Stand: 15.05.2018 14:51 Uhr

Regierung: Geheimnis um ein Geschenk für Verleger

von Philipp Hennig und Kaveh Kooroshy

Union und SPD haben im Koalitionsvertrag beschlossen, den Arbeitgeberanteil für die Rentenversicherung bei minijobbenden Zeitungszustellern deutlich abzusenken. Doch von wem der Vorschlag kam, verraten sie nicht.

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Sonderregelung für nur eine Branche

Die Parteivorsitzenden der Horst Seehofer, CSU, Angela Merkel, CDU, und Martin Schulz, SPD, im Portait. © Imago Foto: Imago/Jens Jeske
Einigten sich auf die Kürzungen für Zeitungszusteller: Horst Seehofer (l.), Angela Merkel und Martin Schulz.

Es ist nur ein kleiner Absatz im Koalitionsvertrag auf Seite 91. Dort heißt es: "Zur Sicherung der bundesweiten Versorgung mit Presseerzeugnissen für alle Haushalte [...] wird bei Minijobs von Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern der Beitrag zur Rentenversicherung, den die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu tragen haben [...] von 15 auf 5 Prozent abgesenkt."

Künftig sollen Zeitungsverlage damit Geld sparen können. Die genaue Höhe der geplanten Ersparnis ist noch unklar. Nur für diese Branche in Deutschland gilt die Sonderregelung. Doch wer hat sich diese Sonderregelung ausgedacht? Wer aus der Großen Koalition hat den Absatz in den Koalitionsvertrag verhandelt?

Urheber: Unbekannt

Ausgehandelt wurde der Koalitionsvertrag in verschiedenen Arbeitsgruppen. Panorama 3 hat alle Mitglieder der zuständigen Arbeitsgruppe kontaktiert. Wie genau der Absatz in den Koalitionsvertrag gekommen ist, konnte uns keiner sagen. Doch viele Mitglieder der Arbeitsgruppe erklärten: Die Arbeitsgruppe hat bei dieser Sonderreglung nicht wie sonst üblich den Inhalt verhandelt.

Mitglieder der Arbeitsgruppe © NDR Foto: Screenshot
CDU-Mitglieder der Arbeitsgruppe verweisen auf die SPD - jedoch nicht offiziell.

Der Absatz auf Seite 91 war offenbar Chefsache: Die damaligen Parteivorsitzenden - Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) - sollen den Absatz beschlossen haben. Doch wer für die Sonderregelung gekämpft hat, das will uns auch nach mehrfacher Anfrage niemand sagen. Nur hinter vorgehaltener Hand erklären mehrere Unions-Politiker, dass die SPD an vielen Verlagen beteiligt sei und sie möglicherweise ein Eigeninteresse an dieser Sonderregelung verfolgen könnte.

War es wirklich die SPD?

Sarah Karczewski © NDR Foto: Screenshot
Sarah Karczewski, Zustellerin und SPD-Mitglied, war enttäuscht - und hakte bei ihrer Partei nach.

Zum Parteiprofil der SPD passt die Sonderregelung eigentlich nicht. Gerade deshalb ist die Empörung unter SPD-Mitgliedern besonders groß: Sarah Karczewski ist Mitglied der SPD, Zeitungszustellerin und Betriebsrätin. Sie sagt: "Ich bin enttäuscht, mächtig enttäuscht sogar über den Umgang, der da betrieben wird. Es wird sich überhaupt nicht um das Schicksal der Zeitungszusteller gekümmert." Sie hat ihrer Partei deshalb einen Brief geschrieben und wollte auch wissen: Wer ist verantwortlich?

Und sie hat Antwort bekommen - von der Bundestagsfraktion der SPD. In der Antwort schreibt die SPD: "Die kritisierte Regelung wollte die Union unbedingt - wir nicht." Und weiter: "Diese Regelung befindet sich auf Wunsch der CDU im Koalitionsvertrag - auch wenn die CDU momentan in der Öffentlichkeit versucht dies mit einer fadenscheinigen Gegenargumentation zu dementieren." Wir fragen bei der Kanzlerin nach, doch auch hier: keine Bestätigung. Die Geheimhaltung nimmt groteske Züge an.

Oder doch die CSU?

Eine Spur führt zu Horst Seehofer. Im vergangenen Jahr kritisierte der Vorsitzende des Verbands der Bayerischen Zeitungsverleger die Ausgestaltung des Mindestlohns im Bereich der Zeitungszustellung und erklärte, dass eine Kostenentlastung hier dringend erforderlich sei. Auf der gleichen Veranstaltung sicherte Horst Seehofer den Verlegern zu, sich für ihre Anliegen einzusetzen: "Die bayerische Staatsregierung wird Sie dabei unterstützen; darauf können Sie sich verlassen." Wir fragen Seehofer, ob er mit der Sonderregelung sein Versprechen aus vergangenem Jahr eingelöst habe. Doch auch hier nur eine ausweichende Antwort: "Zum Ablauf der Koalitionsverhandlungen geben wir grundsätzlich keine Stellungnahme ab."

Keine Auskunft für die Opposition

Markus Kurth © NDR Foto: Screenshot
Markus Kurth von den Grünen fragte nach, auf eine Antwort wartet er bis heute.

Das weiß auch Markus Kurth, Bundestagsabgeordneter der Grünen. Er wollte von der Bundesregierung wissen, wie die Entscheidung konkret umgesetzt werden soll und stellte eine schriftliche Anfrage. Eine Antwort bekam er nicht. Das kann Markus Kurth nur schwer nachvollziehen: "Die Auskunftsrechte sind uns ja als Abgeordnete verfassungsgemäß zugeschrieben. Das ist ja unser Job, die Regierung zu kontrollieren."

Zusteller als Leidtragende?

Und so bleibt die Frage der Verantwortlichen weiter unbeantwortet. Doch was bedeutet das konkret für die Betroffenen? Panorama 3 hat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales nachgefragt, wie die Regelung umgesetzt werden soll. Schriftlich teilt das Ministerium mit, dass "seitens der Bundesregierung noch keine Entscheidung gefallen" sei, "in welcher Weise die Koalitionsvereinbarung zu der Entlastung der Arbeitgeber von geringfügig beschäftigten Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern umgesetzt wird." Konkret: Im schlimmsten Fall müssen die Zeitungszusteller in Zukunft selbst draufzahlen.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 15.05.2018 | 21:15 Uhr

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