Steigende Corona-Zahlen: Herausforderungen für Pflegeheime
Wenn von einem Tag auf den anderen 30 Prozent des Personals eines Pflegeheims in Quarantäne müssen, ist das kaum auszugleichen. Und auch sonst stellt das Infektionsgeschehen die Einrichtungen vor Probleme.
Der Innenhof im Pflegeheim Sonnenkamp ist leer, kein Bewohner zu sehen. Heimleiterin Susanne Palermo musste alle Bewohner in die Quarantäne schicken, keiner darf das Zimmer verlassen. Nur durch einen Zufallsbefund erfährt sie vor gut zwei Wochen, dass eine Bewohnerin an Covid-19 infiziert ist. Sie weiß bis heute nicht, wie es zu der Ansteckung kommen konnte. Man habe sich an alle Vorschriften gehalten: "Wir hätten nichts ändern können. Wir haben alle Maßnahmen eingehalten, es gab keine andere Möglichkeit." Das Gesundheitsamt ordnet weitere Tests an. Am Ende werden 37 Bewohner und 17 Mitarbeiter positiv auf Corona getestet.
"Nachts nicht geschlafen"
Von einem Tag auf den anderen gehen 30 Prozent des Personals im Pflegeheim Sonnenkamp in Quarantäne. Ein Riesenproblem, denn obwohl in ihrem Haus ausreichend Pflegekräfte arbeiten, kann sie diesen Ausfall nicht ausgleichen. "Wir haben nachts nicht geschlafen. Jeder hat überlegt, ob er noch einen kennt, der zwei Hände und zwei Füße hat. Da geht nur jonglieren, von Schicht zu Schicht."
Eine große Herausforderung in einer ohnehin schon angespannten Situation: "Die letzten zwei Wochen waren für uns alle wirklich sehr, sehr großer Stress - und eigentlich eine absolute Katastrophe." Seit dem Ausbruch plant Susanne Palermo die Abläufe im Heim von Tag zu Tag neu und versucht das Leben so normal wie möglich zu gestalten. Doch eine Gemeinschaft wie vorher, gibt es kaum noch. Die Bewohner dürfen das Heim nicht verlassen, essen auf den Zimmern und halten den Kontakt zu ihren Verwandten meist per Telefon. Das sei einsam, doch derzeit gäbe es keine andere Option, weiß die Heimleiterin.
"Das wäre für mich tödlich"
Marta Sarstedt wohnt seit zweieinhalb Jahren in dem Pflegeheim Sonnenkamp. Sie ist bisher negativ getestet und hat großes Verständnis für die Einschränkungen im Heim: "Da müssen wir jetzt durch. Aber ich fühle mich dadurch geschützt. Wenn sie jetzt alle durcheinander laufen ließe, das wäre ja für mich tödlich."
Mittlerweile sind zwei Bewohner im Heim gestorben. Für alle zusätzlich eine große psychische Belastung. Denn die Pflegekräfte arbeiten in dieser schwierigen Situation am Rande ihrer Belastungsgrenze. Pflegefachkraft Thorsten Beisert ist direkt auf der Corona-Station, bislang wurde er jede Woche negativ getestet. So eine Situation hat er noch nie in seiner 20-jährigen Berufspraxis als Pflegefachkraft erlebt. Für ihn ist aber klar, seine professionelle Ausbildung hilft ihm oft all das mit Distanz zu sehen.
Das Wichtigste für Susanne Palermo ist, dass alle schnell wieder gesund werden: "Ich gehe jeden Tag in alle Bereiche und frage, wie es ihnen geht. Und ich bin jeden Tag erleichtert, wenn es ihnen besser geht. Die ersten Tage waren die schlimmsten." Seit dem Ausbruch werden jeden Freitag Bewohner und Pflegekräfte getestet. Eine Anordnung des Gesundheitsamts. Diese Woche ist es das dritte Mal. Susanne Palermo hofft, dass es das letzte Mal ist und das keine weiteren Corona-Fälle dazukommen. Wenige Tage ist die Enttäuschung jedoch groß. Die Testergebnisse offenbaren: Wieder haben sich vier Patienten und eine Pflegekraft infiziert.
Neue Tests für mehr Sicherheit
Damit zukünftig Ausbrüche in Pflegeheimen von vornherein verhindert werden können, hat das Bundesgesundheitsministerium im Oktober eine Verordnung für Corona Schnelltests verabschiedet. Jetzt können Pflegeheime ihre Bewohner, das Pflegepersonal und auch Besucher jede Woche testen. Innerhalb weniger Minuten kann so das Coronavirus auf dem Teststreifen direkt vor Ort nachgewiesen werden. Ein großer Vorteil zu den bisherigen Tests, die ausschließlich in Laboren ausgewertet werden. Und obwohl die Aussagekraft der Schnelltests nicht hundertprozentig sicher ist, geben sie erstmal Sicherheit.
Aber ein großes Problem ist, dass die Corona-Schnelltests von Pflegefachkräften, Arzthelfern oder Ärzten durchgeführt werden müssen. Ein Pflegeheim muss dem Gesundheitsamt sein Konzept für Testungen vorlegen, erst dann kann es die Schnelltests in den Einrichtungen durchführen.
Das Personal für die Tests fehlt
Heimleiter Michael Sackmann vom Teresienhof in Hildesheim meint: "Es ist grundsätzlich eine gute Sache, dass Testungen durchgeführt werden. Es schafft vielleicht im Moment ein Stück Sicherheit, dass man sagen kann, in dieser Woche sind alle Corona frei." Ein Problem sieht er jedoch bei der Umsetzung der Schnelltests. "Wir versuchen es erst mal hausintern umzusetzen, aber für uns ist es auch klar: Eine langfristige Testung kann nicht vom eigenen Personal geschehen."
Für sein Heim veranschlagt er ungefähr 200 Tests pro Woche, allein für eine Testung von Bewohnern und Personal. Das würde bedeuten, dass fast zwei Pflegefachkräfte nur damit beschäftigt wären, die Tests durchzuführen. Ein zeitlicher Aufwand, den sein Heim auf Dauer nicht leisten kann. Außerdem möchte er seinem Personal diese zusätzliche Verantwortung nicht auch noch zumuten. Michael Sackmann ist gleichzeitig Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Hildesheimer Altenheime. Blickt er auf die jetzige Situation in den umliegenden Pflegeheimen merkt er: "Letztendlich rächt es sich jetzt, weil wir es immer noch nicht geschafft haben, auch politisch gesehen, mehr Mitarbeiter in der Pflege zu haben." Er hofft jetzt, dass sein Heim, trotz aller Herausforderungen, die nächsten Monate ohne einen Corona Ausbruch überstehen wird. Obwohl er genau weiß, dass der Winter noch nicht einmal begonnen hat.