Geschäftemacherei mit Bäumen
Eigentlich soll der Wald am Steinberg in Hildesheim der Erholung dienen. So war das zumindest einmal geplant, als dieser vor rund 150 Jahren angelegt wurde: Ein Stadtwald für die Bürger. Doch nun klaffen da, wo einmal ein geschlossener Laubwald Schatten und Kühle spendete, große Lichtungen. Denn Jahr für Jahr wurden in den Wintermonaten offenbar große wertvolle Bäume gefällt und verkauft. Darüber tobt seit Jahren ein heftiger Streit zwischen Kommune und örtlichen Baumschützern. Diese fühlen sich von der Stadt nicht ernst genommen.
Zerstörte Kindheitsträume
Wenn Eberhard Johl durch den Hildesheimer Stadtwald spaziert, dann kann er seine Wut nur schwer unterdrücken. Er kennt fast jeden Winkel, als Kind hat er hier gespielt, heute als Rentner nutzt er den Wald für ausgedehnte Spaziergänge. Doch sein Wald hat sich verändert. Überall stehen die traurigen Reste großer Bäume. Stümpfe sind geblieben, mehr nicht. "Es werden die großen alten Stämme heraus geschlagen", merkt Eberhard Johl verbittert an. Es werde heraus geholt, was Geld bringt. Über Jahre haben er und andere Mitglieder der Hildesheimer Baumschutzinitiative dokumentiert, was in den Wintermonaten passiert. Mehr als 100 Jahre alte Bäume fallen der Kettensäge zum Opfer.
Schlachtfeld Wald
Kein Vertreter der Stadt Hildesheim wollte vor laufender Kamera über die großen Lichtungen im Erholungswald reden. Schriftlich teilt die Pressestelle mit, die Lichtungen seien "Voraussetzung dafür, um eine Naturverjüngung des Bestands einzuleiten". Und es gebe "keine allgemein gültigen Regeln für die Bewirtschaftung eines Erholungswaldes". Panorama 3 hat sich den Wald genauer angeschaut, gemeinsam mit dem Forstexperten Lutz Fähser. Der war 23 Jahre lang Förster im Stadtwald Lübeck, ein Wald, der bundesweit als Modell für eine naturnahe Waldbewirtschaftung gilt. Der Förster kommt zu einem deutlichen Ergebnis: Die großen Lichtungen seien ein "Schlachtfeld" und die dort wegen des Lichteinfalls wuchernden Brombeeren eine "Panikreaktion der Natur". Solch eine Situation entstehe ansonsten nur nach Katastrophen wie nach schweren Stürmen. Die Brombeeren würden eine Verjüngung des Bestandes um viele Jahre verzögern.
Dunkel und kalt
Wie in Lübeck wird der Stadtwald Göttingen naturnah bewirtschaftet. Große Lichtungen wie in Hildesheim sucht man hier vergebens. "So ähnlich könnte ein Wald aussehen, wenn der Mensch nicht dagewesen wäre", freut sich Stadtwald-Förster Martin Levin. Ein Wald müsse "dunkel und kalt" sein. Um das zu gewährleisten, werden hier nur einzelne große Bäume gefällt. So bleibt der Wald mit seinem geschlossenen Blätterdach bestehen und verjüngt sich ganz allein, ohne die Hand des Försters.
Holz bringt Geld
Doch auch die Modellprojekte der naturnahen Waldbewirtschaftung sind in Gefahr. Das kostbare Holz könnte dazu dienen, die klammen Kassen der Kommunen zu füllen. So kam der Landesrechnungshof Schleswig-Holstein bei einer Prüfung im Jahr 2014 zu dem Ergebnis: Der Stadtwald Lübeck nutze seine "Potenziale zu weiteren Steigerung der Erträge nicht". Einfache Logik: Mehr Bäume fällen bringt mehr Geld. Für den Lübecker Förster Knut Sturm ist das zu kurz gedacht. Er gibt zu bedenken: "Ernten wir die großen Bäume zu früh, dann haben wir große Lücken im Bestand." Man lebe damit auf Kosten zukünftiger Generationen. In Göttingen war der Landesrechnungshof Niedersachsen unterwegs. Dort steht das Ergebnis der Prüfung noch aus. Für den dortigen Förster Martin Levin gibt es eine Frage: "Sollen wir uns diese Form von Natur gönnen oder sagen, nein, absägen, Geld machen."
Streit in Hildesheim geht weiter
Die Stadt Hildesheim scheint mittlerweile umzudenken: Ein von der Stadt eingesetzter Arbeitskreis mahnt einen schonenderen Umgang mit den Holzvorräten an, doch es sollen auch am Steinberg weiter Bäume gefällt werden. Eberhard Johl glaubt nicht, dass sich viel ändern wird. Er und die Baumschutzinitiative fordern deshalb den Stopp aller Fällungen am Steinberg.