Wasserstofftechnologie - zu Unrecht in der Nische
Wenn Ove Petersen aus dem Fenster seines Hofes nach Osten blickt, dann sieht er überall Windräder. Hier in der Nähe von Reußenköge in Nordfriesland produzieren sie ständig sauberen Strom, ohne Kohlendioxid in die Luft zu pusten. Eigentlich toll, so lange nicht bei besten Windverhältnissen Anlagen abgeschaltet werden müssen, weil die Netze überlastet sind. Alleine im Jahr 2018 konnten so 5,4 Terawattstunden Strom nicht produziert werden. Energie, die dringend benötigt wird, verpufft wirkungslos.
Hier setzt Ove Petersen mit seinem Unternehmen GP Joule an. "Wir sehen eine Möglichkeit, um die Anzahl der Abschaltungen zu reduzieren." Seine Antwort auf das Problem steckt in einem grauen Überseecontainer. Hier arbeitet ein Elektrolyseur, der aus Windstrom Wasserstoff produziert. Wenn der Wind stark weht "können wir so die Energie zwischenspeichern". Solche Anlagen will Petersen bald an fünf Standorten in Nordfriesland aufbauen. Der Wasserstoff soll dann an zwei Tankstellen in Husum in Niebüll getankt werden können. Über das vom Bundesverkehrsministerium geförderte Projekt E-Farm werden auch zwei Wasserstoffbusse für den Nahverkehr angeschafft. "So entsteht ein echter Zusammenhang zwischen Windenergieerzeugung und lokaler Nutzung. Schulkinder können morgens sehen, dass Wasserstoffmobilität funktioniert", meint Over Petersen.
Lösung gegen Energieverlust?
Der einzige Haken an der Sache: Bei der Umwandlung von Strom in Wasserstoff geht in der Regel Energie verloren. Doch auch dafür will Petersen eine Lösung gefunden haben. Aus immerhin 75 Prozent der Windenergie würde Wasserstoff. Die restlichen 25 Prozent könne man als Wärme der Nahwärmeversorgung zuführen. Im Grunde geht so "eigentlich gar keine Energie verloren", meint Ove Petersen.
Aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums sind die Elektrolyseure allerdings keine Lösung, um Überschussenergie in Form von Wasserstoff zu speichern. Diese seien "sehr kapitalintensive Anlagen, die für eine wirtschaftlichen Betrieb eine möglichst hohe Auslastung benötigen. Mit "Überschussstrom" ist aber eine hohe Auslastung nicht zu erreichen, dafür gibt es zu wenig "Überschussstrom", weil dieser örtlich und zeitlich verschieden anfiele. Der Ausbau der Stromnetze wäre wesentlich sinnvoller, um den überschussigen Strom abzuführen.
Wasserstoff - Modell der Zukunft?
Nicht nur für Ove Petersen geht das nicht weit genug. Auch für den Hamburger Wirtschaftssenator Michael Westhagemann steckt im Wasserstoff die Zukunft. "Dass wir Windräder abschalten, obwohl wir Strom gewinnen könnten, ist doch volkswirtschaftlich nicht vertretbar und das heißt für mich, wir müssen etwas entwickeln und das heißt für mich: Wir produzieren Wasserstoff." Denn der grüne Strom geht nicht nur verloren. Die Wind- und Solaranlagenbetreiber bekommen eine Entschädigung, wenn eine Ihrer Anlage abgeschaltet wird. Die Entschädigungszahlungen haben sich von 2009 bis 2018 mehr als verhundertfacht, auf 635 Millionen Euro (2018).
So werde der Druck etwas zu tun immer größer, meint Michael Westhagemann. Denn, im Gegensatz zum Bundeswirtschaftsministerium, ist er der Meinung: "Wir werden in den nächsten Jahren nämlich nicht die Netzanbindung von Nord- nach Süddeutschland hinbekommen." Zusammen mit den anderen norddeutschen Bundesländern hat er Strategiepapier zum Wasserstoff vorgelegt.
Serien-PKW's nach wie vor teuer
Auch die Bundesregierung in Berlin scheint sich langsam zu bewegen. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert seit Mitte des Jahres unter anderem "Reallabore". Das Bundesverkehrsministerium pumpt nun schon seit vielen Jahren hunderte Millionen Euro in Forschungsvorhabe zur Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, aber es fehlt ein großer Plan. Für Ende des Jahres ist nun immerhin eine gemeinsame Wasserstoffstrategie der Regierung angekündigt.
Noch fristen Wasserstofffahrzeuge ein Nischendasein. Anfang des Jahres waren rund 400 Autos mit einer sogenannten Brennstoffzelle in Deutschland angemeldet, bei 57 Millionen Kraftfahrzeugen insgesamt. Serien-PKW kosten noch 60.000 Euro und aufwärts. Zwar gibt es hierzulande mittlerweile nur rund 70 Wasserstofftankstellen, aber es werden ständig mehr.
Wasserstoff ist besonders für schwere Fahrzeuge eine Lösung, um ohne CO2-Ausstoß unterwegs sein zu können. Das haben Jörg Ackermann und seine Kollegen vom Schweizer "Förderverein H2 Mobilität" schon vor einer ganzen Weile erkannt. Am Anfang stand das Ziel des großen Schweizer Lebensmittelhändlers COOP, bis 2023 komplett CO2-frei unterwegs zu sein. Ein Teil der Strategie waren Batterielastwagen, doch die erwiesen sich auf längere Distanzen und im hügligen Gelände als wenig tauglich. Es blieb der LKW, bei dem eine Brennstoffzelle ständig aus Wasserstoff Strom produziert und einen Elektromotor antreibt.
"CO2-frei zu werden ist ein gesellschaftliches Thema"
Um etwas erreichen zu können, initiierte Jörg Ackermann eine beispiellose Allianz aus mittlerweile 16 Schweizer Unternehmen. Sie stammen aus dem Transport-, Lebensmittelhandel- und Tankstellengeschäft. Darunter sind mehrere Konkurrenten, die ein Ziel eint. "CO2-frei zu werden ist ein gesellschaftliches Thema. Es haben alle die gleiche Thematik und insbesondere die Transporteure suchen nach Lösungen, um das CO2 von der Straße zu bringen." Doch wo sollten die Wasserstofflastwagen herkommen? "Wir haben alle großen europäischen Fahrzeugherstellern besucht. Niemand wollte für uns einen solche LKW herstellen", sagt Jörg Ackermann.
Bei Hyundai in Korea dagegen wären sie mit offenen Armen empfangen worden, meint der Manager. Die Schweizer und Hyundai beschlossen eine beachtenswerte Zusammenarbeit. Hyundai verpflichtet sich bis 2023 1.000 schwere Wasserstofflastwagen in die Schweiz zu liefern, um Sie dort den Unternehmern gegen Bezahlung zu Verfügung zu stellen. Bis 2025 sollen es später sogar 1.600 LKWs werden. Die Schweizer sagten im Gegenzug einen schnellen Ausbau des Wasserstoff-Tankstellennetzes zu. Für die Schweizer lohnt sich das, auch weil staatliche Abgaben für Diesel-LKWs beim Betrieb eines Wasserstoff-LKWs wegfallen. Der erste H2-Lastwagen soll Ende des Jahres kommen.
Den Strom für die Tankstellen kommt übrigens aus Wasserstoffkraftwerken in der Schweiz. Denn auch hier gibt es Überschuss, wie Philipp Dietrich von der Firma H2 Energy erläutert. "Es ist natürlich so, dass der Strombedarf im Netz nicht immer gleich ist. Sondern es gibt eben Phasen, wo ich sehr viel Strom im Netz brauche. Und da kann ich den Elektrolyseur abschalten. Und wenn ich eben weniger Strom brauche, kann ich hier den Strom umsetzen und speichern." Aus diesem Strom macht Philipp Dietrich dann Wasserstoff für die LKWs.