Suchtkranke: Kaum Geld für einfache Hilfsangebote

Sendedatum: 15.10.2024 21:15 Uhr

Für viele Suchtkranke ist der Weg zurück in den Alltag oft sehr steinig. Häufig fehlt es an Hilfe wie Beratungsstellen oder Drogenkonsumräumen. Ein Grund ist die unsichere Finanzierung.

von Kathrin Muckel und Saïda Belaatel

"Das erste Mal Heroin war schön. Es war halt ein schönes Gefühl. Aber wenn du dann nach dem dritten oder vierten Mal merkst du kannst nicht mehr ohne, dann ist es halt nicht mehr schön." Franzi ist 37. Seit knapp 20 Jahren ist sie mal clean, dann nimmt sie wieder Drogen. Sie hatte viele schwere Krisen, hat auch mehrere Jahre auf der Straße gelebt.

Franzi ist 37. Seit knapp 20 Jahren ist sie mal clean, dann nimmt sie wieder Drogen. © Screenshot
Mehr als 20 Jahre ist Franzi mal clean, dann nimmt sie wieder Drogen. Hilfe hat sie in der Wohnstätte Sonnenhof gefunden.

Heute lebt Franzi im Sonnenhof, einer Wohnstätte der Paritätischen Suchthilfe Niedersachsen. Hier lernt sie wieder einen Alltag zu führen, hat einen klaren Tagesablauf. Das Ziel: Die Bewohnerinnen und Bewohner sollen gemeinsam etwas schaffen: den Hof am Laufen halten. Franzi arbeitet abwechselnd im Garten oder in der Spülküche.  

"Wenn ich nicht hier wäre, wäre ich vielleicht schon tot", sagt die ausgebildete Pflegerin. Der Sonnenhof ist für sie die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Doch bis Betroffene überhaupt hierherkommen können, ist es oft ein langer Weg. Auch Franzi sagt: Ohne die Hilfe eines Streetworkers hätte sie es nicht bis hierher geschafft.  

Gesetzlich gesicherte Finanzierung für Hilfsangebote fehlt

Einrichtungen wie der Sonnenhof sollen Suchtkranke zurück in einen Alltag helfen. Sie sind Teil der Eingliederungshilfe und im Bundesteilhabegesetz geregelt. Das sichert auch die Finanzierung der Wohnstätten. Aber um in eine solche Einrichtung vermittelt zu werden, braucht es erstmal leichter zugängliche Hilfe. Deshalb bieten niedrigschwellige Angebote eine erste Anlaufstelle für Betroffene.

Dazu zählen beispielsweise ambulante Beratungsstellen, in denen sich Suchtkranke ohne große Hürden - wie beispielsweise einem vorherigen Antrag beim Amt - sofort und auf Wunsch auch anonym Hilfe suchen können. Das Problem: Für diese niedrigschwelligen Angebote gibt es keine gesetzlich gesicherte Finanzierung. Viele sind eine freiwillige Leistung der Kommunen - und die sparen in ihren Haushaltsplänen. 

Ein solches niedrigschwelliges Angebot ist das Stellwerk. Am Hauptbahnhof in Hannover bietet es ein Kontaktcafé, Duschen und eine Beratungsstelle. Die ist für Viele der erste Schritt raus aus der Sucht. Wer möchte, kann dann in Wohnstätten der Eingliederungshilfe wie den Sonnenhof oder in eine Entgiftung vermittelt werden.  

Nur wenige Drogenkonsumräume in Norddeutschland

Fabienne Kuschel und Corinna Heinemann von Stellwerk Hannover. © Screenshot
"Konsumräume retten definitiv Leben." Fabienne Kuschel und Corinna Heinemann arbeiten beim Stellwerk Hannover. Dort gibt es den einzigen Konsumraum Niedersachsens.

Im Stellwerk gibt es außerdem einen Konsumraum, auch Druckraum genannt. Hier können Suchtkranke ihre mitgebrachten Drogen unter Aufsicht nehmen - mit sauberem Konsumbesteck wie Löffel und Spritzen für Heroin. Sie sollen sich nicht mit Krankheiten anstecken - und im Notfall medizinische Hilfe bekommen können. Sanitäterinnen und Sanitäter sind immer vor Ort, einmal die Woche kommt außerdem ein Arzt. "Konsumräume retten definitiv Leben", mahnt Fabienne Kuschel vom Stellwerk Hannover. Ihre Kollegin Corinna Heinemann ergänzt: "Wir sind ja hier in Niedersachsen der einzige Konsumraum. Das bedeutet, dass Menschen aus ganz Niedersachsen nach Hannover anreisen müssen, um einen legalen Raum zum Konsum zu haben." 

Bundesweit gibt es 31 Drogenkonsumräume. In Norddeutschland entstand der erste vor dreißig Jahren in Hamburg. Mittlerweile sind es dort vier. Die Bundesländer Niedersachsen und Bremen haben jeweils einen. Zwei weitere sind in Lüneburg und in Kiel (Schleswig-Holstein) geplant. Bis das konkret wird, könnte es aber noch dauern, zum Beispiel weil ein Drogenkonsumraum in der Nachbarschaft oft unerwünscht ist. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es keinen einzigen Drogenkonsumraum und es ist auch in Zukunft keiner geplant. Hier fehlt auch die notwendige rechtliche Grundlage, um einen Konsumraum überhaupt erst auf den Weg zu bringen. 

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen warnt vor mangelnder Versorgung

Christina Rummel von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. © Screenshot
Christina Rummel von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen: Suchtberatungen müssen "auskömmlich finanziert" sein.

Konsumräume zählen zum niedrigschwelligen Suchthilfeangebot und bieten oft einen ersten Einstieg ins Hilfesystem. Die Finanzierung des Hilfesystems steht aber auf wackligen Beinen. Gut 75 Prozent der niedrigschwelligen Suchtberatungsstellen gehen davon aus, dass das Geld in diesem Jahr nicht ausreicht. Das geht aus einer Umfrage der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) hervor. Sie hat alle niedrigschwelligen Beratungsstellen in Deutschland zu ihrer finanziellen Situation befragt.

Christina Rummel von der DHS warnt: "Einige Beratungsstellen haben schon geschlossen. Weitere stehen vor der Schließung. Ganze Landstriche können dann nicht mehr versorgt werden. Menschen mit einer Suchterkrankung brauchen diese Hilfe aber vor Ort. Wenn das vor Ort nicht mehr gegeben ist, haben wir gesamtgesellschaftlich ein ganz großes Problem."

Rummel: Suchtberatungen müssen "auskömmlich finanziert" sein

Doch für die kommenden Jahre planen die Kommunen sogar weniger Geld für die niedrigschwellige Suchthilfe ein. "Das Hauptproblem ist, dass es eine freiwillige Leistung ist. Kommunen sind nicht dazu verpflichtet, Suchtberatungsstellen auskömmlich zu finanzieren. Das ist immer abhängig auch von der Haushaltslage der Kommunen und der Länder. Und das muss sich ändern. Es muss eine Pflichtleistung werden, damit Suchtberatungsstellen auch auskömmlich finanziert sind", betont Rummel. 

Damit die Finanzierung der niedrigschwelligen Suchtberatung eine Pflichtleistung werden kann, hat die DHS konkrete Vorschläge ausgearbeitet. Beispielsweise könnte die Finanzierung durch eine Förderung der gesetzlichen Krankenkassen erfolgen. Eine weitere Idee wäre ein ganz neues Bundesgesetz, ähnlich zur Schwangerschaftskonfliktberatung. Für beides wäre eine Gesetzesinitiative auf Bundesebene erforderlich.

Bund: Finanzierung soll weiterhin Aufgabe der Kommunen sein

Bundesdrogenbeauftragter Burkhard Blienert (SPD) © Screenshot
Bundesdrogenbeauftragter Burkhard Blienert (SPD): Keine politischen Mehrheiten.

Doch das scheint in Berlin noch weit weg. Der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert (SPD) ist pessimistisch: "Dafür würde es keine politische Mehrheit geben. Wir können nicht mehr Schritte gehen als das, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Wir müssen alle gemeinsam an Lösungen arbeiten, wie man diese Ziele umsetzen kann." Das bedeutet: Laut Bund soll die Finanzierung Aufgabe der Kommunen bleiben. Der Bund stehe zwar für Gespräche bereit, Geld könne man aber nicht versprechen.  

Gäbe es mehr politische Bereitschaft für eine gesicherte Finanzierung der niedrigschwelligen Suchthilfe, dann hätten vermutlich auch mehr Menschen die Chance in einen Alltag zurückzufinden. "Es müsste viel mehr Angebote geben wie Druckräume", findet auch Franzi. Sie ist sich sicher, hätte sie früher die richtige Hilfe bekommen, wäre sie heute schon an einem anderen Punkt.  

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 15.10.2024 | 21:15 Uhr

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