Kein Futter: Bauern müssen ihre Kühe schlachten
Als Kirsten Wosnitza am frühen Morgen ihre Kühe von der Koppel treibt, ahnt sie bereits, dass heute kein guter Tag wird. Die 120 Tiere stapfen über das trockene Feld. Beim Stall empfängt ihr Mann Gerd die Kühe, eine nach der anderen, er kennt sie alle beim Namen. "Die Flächen in der Nähe des Hofes die sind alle schon radikal kurzgefressen", sagt er. "Das war die einzige Fläche, auf der noch Gras war. Ab morgen müssen wir noch mehr zufüttern."
Wie fast jeden Monat messen sie an diesem Tag die Milchproduktion jeder einzelnen Kuh - doch dieses Mal bedeutet ein schlechtes Ergebnis, dass die Kuh zum Schlachter muss. In anderen Jahren hätte dieselbe Kuh vielleicht noch zwei bis drei Jahre länger gelebt. Doch die Dürre hat alle Felder in der Region ausgetrocknet. "Da waren immer zehn Millimeter Gras und die haben die Kühe dann abgerupft. Und jetzt warten wir auf die nächsten zehn Millimeter", erzählt Wosnitza. Ohne das Gras von den Weiden fehlt den Landwirten die Hauptfuttermenge. Deshalb füttern sie bereits jetzt das Kraftfutter, das für den Herbst und Winter geplant war. Wie ihnen geht es in diesem Dürrejahr fast allen Bauern in der Region. So etwas habe es zuletzt 1976 gegeben, erzählen sie.
Zahl der Schlachtungen steigt an
Wenn das Futter knapp wird, steigen die Preise: Das Kraftfutter ist derzeit 16 Prozent teurer als üblich und selbst der Preis für Strohballen ist um etwa 30 Prozent gestiegen. Die Haltung der Kühe wird also teurer und deshalb nehmen die Schlachtungen zu. Im Juli 2018 sind im Vergleich zum letzten Jahr in Schleswig-Holstein um 33 Prozent gestiegen - in Niedersachsen waren es sogar 43 Prozent. Auch Kirsten und Gerd Wosnitza wählen heute zwei Kühe aus, die frühzeitig gehen müssen. Insgesamt, so schätzen es die beiden Landwirte, wird es in diesem Sommer zehn Kühe treffen. "Das ist natürlich blöd", sagt Kirsten Wosnitza. "Die sind noch fit und trotzdem müssen wir sie wegschicken."
Landwirt Bernd Steffen besitzt 150 Hektar Ackerland, hält an die 120 Rinder und betreibt seine eigene Schlachterei. Auch wenn er bisher nicht frühzeitig schlachten musste, verliert er in diesem Jahr an die 50.000 Euro wegen der Dürre. Denn normalerweise verkauft er auch Stroh an andere Landwirte, doch in diesem Jahr braucht er es für seine eigenen Tiere.
Staatliche Hilfe? Nicht um jeden Preis
Wegen der Dürre hatte der Bauernverband vom Staat eine Milliarde Euro Hilfe gefordert. Doch viele der Betroffenen lehnen diese Forderung ab, auch Bernd Steffen. Dabei ist der 52-Jährige selbst Mitglied im Bauernverband. "Es nervt, dass viele Landwirte jetzt nach der Politik rufen, das finde ich nicht richtig. Ein Landwirt ist genauso Unternehmer wie alle anderen auch", sagt er. "Wenn die Politik den Bauern eine Milliarde hinschmeißt, bleiben die Lebensmittelpreise weiterhin zu niedrig und das ist verkehrt." Ohne Subventionen würden die Preise steigen und die Landwirte könnten besser leben.
Auch die Mitglieder des Bundesverbandes Deutscher Milcherzeuger (BDM) sind gegen die staatlichen Subventionen. Sie wünschen sich, dass die Milchpreise steigen, damit sie endlich auf die Hilfen verzichten können. "Wir können mit diesem System von immer mehr und immer billiger nicht weitermachen. Wir können die landwirtschaftlichen Märkte nicht ohne Ende liberalisieren und an den Weltmarkt öffnen, wenn wir wollen, dass hier mit hoher Qualität Nahrungsmittel erzeugt werden", sagt Kirsten Wosnitza bei einem Treffen der Milchbauern. Das Dürrejahr zeige: Die Landwirtschaft und der harte Wettbewerb funktioniere nicht mehr, wenn die Natur wie in diesem Jahr nicht mitspiele.
Bauernverband: Markt soll sich selbst regeln
Der Deutsche Bauernverband (DBV) sieht das anders. Die Milchbauern müssten sich breiter aufstellen und der Markt müsse die Milchpreise selbst regeln, findet Werner Schwarz, Vizepräsident des DBV. "Wenn ich von meiner Arbeit nicht leben kann, muss ich mir überlegen, wie ich meinen Betrieb weiterentwickele, um davon leben zu können". Nicht für jeden sei es der Weg, groß zu werden. Die Landwirte könnten zum Beispiel direkt vermarkten, Möglichkeiten gebe es viele. "Die Forderungen an den Bürger, mehr zu zahlen, müssen wir dem Bürger auch begründen. Dafür fehlt mir im Moment der Mehrwert für den Bürger."
Für viele Betriebe würde das heißen, dass sie schließen müssen. Vielleicht auch für Kirsten und Gerd Wosnitza. Die beiden hoffen, dass sie im Winter, wenn das Kraftfutter endgültig aufgebraucht ist, nicht noch mehr ihrer Kühe vorzeitig wegschicken müssen. "Für jeden, der mit Kühen arbeitet und Kühe mag, ist es der hässlichste Tag, wenn der LKW kommt", sagt Kirsten Wosnitza.