Heimkinder müssen Lohn an Staat abgeben
Um sechs Uhr morgens steht Sandra Schäfer (Name von der Redaktion geändert) auf, um rechtzeitig den Bus zu ihrer Arbeit zu erwischen. Sie ist 18 Jahre alt und lernt Einzelhandelskauffrau in einem Drogeriemarkt in Plön. Gerne würde Sandra Schäfer ihr erstes selbstverdientes Geld sparen, um davon irgendwann mal einen Führerschein zu finanzieren. Doch das geht nur sehr schwer. Von ihrem Ausbildungsgehalt muss Sandra 75 Prozent ans Jugendamt abgeben.
Staat holt sich Unterbringungskosten wieder
Dabei hat Sandra ohnehin schon keinen einfachen Weg hinter sich: Sie ist ein sogenanntes "Heimkind", konnte nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen. Im Moment lebt sie im betreuten Jugendwohnen des SOS-Kinderdorfes in Lütjenburg. Die Unterbringung in einer solchen Einrichtung kostet den Staat Geld - Geld, das er sich an anderer Stelle wieder reinholt. "Kostenheranziehung" heißt das - Kinder und Jugendliche, die in Heimen, in betreuten Wohnformen oder auch in Pflegefamilien aufwachsen, sollen sich so an den Kosten, die sie dem Staat verursachen, beteiligen. Wenn sie zum Beispiel einen Ferienjob annehmen oder eine Ausbildung beginnen, verlangt der Staat einen Kostenbeitrag von bis zu 75 Prozent des Gehaltes. Sandra versucht, sich damit abzufinden. "Natürlich bekomme ich Hilfe vom Staat, aber ein bisschen doof ist es schon, weil man das Geld gerade in der Ausbildungszeit natürlich gut gebrauchen könnte", sagt sie.
Andere kritisieren die Regelung zur Kostenheranziehung noch viel stärker. Dirk Baumann ist Leiter des SOS-Kinderdorfes in Lütjenburg und er sagt: "Natürlich sollen Kinder und Jugendliche sich an der Gesellschaft beteiligen. Aber bitte angemessen. Welche Eltern würden ihrem leiblichen Kind denn Dreiviertel seines Ausbildungsgehaltes wegnehmen?" Pflege- und Heimkinder hätten sowieso einen Sonderstatus und würden es sich nicht aussuchen, nicht bei ihren leiblichen Eltern aufzuwachsen. "Diese Bürde tragen sie immer mit sich", so Dirk Baumann. Es sei nicht angemessen, sie durch die Kostenheranziehung zusätzlich zu belasten.
Ministerium plant ein neues Gesetz
Politisch ist diese Frage nicht mal wirklich umstritten. Sogar das zuständige Familienministerium räumt auf Panorama 3-Anfrage ein, dass die momentane Regelung noch nicht ausreiche: "Es ist auch Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe, junge Menschen (...) zu einem eigenständigen, selbstverantwortlichen Leben zu erziehen und zu motivieren. Diesem Auftrag widerspricht es, wenn jungen Menschen (...) eine Ausbildungsvergütung zu einem großen Teil genommen wird." Tatsächlich gab es in der letzten Legislaturperiode schon einen Versuch, im Jugendstärkungsgesetz auch die Kostenheranziehung neu zu regeln. Dieses Gesetz wurde im Bundestag beschlossen, im Bundesrat allerdings mehrfach von der Tagesordnung genommen. Dann kam die Wahl, die neue Regierung, und das Gesetz blieb auf der Strecke. Jetzt plant das Ministerium ein neues Gesetz. Bis das allerdings fertig ist, werden viele Jugendliche wie Sandra Schäfer ihre Ausbildung schon abgeschlossen haben.