Sendedatum: 29.01.2019 21:15 Uhr

Die Hamburger Staatsanwaltschaft und die Evolution des Kommunikationsverhaltens

von Stefan Buchen, Philipp Hennig

  • Am 23. Januar 2019 schickten wir folgende Anfrage an die Pressestelle der Staatsanwaltschaft:

"Gestern fragten wir bei Ihnen ein Interview zum Fall des im vergangenen Juli in Kleve im Auftrag der Staatsanwaltschaft Hamburg inhaftierten Mannes aus Syrien an. Sie teilten mit, dass ein Interview nicht möglich sei. Daher schicken wir Ihnen schriftliche Fragen:

1) Am 06.07.2018 teilte die Polizei Kleve dem LKA Hamburg per Fax mit, ein Amed Amed, geb. am 01.01.1992 in Aleppo, sei festgenommen worden. Nach diesem würde von Hamburg aus gefahndet. Warum beantragte die Staatsanwaltschaft Hamburg im Anschluss die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen gegen den Mann, obwohl der Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Hamburg als Vollstreckungsbehörde gegen einen aus Mali (bzw. Mauretanien) stammenden Mann, der einen ähnlich klingenden Namen als Aliasnamen führt, ausgestellt war?
2) Inwiefern bemühte sich die Hamburger Staatsanwaltschaft telefonisch oder mit Hilfe anderer moderner Kommunikationsmittel um die Überprüfung der Identität des in Kleve festgenommenen Mannes?
3) Uns ist bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg am 20.07.2018 einen Brief an die JVA Kleve abschickte, in dem nach "Nachweisen über die dort geführten Personalien des Verurteilten" gefragt wird, die dort "vorliegen". Am 09.08.2018 ging bei der Staatsanwaltschaft Hamburg die Antwort ein. Demnach lägen "keine Nachweise vor." Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat den Mann dennoch nicht entlassen. Warum?
4) Experten für Strafvollzugsrecht haben uns gegenüber die Einschätzung abgegeben, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg spätestens am 9. August die Entlassung des Mannes aus der Haft hätte anordnen müssen. Wie sehen Sie das?
5) Welche disziplinarrechtlichen, beamtenrechtlichen bzw. strafrechtlichen Schritte hat die Staatsanwaltschaft Hamburg wegen möglicher Verstöße in dem Fall in der eigenen Behörde eingeleitet?
6) Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat nach Auskunft des nordrhein-westfälischen Justizministers am 20.08.2018 einen weiteren Brief an die JVA Kleve adressiert, der aber nie abgeschickt worden sei. Die nächste Nachfrage nach der Identität des Mannes sei erst nach dem Brand am 17.9.2018 von der Staatsanwaltschaft Hamburg abgeschickt worden. Treffen diese Aussagen zu? Falls diese Aussagen zutreffen: warum wurde der Brief vom 20.08.2018 nicht abgeschickt?
7) Am 31.5.2018 verschickte der Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Hamburg Dr. Brandt eine Anweisung an die Mitarbeiter, wonach bestimmte Tätigkeiten für die Dauer von drei Monaten ruhen sollten. Dies war als Maßnahme gegen die Arbeitsüberlastung in der Staatsanwaltschaft gedacht. Zu den Tätigkeiten, die "ruhen" sollten, gehörte demnach u.a. die Bearbeitung von Geldstrafen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Untätigkeit der Staatsanwaltschaft Hamburg im Fall des in Kleve inhaftierten Syrers zwischen dem 21.07.2018 und 17.09.2018 und der erwähnten Anweisung von Dr. Brandt?
"

  • Am 24. Januar 2019 erhielten wir darauf diese Antwort von der Sprecherin der Staatsanwaltschaft:

"Die Entscheidung, uns mit Rücksicht auf die laufenden parlamentarischen Untersuchungen zu dem Fall derzeit nicht öffentlich zu äußern, gilt auch für die Beantwortung schriftlicher Fragen. Leider kann ich Ihre Fragen daher nicht beantworten."

  • Am 25. Januar 2019 legten wir der Hamburger Justizbehörde, die die Aufsicht über die Staatsanwalt führt, diese Fragen vor:

"1) Aufgrund von Überlastungen der Staatsanwaltschaft Hamburg verschickte der Behördenleiter Dr. Brandt am 31.05.2018 eine Anweisung an Mitarbeiter, wonach bestimmte Tätigkeiten für die Dauer von drei Monaten ruhen sollten. Zu diesen Tätigkeiten gehörte u.A. die Bearbeitung von Geldstrafen.
a) Gibt es einen Zusammenhang zwischen dieser Anweisung des Behördenleiters und der Tatsache, dass Amad Ahmad nicht aus dem Gefängnis in Kleve entlassen wurde? Wenn ja, welchen? Wenn nein, warum nicht?
b) Wusste Ihre Behörde von dieser Anweisung oder hat Sie sogar selbst angeordnet? Wenn ja, seit wann war Ihnen diese Anweisung bekannt bzw. wurde sie angeordnet? Wenn nein, warum nicht?
2) Nach der Inhaftierung von Amad Ahmad durch die Polizei in Kleve, sind der vollstreckenden Staatsanwaltschaft Hamburg nach unseren Recherchen mehrere Fehler unterlaufen. In ihrer Gesamtheit führten diese dazu, dass Amad Ahmad mehr als zwei Monate unschuldig im Gefängnis saß und an den Folgen des Zellenbrands vom 17.09.2018 verstarb. Welche Konsequenzen hat die Justizbehörde als Aufsichtsbehörde bisher gezogen? Welche Konsequenzen will die Justizbehörde in diesem Fall noch ziehen?
"

  • Am Morgen des 28.Januar 2019 trafen wir Justizsenator Till Steffen (Grüne) am Rande eines Termins auf der Veddel

Wir fragten ihn, welche Konsequenzen er aus dem Fall ziehen wolle. Senator Steffen verwies auf seine Pressestelle. Diese antwortete uns einige Stunden später schriftlich:
"Zu 1) Der Sachverhalt war bereits Gegenstand mehrerer Schriftlicher Kleiner Anfragen. Sie finden diese im Anhang.
Zu 2) Die Staatsanwaltschaft hat der Justizbehörde in dem Fall ausführlich berichtet. Dem Bericht zufolge gab es kein dienstliches Fehlverhalten, welches ein behördliches Einschreiten erforderlich machte. Zu weiteren Verfahrensdetails wenden Sie sich bitte an die Staatsanwaltschaft
."

  • Zeitgleich, am frühen Nachmittag des 28.1.2019, erreichte uns folgende Mitteilung der Hamburger Staatsanwaltschaft:

"In Ergänzung zu meiner Antwort vom 24.01.2019 kann ich zu dem von Ihnen genannten Vorgang lediglich noch auf Folgendes hinweisen: Die Vorgänge, die der fälschlichen Inhaftierung des Amed A. in Kleve zugrunde lagen, wurden von den Behördenleitungen der Hamburger Staatsanwaltschaften unabhängig voneinander bereits mehrfach intensiv geprüft. Dabei haben sich jedoch keinerlei Hinweise auf ein dienstliches oder gar strafrelevantes Fehlverhalten der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ergeben. Generalstaatsanwalt Dr. Jörg Fröhlich hat gegenüber der Justizbehörde ausgeführt: „Hervorzuheben ist, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg weder eine Ausschreibung des „Ahmed Amed, geboren am 01.01.1992 in Aleppo“ veranlasst noch dessen Daten als Aliaspersonalien der Festnahmeausschreibung des Amedy Guira, geboren am 01.01.1992 in Mali, beigefügt hat. Die fatale Kombination der Personendaten lag ausschließlich im Verantwortungsbereich der Polizei. Ebenfalls in deren alleiniger Verantwortung stand die Identitätsfeststellung vor Ort. Auf sie durfte die zuständige Rechtspflegerin vertrauen. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, das Ergebnis polizeilicher Maßnahmen in Zweifel zu ziehen und dementsprechend zeitnah zu hinterfragen, erkenne ich nach Durchsicht der Vollstreckungshefte….nicht.“ Dieser Sachstand gilt nach wie vor. Es ist ebenfalls nicht ersichtlich, dass eine rechtzeitige Absendung des Routineschreibens an die Kreispolizeibehörde Kleve vom 20.08.2018 (Anm.: Anfrage, aufgrund welcher Erkenntnisse die dortigen Personalien des Verurteilten geführt wurden) eine Fortdauer der Inhaftierung des Ahmed A. sofort verhindert hätte. Auch sonstigen Geschäftsabläufen bei der Staatsanwaltschaft Hamburg kann nach hiesiger Einschätzung kein bestimmender Einfluss auf dessen Situation zukommen."

Schriftliche Anfragen an den Senat

Anfrage zur Überlastung der Justiz vom 22. Juni 2018

Anfrage zum Thema: "Überlastung der Justiz - Gute Fälle, schlechte Fälle bei der Staatsanwaltschaft? Hintergründe und Auswirkungen der ominösen Zurückstellungsanweisung" Download (30 KB)

Anfrage zur Überlastung der Justiz vom 07. August 2018

Anfrage zum Thema: "Überlastung der Justiz - Massiver Personalabbau in den Geschäftsstellen der Staatsanwaltschaften und Gerichte geplant?" Download (36 KB)

Anfrage zur Überlastung der Justiz vom 23. August 2018

Anfrage zum Thema: "Überlastung der Justiz - Wie sieht es mit der Bekämpfung der Alltagskriminalität bei Hamburgs Staatsanwaltschaft aus?" Download (35 KB)

Anfrage zur Überlastung der Justiz vom 25. Oktober 2018

Anfrage zum Thema: "Überlastung der Justiz - Ist die versprochene Besserung der Situation auf den Geschäftsstellen der Hauptabteilung II der Staatsanwaltschaft eingetreten?" Download (87 KB)

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 29.01.2019 | 21:15 Uhr

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