Impfreihenfolge: Impfen in sozialen Brennpunkten sinnvoll
Wegen hoher Infektionszahlen in armen, wirtschaftlich schwächer gestellten Stadtteilen wollen Städte wie Osnabrück, Bremen und Hannover die Menschen dort mit Impfaktionen erreichen. Hamburg lehnt das ab.
Letzte Woche wagte die Stadt Bremen ein Experiment: Mitarbeitende von Kitas in armen Stadtteilen verteilten in ihren Einrichtungen Impf-Einladungen an Eltern. In einem extra eingerichteten Impfzentrum im Stadtteil Gröpelingen konnten die sich dann impfen lassen - dafür wurden zunächst 2.000 Dosen bereitgestellt. Der Grund für die Aktion war auch, dass die Infektionszahlen in armen Stadtteilen wie Gröpelingen deutlich höher waren als in anderen. Das hatten Zahlen des Bremer Gesundheitsressorts im November gezeigt. Daraus schloss die Behörde, "dass eine Häufung in Regionen der Stadtgemeinde Bremen festzustellen ist, die von sozioökonomischer Benachteiligung geprägt sind".
Arme Stadtteile stärker von der Pandemie betroffen als andere
In Hamburg scheint die Lage ähnlich zu sein - Anfang April gab die Gesundheitsbehörde auf NDR-Anfrage die Corona-Fallzahlen pro Stadtteil heraus. Auch hier zeigte die Statistik: Arme Stadtteile waren stärker von der Pandemie betroffen als andere. Die höchste Inzidenz hatte etwa Hamburg-Veddel. Die Elbinsel hatte laut Statistikamt Nord 2019 etwa den dritthöchsten Anteil an Arbeitslosen und den zweithöchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in Hamburg.
Auf der Veddel gab es bis vor einigen Jahren nicht einmal eine Apotheke. Für die knapp 5.000 Bewohner sind laut Statistikamt Nord 2019 nur zwei Ärzte zuständig. Seit 2017 gibt es dort aber das Gesundheitszentrum "Poliklinik Veddel". Der Arzt Jonas Fiedler und die Sozialarbeiterin Tina Röthig haben das Zentrum mitaufgebaut. Die Pandemie sei für Veddel besonders verheerend: "Was wir seit einem Jahr beobachten, ist, dass die Leute sich hier einfach weniger schützen können. Dazu kommen noch viele chronische Vorerkrankungen, bereits im frühen Alter", sagt Sozialarbeiterin Röthig. Die beiden fordern daher, dass in armen Stadtteilen vorrangig geimpft wird.
Hamburg plant keine speziellen Impfaktionen in armen Stadtteilen
Auch Horn gehört zu den ärmeren Stadtteilen Hamburgs. Hier bemüht sich die Sozialarbeiterin Züleyha Celebi in den letzten Wochen darum, besonders Menschen mit Migrationsgeschichte über das Impfen aufzuklären. Um die Aufmerksamkeit der Menschen zu bekommen, verteilt sie nicht nur mehrsprachige Flyer - sondern auch Blumen. "Wir haben viele verschiedene Sprachen hier, also Arabisch, Türkisch, Polnisch und Russisch", sagt sie. "Wenn sie die deutsche Sprache nicht verstehen, dann ist es auch schwer, seine eigenen Sorgen und Ängste zum Ausdruck zu bringen." Deswegen sei es gut, dass sie mit vielen Menschen in ihrer Muttersprache sprechen könne.
Arztpraxen in Stadtteilen mit hohen Infektionszahlen werden laut Sozialbehörde seit März bevorzugt mit Impfstoff versorgt. Wie die Poliklinik Veddel sagt, können dort so rund 190 Menschen pro Woche geimpft werden. Viele sind dankbar für das Angebot. Gerne würden Tina Röthig und Jonas Fiedler noch mehr impfen - doch es fehlt an Impfstoff und Geld.
Anders als in Bremen soll es in Hamburg auch keine speziellen Impfaktionen in armen Stadtteilen geben. Die Sozialbehörde will an der Reihenfolge der Ständigen Impfkommission festhalten - und am Impfen in Arztpraxen und dem zentralen Impfzentrum in den Messehallen. Zahlen über das Infektionsgeschehen in den einzelnen Stadtteilen könne die Behörde zunächst auch nicht mehr herausgeben.
Erfolgreiche Impfaktionen in Schinkel und Gröpelingen
Dagegen sieht die Stadt Osnabrück ihre Impfaktion im Stadtteil Schinkel vor zwei Wochen als Erfolg. Auch Hannover will ab Donnerstag mit Impfaktionen in armen Stadtteilen beginnen. Dazu sollen einige Mitarbeitende aus dem zentralen Impfzentrum zunächst in Hannover-Mühlenberg Impfungen anbieten. Und in Bremen ist das Gesundheitsressort mit dem Modellversuch in Gröpelingen sehr zufrieden. Statt der geplanten 2.000 Impfdosen seien sogar 4.000 verimpft worden. Sobald es mehr Impfstoff gibt, wolle die Behörde die Aktion in anderen Stadtteilen wiederholen.