Patienten leiden unter Regressen gegen Ärzte
"Wenn ich das bezahlen muss, dann bin ich pleite! Und das nach 38 Jahren als Arzt auf dem Land!" Jürgen Bammel ist verzweifelt, ihm droht eine Regressforderung von 102.000 Euro. Diese Summe soll er bezahlen, da er angeblich zu viele Medikamente verordnet hat.
Eine Ungerechtigkeit, findet der Landarzt, denn seine Praxis ist die einzige im Umfeld, zu ihm kommen besonders viele alte Menschen mit chronischen Krankheiten. Und viele chronisch kranke Patienten sind teuer.
152 Euro darf Dr. Bammel im Quartal für einen Rentner ausgeben, diesen Wert haben Kassenärztliche Vereinigung und Krankenkassen in Niedersachsen so bestimmt. Doch eine Vielzahl von Dr. Bammels Patienten braucht Behandlungen, die ein Vielfaches von dem kosten was Jürgen Bammel zur Verfügung hat. "Ich habe Patienten, die brauchen pro Quartal eine Summe von 300 bis 400 Euro an Medikamenten."
Praxisbesonderheiten berücksichtigen
Jahrelang galten die vielen chronisch kranken Patienten in Dr. Bammels Praxis als sogenannte Praxisbesonderheit, Regressforderungen konnte er in der Vergangenheit immer wieder abwenden. Der Gesetzgeber hat die Praxisbesonderheiten vorgesehen, um Praxen wie jene von Doktor Bammel vor dem Vollzug des Regresses zu schützen. Doch die Praxisbesonderheit, die jahrelang für Doktor Bammel galt, soll nun plötzlich nicht mehr gelten.
Ob ein Arzt wirtschaftlich gearbeitet hat, darüber entscheidet in jedem Bundesland eine eigene Prüfungskommission. Vertreter der Krankenkassen und Vertreter der kassenärztlichen Vereinigung beraten anhand des Verordnungsverhaltens, ob eine Regressforderung gegen einen Arzt ausgesprochen wird. Diese Prüfungen stehen bei Ärzten immer wieder in der Kritik, es werde willkürlich geprüft und Praxisbesonderheiten zu wenig berücksichtigt.
Landärzte häufig zu Unrecht im Visier
Diese Meinung teilt auch Denis Hübner: Der Anwalt hat sich auf Regressforderungen gegen Ärzte spezialisiert und vertritt die Praxis von Dr. Bammels. Achtzig Prozent der Mandanten, die er vertritt, sind Landärzte. "Das Problem ist, dass die Verwaltung hier ein Instrument an die Hand bekommt, mit dem sie Regresse verhängen kann, die existenzbedrohend sind", sagt Hübner. "Häufig ist die Prüfung nicht gründlich genug, um zu schauen, ob das, was da statistisch überschritten wurde, ob das nicht tatsächlich auch gerechtfertigt war“, fasst der Anwalt das Problem zusammen.
Dr. Bammel fürchtet sich vor der Insolvenz, hat gegen die Regressentscheidung Widerspruch eingelegt. Im Herbst dieses Jahres wird er sich vor einem Beschwerdeausschuss für sein Verschreibungsverhalten rechtfertigen. Dr. Bammel ist empört: "Ich werde persönlich für etwas belangt, das sinnvoll und notwendig war und soll finanziell persönlich dafür gerade stehen. Ich habe das Geld doch nicht in die eigene Tasche gesteckt, das ist eine große Ungerechtigkeit."