Todkrank: Würdevoll zu Hause sterben selten möglich
Wenn Uli Scholz eine kleine Cherrytomate von seiner Balkonpflanze pflückt, sie sich in den Mund steckt und ganz langsam mit der Zunge zerdrückt, ist er glücklich. Scholz hat Speiseröhrenkrebs und kann sonst kaum noch etwas essen, er wird künstlich ernährt. Die Metastasen in der Leber werden nicht mehr verschwinden. Scholz weiß, er wird bald sterben, und er möchte sich bis zum Schluss diese kleinen Glücksmomente bewahren und bis zum Ende in seiner eigenen Wohnung bleiben.
Bis vor Kurzem hat er dabei Hilfe von einem speziellen palliativen Pflege- und Ärzteteam bekommen - das kann Schmerzen lindern, Ängste nehmen und ist speziell dafür ausgebildet, Menschen wie ihn zu Hause in den Tod zu begleiten. Doch dann hat ihm seine Krankenkasse diese Versorgung gestrichen, weil sich seine Schmerzen durch die Palliativpflege gebessert hatten.
Rechtsanspruch gilt seit 2007
Seit 2007 hat jeder Todkranke in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch, in den eigenen vier Wänden bis in den Tod palliativ versorgt zu werden. Doch von diesem Gesetz kann nur eine kleine Gruppe der Sterbenskranken profitieren - für etwa 90 Prozent gibt es bislang keine gute ambulante Palliativversorgung.
Uli Scholz zählte eine Zeit lang zu dieser kleinen Gruppe der speziell versorgten Sterbenskranken - bis seine Kasse ein Gutachten in Auftrag gab. Für den Gutachter erfüllten Scholz‘ Symptome nicht die Kriterien für eine spezielle Palliativversorgung. Diese Kriterien seien eben per Gesetz und den geltenden Richtlinien sehr eng gefasst, so der Gutachter und Schmerzmediziner. Die Kasse strich daraufhin die besondere Palliativversorgung.
Nicht krank genug für Palliativpflege?
"Palliativpatienten kann man nicht schnell versorgen, da muss man sich immer Zeit nehmen können", sagt Pfleger Nils Wommelsdorf. Sein Team, das aus Palliativ-Ärzten und -Pflegern besteht, ist im Notfall rund um die Uhr für die Patienten da. "Wir versuchen, die Leute, soweit es geht, aus dem Krankenhaussystem rauszuhalten, damit sie zu Hause im Kreis ihrer Angehörigen, Freunde - oder auch allein - ruhig einschlafen können.“
Sven Goldbach ist der Chef des Palliativpflegedienstes, für ihn ist der seit 2007 geltende Rechtsanspruch auf eine spezialisierte ambulante palliative Versorgung nicht ausreichend. "Ein Großteil der Menschen in diesem Land, die sterben werden, haben bisher keine gute Palliativversorgung ", sagt Pflegedienstleiter Goldbach. Ihnen bliebe nur die normale Kranken- und Altenpflege - und im Notfall das Krankenhaus. Es müsse ein System geschaffen werden, das jeden Sterbenden auffängt.
Von Gesundheitsminister Gröhe gibt es dazu kein Interview. Mängel im System räumt sein Ministerium mittlerweile aber ein. Sieben Jahre nach Einführung des Rechtsanspruches auf Palliativversorgung zieht man in seinem Haus Nachbesserungen in Betracht.
Kasse will Fall neu prüfen
Da Scholz die spezielle Palliativpflege nicht mehr bekommt, bleibt ihm nur die normale Krankenpflege - für seine Situation völlig unzureichend. Der Palliativpflegedienst versorgt ihn zwar ehrenamtlich weiter, so gut es geht. Zeit für eine ausführliche Schmerztherapie und psychosoziale Betreuung gibt es aber keine mehr, denn das wird schlichtweg nicht bezahlt.
Seitdem geht es ihm deutlich schlechter. Er hat starke Schmerzen, kann er sich kaum mehr bewegen. Eigentlich wollte Scholz längst einen neuen Antrag auf die spezielle Palliativversorgung stellen, doch ihm fehlt zunehmend die Kraft. „Manchmal wird man mürbe, wenn man ununterbrochen Schmerzen hat.“ Immerhin signalisiert Scholz‘ Krankenkasse nun – seit Panorama recherchiert- die Bereitschaft, seinen Fall neu zu prüfen.
Obwohl Scholz seit Wochen die Wohnung nicht mehr verlassen konnte und weiß, dass ihm wohl nicht mehr viel Zeit bleibt, plant er schon heute, welche Tomatensorten er im Frühjahr anpflanzen möchte: "Halten sie mich für einen Idioten, aber ich lebe weiter so, als ob das Leben ewig dauert.“