Stand: 06.06.2019 11:30 Uhr

Plagiat: Hamburgs Ex-Innensenator Neumann verliert Doktortitel

von Robert Bongen und Stefan Buchen

Der ehemalige Hamburger Innensenator Michael Neumann (SPD) hat seinen Doktortitel verloren. Die Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg (HSU/UniBw), an der Neumann 2017 zum Doktor der Politikwissenschaften promoviert worden war, hat ihm den Titel aberkannt. Das hat das NDR Magazin Panorama 3 aus internen Kreisen erfahren. Eine offizielle Bestätigung für die Aberkennung war von der HSU/UniBw nicht zu erhalten. Die Hochschule bleibe bei ihrer Position, "keine Stellungnahme abzugeben", teilte ein Sprecher auf Anfrage des NDR mit.

VIDEO: Plagiatsverdacht gegen Ex-Innensenator Neumann (3 Min)

"Sich gern bei fremden Texten bedient"

Im Juli 2018 hatte Panorama 3 enthüllt, dass der SPD-Politiker seine Doktorarbeit in Teilen abgeschrieben und Quellen seines Textes falsch angegeben haben könnte. In dem öffentlich zugänglichen PDF-Dokument der Promotionsarbeit lässt sich etwa nachvollziehen, dass Neumann einige Passagen aus dem Internet, etwa dem Online-Lexikon "Wikipedia", kopiert hat, ohne die Quellen zu kennzeichnen.

Der Jurist Prof. Gerhard Dannemann von der Berliner Humboldt-Universität, Mitarbeiter der Plattform "VroniPlag Wiki", die sich auf das Aufspüren von Plagiaten in wissenschaftlichen Arbeiten spezialisiert hat, hatte damals auf Anfrage von Panorama 3 die Arbeit geprüft und Dutzende Plagiate festgestellt. Bei dem Verfasser scheine es sich um jemanden zu handeln, "der sich gern bei fremden Texten bedient", sagte Dannemann. Ähnliche Erkenntnisse hat nun offenbar ein Prüfungsausschuss der Bundeswehr-Universität gewonnen. Wie der NDR erfuhr, gehen die Befunde der hauseigenen Prüfer sogar deutlich über die ursprünglichen Verdachtsmomente hinaus. Demnach soll Neumann umfänglich aus zwei anderen Doktorarbeiten abgeschrieben haben, ohne seine Quellen anzugeben.

Hin und her bei der Überprüfung des Falls

Nach den NDR Recherchen hatte der damalige Präsident der HSU/UniBw nach Aufkommen der ersten Verdachtsmomente der eigentlich zuständigen sozialwissenschaftlichen Fakultät den Fall entzogen und das Gremium zur Überprüfung wissenschaftlichen Fehlverhaltens unter der Leitung der Juraprofessorin Margarete Schuler-Harms mit der Prüfung betraut. Dieses Gremium kam auch nach Monaten zu keiner Entscheidung. Schließlich scheint sich dann doch wieder die zuständige Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit Neumanns Arbeit befasst zu haben. Und dort kam man offenbar zu dem Ergebnis, dass der Doktortitel abzuerkennen ist.

Der ehemalige Innensenator Michel Neumann © picture alliance / dpa Foto: Georg Wendt
Michael Neumann war von 2011 bis 2016 Innensenator in Hamburg.

Michael Neumann war von 2011 bis 2016 Hamburgs Innensenator. In seiner Amtszeit fällte er umstrittene Entscheidungen. So erklärte er das Schanzenviertel und angrenzende Stadtteile zum "Gefahrengebiet", in dem Polizisten ohne Anfangsverdacht Personen kontrollieren durften. Diese Entscheidung wurde später vom Oberverwaltungsgericht als unrechtmäßig bewertet. Seinen Rücktritt begründete Neumann, Jahrgang 1970, mit "Amtsmüdigkeit". Genauere Gründe für seinen Rückzug aus der Politik wurden nie bekannt. Die 274-seitige Doktorarbeit mit dem Titel "Länderneugliederung im deutschen Föderalismus am Beispiel des Nordstaates" legte Neumann dann in relativ kurzer Zeit vor.

Die Helmut-Schmidt-Universität tut sich mit dem Fall offenbar schwer. Sie ist ein SPD-Biotop, und mächtige Freunde sollen sich für Neumann eingesetzt haben. So soll der Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs, der unter Eingeweihten als "heimlicher Präsident der Uni" gilt, im Bundesverteidigungsministerium zugunsten Neumanns interveniert haben. Kahrs reagierte auf Anfragen dazu nicht. Der Doktortitel war wohl trotz solcher Unterstützung nicht zu halten. Zu schwer wogen die Beweise gegen den Verfasser.

Weiter unterwegs im Auftrag der Universität

Aber ganz ohne Wirkung scheint die Fürsprache nicht gewesen zu sein. Neumann ist nach wie vor als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Range eines Bundesbeamten an der Helmut-Schmidt-Universität beschäftigt. Die hat ihn im Januar 2019, als die Überprüfung seiner Doktorarbeit noch lief, mit der Bearbeitung eines Forschungsprojekts in den USA beauftragt. Das geht aus der Antwort des Bundesverteidigungsministeriums auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz (Die Linke) hervor. Für dieses Projekt sei ein Doktortitel nicht unbedingt erforderlich, lässt das Ministerium wissen. Ein Abschluss als Diplompolitologe reiche aus. Und den hat Neumann schon vor seiner Zeit als Senator erlangt, ganz legal. Mittlerweile soll er bereits in die USA gereist sein und seine Arbeit aufgenommen haben. Dort, in Norfolk im Bundesstaat Virginia, soll Gerüchten zufolge inzwischen auch seine Ehefrau - eine Soldatin im Range eines Majors bei der Bundeswehr - tätig sein.

Michael Neumann ließ Anfragen unbeantwortet. So ist unklar, ob er gegen den Entzug des Doktortitels klagen wird. Gerhard Dannemann, der Experte für gute wissenschaftliche Praxis, bescheinigte einer solchen Klage schon vor einem Jahr wenig Aussicht auf Erfolg: "Eine Aberkennung des Doktortitels durch die Universität hätte nach meiner Einschätzung vor jedem Verwaltungsgericht Bestand."

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Ein Mann sitzt vor einem Mikroskop. © Screenshot

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 20.07.2018 | 19:30 Uhr

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