"Das ist wie ein Todesurteil"
Als die Militärpolizei an seiner Haustür in Damaskus klingelt, ist Rami* zum Glück nicht daheim. Seinen Einberufungsbefehl hat er erst kurz zuvor erhalten - und auf ihn wartet in der Armee von Baschar al-Assad der sichere Tod. Denn: Alle, die wie Rami ihre Wehrpflicht absolviert haben, werden wieder eingezogen - als Kanonenfutter, in den vordersten Reihen, so munkelt man. "Das ist wie ein Todesurteil", erzählt Rami. "Nur ein bis zwei Prozent kehren nach Hause zurück." Doch die meisten sieht man nie wieder.
Ramis Vater ruft ihn an und warnt ihn: Er soll Syrien auf der Stelle verlassen. Rami packt seine wichtigsten Dokumente in einen Rucksack, Zeugnisse, Beglaubigungen, Abschlüsse. Viel kann er auf seiner Flucht nicht mitnehmen. Und seine Familie wird er zurücklassen müssen. Rami begibt sich in die libanesische Hauptstadt Beirut, fliegt von dort mit der nächsten Maschine in die Türkei.
Der Bürgerkrieg verändert alles
Sein altes Leben muss er zurücklassen: 31 Jahre alt ist Rami, Anwalt in Damaskus. Seine Kanzlei hat drei Angestellte, er ist spezialisiert auf Immobilienrecht. Das ist praktisch, denn sein Vater Jamal arbeitet als Makler. Der Familie geht es gut, sehr gut sogar. Nach Feierabend geht Rami seiner Leidenschaft nach und trainiert Bodybuilding. Mit Freunden macht er Ausflüge, fährt in andere Städte, ans Meer - manchmal mit seinem Dienstwagen, einem Mercedes. Er liebt sein Leben, seinen Lifestyle, wie er sagt. Wer sich aus politischen Angelegenheiten raushält, kann ein angenehmes Leben führen.
Doch als der Krieg in Syrien ausbricht, verändert sich alles, die Sicherheitslage verschlechtert sich massiv - auch in Ramis Viertel im Zentrum von Damaskus. Immer wieder finden Bombardements mit Mörsergranaten von Seiten des Regimes statt, erzählt er. Und von der anderen Seite kommen Angriffe der Artillerie der Freien Syrischen Armee. Eine Freundin wird unter ihrem Haus begraben, gemeinsam mit ihrer Tochter, und ein Freund auf der Straße erschossen - zwei Beispiele von vielen. Jeden Tag wird es schwieriger zu leben - und zu überleben. Und dennoch geht das Leben geht weiter mit dem Alltag und manchmal auch mit Spaß.
Die Eltern nicht im Stich lassen
Doch die unterschwellige Angst wächst, das Straßenbild verändert sich: Immer mehr Militär, Checkpoints, seltsame Gruppierungen. Und Arbeit? Gibt es nicht mehr - wer braucht schon einen Immobilienanwalt mitten im Krieg? Die meisten Häuser in seiner Nachbarschaft sind zerbombt.
Syrien verlassen will Rami dennoch nicht. Solange es geht, will er bei seinen Eltern bleiben. Denn seine zwei Schwestern sind bereits geflüchtet, mit ihren Ehemännern und Kindern. Fifi ist in Dänemark, Rasha in Österreich. Sein jüngerer Bruder ist zwar noch da, studiert Englisch im dritten Jahr. Aber als ältester Sohn fühlt sich Rami für seine Eltern verantwortlich. Sein Vater ist sehr krank und soll am Herzen operiert werden. Rami weiß, wenn er geht, wird er ihn und seine Mutter Samar vielleicht nie wieder sehen. Doch nach dem Anruf seines Vaters weiß Rami: Es geht nicht mehr anders.
Ein alter Traum: Deutschland
Doch wohin nun? Am liebsten will Rami nach Deutschland: Es ist ein alter Traum von ihm, dorthin zu reisen. Nicht nur weil er ein großer Fan der deutschen Nationalmannschaft und auch des FC Bayern ist. Hier erhofft Rami sich die besten Chancen für einen Neuanfang. Er hat gehört, dass die Deutschen sehr hilfsbereit seien, die Menschenrechte achten. Dass er hier schnell seine Abschlüsse anerkennen lassen und ein eigenständiges Leben beginnen könne. Doch das bedeutet, dass er irgendwie dorthin kommen muss - ohne offiziell über andere europäische Länder zu reisen. Denn dann würde er von Deutschland dorthin zurück geschickt.
Ohne Schlepper geht es nicht
Also braucht er einen Schlepper. Ungefähr 5.000 Euro soll es kosten, das hat er auf den Straßen von Mersin gehört. Viel Geld: "1.000 Euro sind fast 300.000 syrische Lire. In Syrien musste ich dafür vier bis fünf Monate arbeiten", erzählt Rami. Seine Eltern schicken ihm manchmal etwas Geld, sein Auto und andere Wertgegenstände haben sie dafür verkauft. Denn die Flucht wird viel teurer als gedacht - und braucht sehr viel länger.
Über ein halbes Jahr wird er unterwegs sein. Seine Hoffnung: "Lasst uns meine Geschichte erzählen und hoffen, dass andere etwas davon lernen können. Ich wünsche mir, dass die Menschen verstehen, was ich und die vielen anderen auf uns nehmen, um ans Ziel zu kommen, um in Frieden zu leben."
* Name von der Redaktion geändert