Stand: 22.09.2020 12:15 Uhr

Mehr Güter auf die Schiene - aber wie?

von Nils Naber

Rainer Butenschön sieht auf die rostigen Gleise, die mitten in einem Industriegebiet im Süden von Neumünster im Nirgendwo enden. Büsche, Gras und Bäume überwuchern das, was hier von Weichen und Gleisen übrig ist. "Früher war hier Güterverkehr", sagt Rainer Butenschön. Hunderte Güterwagen sollen Anfang 1980er-Jahre jährlich über diese Gleise abgewickelt worden sein, meint er. Der Neumünsteraner dokumentiert seit Jahrzehnten in seiner Freizeit die Veränderungen im schleswig-holsteinischen Schienennetz.

VIDEO: Mehr Güter auf die Schiene - aber wie? (8 Min)

Schaubild Gleisanschlüsse für Unternehmen © NDR Foto: Screenshot
Jahrzehntelang wurde das Bahnnetz abgebaut. Immer weniger Unternehmen haben einen Gleisanschluss auf dem Firmengelände.

In der ganzen Republik wurde über Jahrzehnte das Bahnnetz eher ab- und nicht aufgebaut, wenn man vom Neubau einzelner ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecken absieht. Heute ist das Streckennetz der Eisenbahn nach Angaben des statistischen Bundesamts ungefähr 15 Prozent kürzer als vor 25 Jahren.

Schienenpakt: Bahn "Verkehrsmittel des 21. Jahrhunderts"

In Zeiten zunehmender Klimaveränderungen erinnert sich die Bundesregierung nun an diesen Verkehrsträger, der in der Regel sauberer und sicherer unterwegs ist, als der der LKW.  Dessen Erfolg haben Bund und Länder durch den Neu- und Ausbau von immer mehr Straßen allerdings jahrzehntelang begünstigt. Jetzt soll aber die Bahn dabei helfen die Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen. Dieser wird zunehmend zum Problemfall, wenn es um das Erreichen der deutschen Klimaziele geht. Bis 2030 muss der Verkehr rund 40 Prozent seiner CO2-Emissionen einsparen.

Andreas Scheuer © NDR/Wolfgang Borrs Foto: Wolfgang Borrs
Die Bahn solle "das Verkehrsmittel des einundzwanzigsten Jahrhunderts" werden, so Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer beim Bahngipfel.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat deshalb Ende Juni zum großen Bahngipfel nach Berlin eingeladen, um den Abschluss des sogenannten Schienenpakts zu verkünden. Diesen haben 27 Verbände und Unternehmen aus der Branche unterschrieben. Der Minister verkündet große Ziele. Die Bahn solle "das Verkehrsmittel des einundzwanzigsten Jahrhunderts" werden, das "alle Mobilitätsbedürfnisse in einer nachhaltigen, effizienten und klimabewussten Gesellschaft abbildet". Viele Milliarden Euro sollen nun ins Bahnnetz investiert werden.

Bei der Veranstaltung hat Andreas Scheuer besonders den Personenverkehr im Fokus. Um Schienengüterverkehr geht es nur am Rande. Allerdings gibt er ein Ziel vor: Bis 2030 soll der Anteil der Schienentransporte am gesamten Güterverkehr auf 25 Prozent steigen. Heute liegt der Anteil bei rund 18 Prozent. Die Steigerung scheint gering aber in der Praxis ist das eine immense Herausforderung. Einen Anteil von mehr als 20 Prozent an der Güterverkehrsleistungen hat die Schiene zuletzt vor knapp 30 Jahren erreicht. Und das, obwohl die Eisenbahn heute deutlich mehr Güter transportiert als damals. Mehr als 70 Prozent der Güter wurden dagegen 2018 mit dem LKW befördert.

LKW in allen Punkten überlegen?

Für den Hamburger Spediteur Axel Plaß ist das nur logisch. "Im Grunde genommen ist der LKW der Bahn in Flexibilität, in Service und in allen Punkten irgendwie überlegen. Und das macht den LKW zum interessanteren Transportmittel in jedem Fall." Der Spediteur, der auch Präsident des Deutschen Speditions- und Logistikverbands (DSLV) ist, transportiert mit seiner Spedition allerdings einen Großteil der Güter über die Schiene. Bei seinen Kollegen sieht er in dieser Hinsicht nach wie vor eine große Zurückhaltung. Um das zu ändern fordert Axel Plaß mehr Flexibilität von der Bahn. Er müsse Monate im Voraus Strecken für seine Züge bei der DB Netz AG anmelden und könne nur im Ausnahmefall Sendungen im Zug per GPS nachverfolgen. "Das System Bahn arbeitet im Moment noch mit Strukturen, die sind zwar von außen modern angemalt, aber von Innen 50 oder 60 oder 70 Jahre alt." Eine Sprecherin der Deutschen Bahn AG weist den Vorwurf zu wenig flexibel zu sein "klar zurück". Es gäbe Möglichkeiten auch kurzfristig Trassen anzumelden. Planbare Züge müssten aber "etwa acht Monate vor dem Fahrplanwechsel" angemeldet werden.

Wettbewerb auf der Schiene gefordert

Axel Plaß, Hamburger Spediteur © NDR Foto: Screenshot
"Der LKW ist der Bahn in Flexibilität, in Service und in allen Punkten irgendwie überlegen", so Axel Plaß, Spediteur aus Hamburg.

Axel Plaß fordert grundlegende Änderungen. Am liebsten wäre ihm, wenn die Bundesregierung das Bahnnetz der DB wegnehmen und in eine bundeseigene aber DB-unabhängige Gesellschaft überführen würde. Nur dann könne echter Wettbewerb für mehr Güterverkehr auf der Schiene stattfinden. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer weist diesen Wunsch nicht zurück. "Wir diskutieren fast täglich über die Zukunft des Systems Schiene, aber auch über die Grundsatzfragen bei der Bahn." Er kündigt weitere Gespräche an. Eine Bahnsprecherin stellt dagegen klar "eine Trennung (von Netz und DB, Anm. d. Red.) wäre der falsche Weg". Der Wettbewerb auf der Schiene floriere auch so.

Die Bahn hat Zukunft

Schon heute transportieren private Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVUs) mehr als die Hälfte aller Güter im Schienengüterverkehr. Ludolf Kerkeling, Chef des Verbands der privaten Güterbahnen (NEE) ist stolz darauf. Doch die künftigen Herausforderungen für die Bahnen wären groß. "Güter wie Stahl, Kohle und Baustoffe, die heute schwerpunktmäßig auf der Schiene transportiert werden, sind eher Bereiche, die nicht mehr wachsen, teilweise sogar schrumpfen." Unter diesen Bedingungen "werden wir als Branche auch überlegen müssen, wie es uns denn gelingt, andere Güter auf die Schiene zu verlagern." Ludolf Kerkeling meint, der Staat müsse noch mehr dafür sorgen, dass die Bahn im Wettbewerb zum LKW besser abschneide. Eine stärkere Besteuerung des CO2-Ausstoßes wäre ein Ansatz. 

Ludolf Kerkeling, Chef des Verbands der privaten Güterbahnen (NEE) © NDR Foto: Screenshot
Der LKW-Transport müsse teurer werden, damit die Bahnen profitieren, meint Ludolf Kerkeling, Chef des Verbands der privaten Güterbahnen.

Dass die Bahn eine Zukunft hat, zeigt sich daran, dass auch Gleisanschlüsse reaktiviert oder sogar neu gebaut werden. So hat das Kieswerk Lammert+Reese 2015 eine 15 Kilometer lange alte Trasse nach Bodenwerder an der Weser erworben und mit Hilfe von staatlichen Fördermitteln komplett erneuert. Seit rund einem Jahr fahren wöchentlich zwei Güterzüge den Kies zum Kunden. "Von der Menge her entspricht das 18.000 LKW-Bewegungen pro Jahr", erklärt Geschäftsführer Jörg-Peter Kölling. Um mehr Unternehmen für den Gütertransport über die Schiene zu gewinnen, müsste die Bahnbranche "sich deutlich umstellen, kundenfreundlicher werden und versuchen intelligente Systeme in der Logistik zu entwickeln. Sonst wird das nichts."

 

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 22.09.2020 | 21:15 Uhr

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