganz unterschiedlich geht.
Heutzutage profitieren weniger vom Wirtschaftswachstum
Die Wirtschaft in Deutschland brummt, manche sprechen sogar von einem neuen Wirtschaftswunder. Doch es ist anders als das Wirtschaftswunder der 50er und 60er Jahre. Damals konnte Günther Krämer davon profitieren.
1947 wird er in der Nähe des Osnabrücker Stahlwerks geboren, mit 16 beginnt er seine Lehre im Stahlwerk als Dreher. Ein Berufseinstieg im Wirtschaftswunder. Die Löhne wachsen im gleichen Maße, wie die Wirtschaft. Günter Kraemer macht Karriere im Werk, arbeitet sich vom einfachen Arbeiter in die Führungsebene hoch. "Beim Wirtschaftswunder damals wurden viele mitgenommen, heute weniger. Wir haben alle damals davon profitiert, dass es nach oben geht. Heute profitieren auch die Menschen davon, aber der eine mehr und der andere viel weniger", beobachtet Krämer. Und seine Erfahrungen decken sich mit den Erlebnissen vieler Menschen.
Hoffnung auf eine bessere Zukunft
Die Chance auf den sozialen Aufstieg setzte über viele Jahre große Energien frei. Und die führten zu steigender Arbeitsleistung, zu Disziplin, Verzicht und Leidensfähigkeit - immer in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Das ist ein Grundpfeiler der sozialen Ordnung im Kapitalismus. Nur dann wird eine Gesellschaft als gerecht empfunden: Wenn alle die Chance haben sich hoch zu arbeiten. Und dafür spielen auch die persönlichen Erfahrungen eine Rolle. Habe ich meinen eigenen Status und Lebensstandard verbessert, im Vergleich zu meinen Eltern oder früheren Zeiten?
Für Günter Kraemers Tochter Susanne Hänkel ist der Fall klar: "Es geht uns nicht schlecht, wir können unseren Standard halten, aber dass man jetzt irgendwie super Sprünge machen kann, weil sich irgendwas total zum positiven gewandelt hat, das kann ich nicht behaupten." Die Familie gehört nach ihrem Einkommen zur unteren Mittelschicht. Die 48-Jährige hat einen Minijob, ihr Mann arbeitet im Stahlwerk Georgsmarienhütte. Natürlich ist der Wohlstand heute größer, als zu Zeiten des ersten Wirtschaftswunders: Spülmaschine, Auto, Gefrierschrank – heute alles selbstverständlich. Doch der soziale Aufstieg, der ist den Hänkels nicht gelungen.
Großteil befristet Beschäftiger ist jünger als 35 Jahre
Ihr ältester Sohn Daniel ist 23 Jahre alt und vor kurzem ins Berufsleben gestartet. Er hat eine Lehre zum Lagerlogistiker gemacht. Die Chancen, die sein Opa Günter Kraemer während des Wirtschaftswunders hatte, die sieht er für sich nicht. Seine Zukunft erscheint eher ungewiss. Denn sein Arbeitsvertrag ist befristet. Schon zum vierten Mal. In Deutschland sind über 60 Prozent der befristet Beschäftigten jünger als 35 Jahre. Sein Opa konnte mit 23 Jahren zu Hause ausziehen. Das traut sich Daniel in seiner Situation nicht. "Ich kann mir keine eigene Wohnung nehmen, weil ich nicht ganz genau weiß, ob ich übernommen werde. Wenn ich nicht übernommen werde und hab dann eine Wohnung und das Auto, dann weiß ich nicht wie ich das bezahlen soll. Deshalb warte ich bis ich einen Festvertrag kriege."
Sein Opa machte Karriere in einer Zeit, als der so genannte "Fahrstuhleffekt" galt. Alle fuhren gemeinsam nach oben. Die gesellschaftlichen und sozialen Unterschiede wurden dadurch nicht unbedingt kleiner – aber es ging für alle in die gleiche Richtung. Heute beschreibt man die Gesellschaft eher als Rolltreppe: Sie fährt für alle nach oben oder unten. Doch auf der Rolltreppe selbst ist Bewegung entstanden. Manche laufen schneller nach oben, manche gehen auf der Stelle, andere wirft es gar zurück.