Stand: 19.02.2019 13:16 Uhr

Lehrermangel: Schwerer Weg für Quereinsteiger

von Leonie Puscher

11.15 Uhr, der Chemieunterricht beginnt. In der 7B an der IGS in Stade geht es heute um umkehrbare Reaktionen. Dafür dürfen die Schüler blaues Kupfersulfat in Reagenzgläser füllen und es über dem Bunsenbrenner erhitzen. "Das ist für die Schüler schön bildlich, das können die sich dann gut merken", erzählt Pia Kruse. Mit ihrer Schutzbrille geht sie um die Tische und passt auf, dass die Schüler keinen Unsinn machen. Im Umgang mit den Schülern wirkt sie sehr souverän, manchmal fast freundschaftlich. Zwischendurch kommt dann aber auch mal ein sehr bestimmtes "Nicht so rumzappeln!".

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Pia Kruse ist erst seit einem halben Jahr Lehrerin. Sie ist 41 Jahre, an der Schule aber Berufsanfängerin. Eigentlich ist sie promovierte Molekularbiologin. Am Fraunhofer Institut hat sie an einem Malaria-Impfstoff und einem Krebsmedikament gearbeitet. Mit der Geburt ihrer Tochter, kam auch die Entscheidung für einen anderen Berufsweg: "Das ist einfach nicht familienkompatibel, Forschung macht man ganz oder gar nicht."

Direkter Quereinstieg: Unterricht nach Gefühl

Pia Kruse ist eine sogenannte direkte Quereinsteigerin. Direkter Einstieg bedeutet genau das: Unterricht ab Tag eins. Erst dann beginnt die berufsbegleitende Ausbildung. "Manche Sachen hat man einfach nicht gelernt und die lernt man auch nicht im Alltag, also Dinge wie mit Benotung, Bewertung. Man lernt zwar was im Seminar, aber je nachdem, wann das Thema drankommt, muss man vorher schon Noten geben." Im Moment heißt es noch: Unterricht quasi nach Gefühl.

Arten des Quereinstiegs

Der Quereinstieg in den Schuldienst ist in Niedersachsen auf zwei Arten möglich:

  • Einmal über das Referendariat, also die Ausbildung, die auch Lehramtsstudenten nach der Universität absolvieren. Laut Landesregierung sei dies der "favorisierte Weg". Die Zahlen für diesen Quereinstieg liegen allerdings nicht vor.
  • Der direkte Quereinstieg bedeutet genau das: Unterricht ab Tag eins. Erst mit der Einstellung beginnt eine "Pädagogisch-Didaktische Qualifizierungsmaßnahme". Seit dem zweiten Schulhalbjahr 2018/2019 hat das Kultusministerium einen Vorbereitungskurs von drei Tagen eingeführt.

Viele Quereinsteiger haben zwar Erfahrung mit Vorträgen oder Seminaren, Schule ist dann aber doch noch mal etwas anderes: "Schüler sind schon eine Herausforderung. Auch weil die manchmal Fragen stellen, die zuerst ein bisschen absurd wirken. Manchmal steh ich dann da und denke, wie erklärst du das jetzt?", erzählt Pia Kruse.

Fehlende Ausbildungsqualität

Um die Unterrichtsdidaktik, darum wie man komplexe Themen für verschiedene Jahrgänge aufbereitet, geht es im Fachseminar Biologie. Rainer Hawmann ist Ausbildungsleiter der Gruppe, alle zwei Wochen sitzt Pia hier mit Referendaren und anderen Quereinsteigern zusammen. Neben den Seminaren ist der Unterrichtsbesuch wesentlicher Bestandteil der Ausbildung. Im Gegensatz zu den zehn Besuchen für Referendare sind für Quereinsteiger wie Pia allerdings nur zwei Besuche angedacht. Laut Ausbilder Hawmann viel zu wenig: "Das, was man da vermitteln kann, was man da reflektieren kann, ist natürlich sehr stark eingeschränkt und reduziert."

Rainer Hawmann
Die Ausbildungsqualität für Quereinsteiger bliebe auf der Strecke, sagt Fachleiter Rainer Hawmann.

Diejenigen, die bereits das Lehramtsstudium absolviert haben, bekommen im Referendariat deutlich mehr Unterstützung als Quereinsteiger, die keinen pädagogischen Hintergrund haben. "Es ist keine wirkliche qualifizierte Ausbildung möglich", sagt Hawmann. "Im Moment ist es so, dass Lehrkräfte gebraucht werden, dass Lücken gefüllt werden müssen, und das macht man eben mit Quereinsteigern." Weil so viele Lehrkräfte fehlen, müssen die Quereinsteiger von Anfang an deutlich mehr unterrichten als Referendare. In der Regel 19 Unterrichtsstunden statt zehn, erzählt Seminarleiter Hawmann. "Ich halte das für ein gewaltiges Arbeitspensum. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist halt die Ausbildungsqualität."

Keine "typische Lehrerin"

Die fehlende Ausbildungsqualität fangen dann die Schulen auf. In Stade hat Pia Kruse zahlreiche Kollegen, die ihr gerne mit Rat zur Seite stehen. Denn was vom System vorgesehen ist, zwei Unterrichtsbesuche pro Fach in eineinhalb Jahren und eine Mentorenstunde pro Woche, reicht nicht. "Das ist einem schon bewusst, dass man auch eine Last bedeutet, weil man eben direkt den vollen Job machen soll, ohne richtig dafür ausgebildet zu sein."

Die Schüler merken davon anscheinend nichts. Für Tjorben ist Pia Kruse die beste der letzten vier Chemie-Lehrerinnen: "Sie erklärt es sehr genau, die anderen haben es sehr oberflächlich erklärt." Vielleicht ist es gerade der fehlende Lehramtshintergrund, der sie bei den Kindern so beliebt macht: Sie ist halt keine "typische" Lehrerin: "Das ist vielleicht ein Vorteil, den man hat als Quereinsteiger, dass man schon jahrelang was anderes gesehen hat und mal außerhalb von einer Schule war," sagt Kruse.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 19.02.2019 | 21:15 Uhr

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