Der gescheiterte Rauswurf
Dass es sich jemand zur Aufgabe machen könnte, "Material" gegen sie zu sammeln, damit hatte Doreen Richardt nicht gerechnet. Ein Vorgesetzter, der sie ausgrenzen und ihre Karriere vernichten könnte, war außerhalb ihrer Vorstellung. Nie hätte die Oberärztin für Herzchirurgie sich träumen lassen, dass sie wegen Konflikten im Beruf vor Gericht ziehen, bei einem Professor für Psychiatrische und Psychosomatische Medizin in Behandlung gehen und mit einem Reporter sprechen würde.
Seit 20 Jahren hoch geschätzt am UKSH
Doreen Richardt hatte vor 20 Jahren am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck ihr Medizinstudium abgeschlossen und sich danach am gleichen Ort auf Herzchirurgie spezialisiert. Sie promovierte und habilitierte. Seit 2010 ist sie Fachärztin. Was ihr ehemaliger Chef über sie sagt, klingt ein bisschen ehrfürchtig. Mit "sämtlichen modernen Operationsverfahren der Erwachsenen-Herzchirurgie" sei sie vertraut. "Manuell" sei sie als Operateurin "überdurchschnittlich begabt". Für minimalinvasive Eingriffe habe sie die Bereichsleitung. Ihre reichhaltigen praktischen Erfahrungen habe sie für die Forschung aufbereitet. Sie habe "hochrangig publiziert". Ihre wissenschaftlichen Arbeiten zeichneten sich "durch Originalität und Gründlichkeit" aus. Bei den Studenten des Universitätsklinikums sei sie als Hochschullehrerin beliebt.
"Frau Dr. Richardt ist eine selbstkritische, engagierte, loyale und über die Maßen fleißige Kollegin, die sich stets hundertprozentig um die Patienten kümmert. Ihre Kooperationsbereitschaft wird von Kollegen angrenzender Disziplinen sehr geschätzt." So steht es in dem Zeugnis, das ihr der alte Chefarzt der Herzchirurgie in Lübeck am 28. März 2018 ausstellte, bevor er in den Ruhestand ging.
"Ich war immer die Vorzeigefrau des Uniklinikums", erzählt Doreen Richardt. Herzchirurginnen sind in Deutschland eine Seltenheit. Eine, die zudem fünf Kinder hat wie Dr. med. habil. Richardt, ist wohl einmalig.
Der neue Herr im Haus
Seit dem 1. April 2018 hat die Herzchirurgie am Uniklinikum in Lübeck einen neuen Chef - und seitdem sieht die Welt für Doreen Richardt und einige ihrer angestammten Kollegen ganz anders aus. Prof. Dr. Stephan Ensminger kam mit drei Oberärzten seines Vertrauens und einem Assistenzarzt. Herzchirurg Ensminger ist Absolvent der Eliteuniversitäten Oxford und Harvard. Er habe von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, wer der Herr im Hause sei, berichtet Oberärztin Richardt im Interview mit Panorama 3. Das neue Team habe den OP praktisch allein in Beschlag genommen. "Wir wurden entmachtet", sagt Richardt. An den vom neuen Chefarzt erstellten Organigrammen der Herzchirurgie lässt sich das ablesen.
Dass Chefärzte ihr eigenes Team mitbringen, ist nicht ungewöhnlich. Die Klinikleitung in Lübeck hätte allerdings Vorkehrungen treffen müssen, wie sie mit dem Personalüberhang umzugehen gedenkt, sollte später ein Gericht monieren. Das habe sie versäumt. Dies ist auch die Geschichte eines eklatanten Führungsversagens beim größten Arbeitgeber Schleswig-Holsteins. Der Vorstand des UKSH hat die Verantwortung für mehr als 13.000 Mitarbeiter. Vorstandsvorsitzender ist Prof. Jens Scholz, der Bruder des Bundesfinanzministers und Vizekanzlers.
Doreen Richardt schildert die Zeit nach dem Dienstantritt Ensmingers so: "Es gab dieses neue Team und dieses alte Team und das alte Team wurde letztlich ausgegrenzt. Es gab keine Transparenz. Es gab keine Kommunikation." Nur in geringem Umfang habe sie noch operiert. "Ansonsten bin ich aus dem OP rausgenommen worden."
Einige Kollegen wechseln das Krankenhaus
Einige alte Kollegen entziehen sich dem Konflikt, indem sie an andere Krankenhäuser wechseln. "Aber meine familiäre Situation hat mir das nicht erlaubt", so die Oberärztin. Sie bleibt. In anderen Abteilungen sei sie bald mit unangenehmen Fragen konfrontiert worden. "Was ist denn bei Euch los?", hätten Kollegen wissen wollen. Ensminger rede schlecht über die Arbeit des alten Herzchirurgie-Teams im UKSH. "Die Richardt muss weg", soll er gesagt haben, und, dass er "Material" gegen sie sammle.
Auf Anfrage von Panorama 3 teilte Prof. Ensminger über seinen Anwalt mit, dass es keine "pauschalen Verunglimpfungen" des Teams der Herzchirurgie gegeben habe, sondern nur "fachliche Kritik in Einzelfällen".
"Abstruse Vorwürfe"
Jedenfalls bekommt Doreen Richardt zu spüren, dass die Verfolgung real ist. "Ich musste eine Vielzahl von Anhörungen beim Vorstand über mich ergehen lassen." Immer wieder sei sie mit aus ihrer Sicht "abstrusen Vorwürfen" konfrontiert worden. Einmal, im Juni 2019, bekam sie sogar eine Abmahnung. Ensminger habe ihr vorgeworfen, ihm den Inhalt eines wissenschaftlichen Vortrags, den sie in Stuttgart hielt, nicht vorab vorgelegt zu haben. Richardt bestreitet die Existenz einer Dienstanweisung, wonach sie dazu verpflichtet gewesen wäre. Sie klagt vor Gericht mit dem Ziel, die Abmahnung aus ihrer Personalakte zu entfernen. Das Verfahren läuft noch.
Richardt hat den Eindruck, Ensminger wolle sie loswerden. Einmal, Ende 2018, sei er in eine Anhörung beim Vorstand hereingeplatzt und habe an ihre Adresse gesagt: "Ich kann's kurz machen. Ich will Sie in meiner Klinik nicht mehr sehen." Ensminger begründete seine Kritik offenbar damit, dass die Oberärztin in das neue Team "nicht integrierbar" sei. Zu diesem Vorfall äußert sich Ensminger auf Anfrage nicht.
Im September 2019 wird die Personalchefin des UKSH in einem Schriftsatz an den Anwalt von Dr. Richardt schreiben, man habe "den Eindruck", dass "Ihre Auftraggeberin....den Weisungen der Dienststelle nicht Folge leisten will." Richardt eine Querulantin? "Ich habe interdisziplinär unglaublich viel mit Kollegen zu tun. Ich glaube, wenn man Querulant ist, kann man das mal ein Jahr kaschieren. Aber keine zwanzig Jahre. Das schafft man nicht. Wenn man immer nur Störfaktor ist, dann ist man nicht so lange bei einem Arbeitgeber", meint sie und rätselt: "Vielleicht hat er mich als Bedrohung empfunden."
Kein Schutz vom Vorstand
Am bittersten sei für sie gewesen, dass Vorstand und Personaldezernat die Pläne des Chefarztes unterstützt hätten. Sie habe sich mit der Erkenntnis anfreunden müssen, "dass ich keinen Schutz bekomme."
Fast flehend wendet sie sich per Mail im Mai 2019 an ein Vorstandsmitglied. "Meine mühsam erarbeitete Karriere als Chirurgin ist durch das Verhalten von Professor Ensminger beendet ... Wäre es Ihnen möglich, mit mir darüber zu sprechen?" Sie prallt ab wie an einer Mauer.
Landesarbeitsgericht kritisiert Klinik
Später wird das Verhalten des Klinikvorstandes vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein scharf kritisiert werden. Der Vorstand hätte die Oberärztin in Schutz nehmen sollen, bekräftigt Gerichtssprecher Gregor Steidle im Interview mit Panorama 3: "Das beklagte Klinikum hat sich hier nicht vor die Oberärztin gestellt, sondern hat versucht, die Wünsche des neuen Chefarztes umzusetzen."
Doreen Richardt fühlt sich ihren Vorgesetzten ausgeliefert. "Das hat mich krank gemacht", sagt sie. Erstmals in ihrer Laufbahn fällt sie für längere Zeiträume aus, sucht Hilfe bei einem Spezialisten für psychosomatische Erkrankungen. "Ich habe sehr das Gefühl gehabt, dass ich gehen soll. Mir wurde das auch so nahegelegt, dass ich kündigen soll, bevor man mir kündigt", berichtet sie. Das Problem des UKSH: Dr. Richardt ist tariflich nicht kündbar. Und sie will am Uniklinikum bleiben, als geschäftsführende Oberärztin, wie es in ihrem Arbeitsvertrag steht. "Das UKSH ist meine berufliche Heimat", sagt sie.
Für das, was nun geschieht, wird das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein später deutliche Worte finden. Der neue Chefarzt habe die Oberärztin "verdrängen" wollen. Die Klinikleitung habe die eigene Macht "missbraucht" und die Oberärztin letztlich "ausgeschaltet". Ensminger untersagt ihr eine Dienstreise, verbietet ihr, Vorlesungen zu halten und entzieht ihr die Bereichsleitung für minimalinvasive Eingriffe.
Demütigende Freistellungsprozedur
Dabei könne Richardt, so wird im Urteil stehen, keinerlei Fehlverhalten angelastet werden. "Alles war letztlich darauf ausgerichtet, mein Arbeitsverhältnis zu beenden. Und eben nicht nur mein Arbeitsverhältnis zu beenden, sondern meine Karriere kaputt zu machen", sagt die Herzchirurgin.
Und der Vorstand tut, was Ensminger will. Am 22. November 2019, es ist der erste Tag nach einer längeren Arbeitsunfähigkeit, wird Doreen Richardt in ihr Arztzimmer gebeten. Dort trifft sie auf ein Vorstandsmitglied, die Personalchefin Imke S. und auf Prof. Ensminger. Ihr wird mitgeteilt, dass sie "freigestellt" sei. Der schriftliche Bescheid wird ihr vorgelesen und dann überreicht. Auf dem Bescheid steht die Unterschrift von Jens Scholz. "Danach musste ich meine Arztkleidung ablegen. In Gegenwart des männlichen Vorstandsmitglieds musste ich mich umziehen. Dann wurde ich von der Personalchefin und vom Sicherheitsdienst nach draußen begleitet, vom Gelände." So schildert Doreen Richardt ihren Rauswurf. Den Campus, auf dem sie zwanzig Jahre loyale Arbeit geleistet hatte, darf sie nicht mehr betreten.
Ihr Email-Account wird gelöscht, der Zugang zu ihren dienstlichen Computerdateien gesperrt. Für die Fachwelt sei sie plötzlich "nicht mehr existent" gewesen, werden die Richter feststellen. Die Verbindung zu ihren 18 Doktoranden ist gekappt.
Erfolg vor allen gerichtlichen Instanzen
Wenig später bekommt sie den Entwurf eines Aufhebungsvertrages zugeschickt. Die Bedingungen seien "völlig inakzeptabel" gewesen, sagt sie. Doreen Richardt kämpft. Sie klagt im Eilverfahren gegen die Freistellung. Das Arbeitsgericht Lübeck gibt ihr Recht. Das Vorgehen des UKSH sei nicht rechtens gewesen. Aber die Klinikspitze bleibt stur. Das UKSH, vertreten durch seinen Vorstand, geht in Berufung. Ensminger legt nun eine eidesstattliche Versicherung vor, in der er angibt, Richardt genüge seinen fachlichen Ansprüchen nicht. Der Vorstand behauptet in der Berufungsbegründung, Dr. Richardt gehe es in Wahrheit nicht um "Beschäftigung" am UKSH. Mit ihrer Klage wolle sie nur "den Druck" erhöhen.
Dr. Richardt, die Oberärztin, der ihr alter Chef bescheinigt hatte, "über alle Maßen fleißig" und "begabt" zu sein und die beteuert, sie wolle wieder ihre Arbeit machen "wie früher", soll um eine fette Abfindung pokern? "Dazu fällt mir gar nichts mehr ein", sagt sie. "Es ist eine Unverschämtheit."
Freistellung "unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt" rechtens
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) vom 6. Februar 2020 schreibt ein Stück deutsche Arbeitsrechtsgeschichte. Es ist unanfechtbar, bestätigt das Ergebnis der ersten Instanz, ist aber im Ton deutlich schärfer: "Kein Arbeitnehmer ist rechtlich verpflichtet, Verhandlungen über die Aufhebung und Abwicklung des eigenen Anstellungsvertrages durchzuführen. Das versucht die Beklagte (das Uniklinikum, Anm. der Redaktion) mit der vorliegenden Freistellung jedoch durchzusetzen. Eine solche Vorgehensweise ist nicht schutzwürdig", schreiben die Richter.
Und weiter: "Die Beklagte hat die Klägerin (Dr. Richardt, Anm. der Redaktion) durch die erzwungene Freistellung von einem Tag auf den anderen ausgeschaltet, ohne dass sich die Klägerin etwas zu Schulden kommen lassen hätte." Das UKSH habe "unter keinem erdenklichen rechtlichen Gesichtspunkt" das Recht gehabt, eine "unkündbare Mitarbeiterin fristlos freizustellen".
Das Gericht setzt dem Direktionsrecht des Chefarztes, also seiner Befugnis Anweisungen zu erteilen, klare Grenzen. Sein bloßer Wille, eine Mitarbeiterin loszuwerden, reiche eben nicht. "Die Beklagte (das UKSH, Anm. der Redaktion) hat zu keinem Zeitpunkt dargelegt und ggf. glaubhaft gemacht, dass die vorgetragenen Spannungen von der Klägerin (Dr. Richardt, Anm. der Redaktion) beeinflussbar waren und von ihr mit verursacht wurden. Soweit vorgebracht wird, sie werde dem fachlichen Anspruch des Prof. Dr. Ensminger nicht gerecht, fehlt jegliche Konkretisierung des fachlichen Anspruchs und jegliche Konkretisierung, woraus sich konkrete, berechtigte Zweifel an der fachlichen Leistung und Qualifikation der Klägerin ergeben sollen. Auch die zur Akte gereichte eidesstattliche Versicherung des Herrn Prof. Dr. Ensminger enthält hierzu nur pauschale Aussagen, die nicht überprüfbar sind und keine konkreten, der Klägerin vorwerfbaren Fakten enthalten."
UKSH-Vorstand bloßgestellt
Wie aus dem LAG-Urteil hervorgeht, haben Ensminger und der Klinikvorstand vor Gericht argumentiert, Richardt sei zu diversen dienstlichen Terminen in der Klinik nicht erschienen. Es handelte sich, wie die Richter feststellen, um Termine, an denen die Oberärztin krankgeschrieben war. Wenn eine Mitarbeiterin zu Terminen wegen nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit nicht erscheine, könne man ihr, so die Richter, daraus keinen Vorwurf machen, "was ein Klinikum und Ärzte wissen müssten."
Das Urteil ist eine Bloßstellung. Es kritisiert den Vorstand und weist einen despotisch auftretenden Chefarzt in die Schranken. Prof. Dr. Stephan Ensminger hat "Material" gegen die unliebsame Oberärztin sammeln wollen. Am Ende hat er eine Menge Material gegen sich selbst und den Klinikvorstand gesammelt.
Vorgehen gegen Dr. Richardt "sachlich begründet"?
Panorama 3 hat dem Vorstand eine Fragenliste vorgelegt. Telefonisch teilt der UKSH-Sprecher mit, man wolle sich nicht zu dem Fall äußern. Chefarzt Ensminger antwortet über seinen Anwalt. Er bestreitet, ein "generelles" Vorlesungsverbot erteilt und die Untersagung einer Dienstreise "ausgesprochen" zu haben. Tatsächlich schickte Ensmingers Sekretärin nach Informationen von Panorama 3 eine Mail an die Herzchirurgin. Darin heißt es, der Chefarzt genehmige ihr die geplante Dienstreise nicht. Die übrigen Maßnahmen gegen Dr. Richardt bestreitet Prof. Ensminger nicht. Sie hätten "sachliche Gründe".
Doreen Richardt arbeitet wieder im UKSH. Sie, der man "mangelnde Teamfähigkeit" vorgeworfen und von der man behauptet hatte, es gehe ihr nicht um "Beschäftigung", ist jetzt Teil des "Covid-19-Teams" auf der Intensivstation, da wo die schweren Fälle beatmet werden. Richardt ist auch Fachärztin für Intensivmedizin. Das ist natürlich nur vorübergehend. Richardt müsse wieder als "geschäftsführende Oberärztin" beschäftigt werden, bekräftigt der Sprecher des Landesarbeitsgerichts.
Nur die Spitze des Eisbergs?
Welche Konsequenzen wird die Affäre für die Spitze des UKSH haben? Die Recherchen von Panorama 3 legen nahe, dass der versuchte Rauswurf von Dr. Richardt nur die Spitze eines Eisbergs ist. In der Herzchirurgie und angrenzenden Abteilungen sei "die Luft zum Schneiden dick", hört man aus dem Uniklinikum. Mindestens ein weiterer Mitarbeiter soll Klage eingereicht haben, um sich vor Ensminger zu schützen. Ist unter diesen Umständen gute Medizin möglich? Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft erklärt sich für nicht zuständig, die Öffentlichkeit scheint bislang nichts von den Zuständen zu ahnen. In den "Lübecker Nachrichten" war noch vor zwei Monaten zu lesen, dass sich in der Herzchirurgie des UKSH "Altes und Neues wunderbar" ergänzten.
Mehr als zwei Jahre hat die Spitzenmedizinerin Doreen Richardt um ihre berufliche Existenz gekämpft. Sie hat den Weg des Widerstands gewählt, eisern und unter Gefährdung der eigenen Gesundheit. Ohne den Glauben, dass bestimmte Grundprinzipien der Gerechtigkeit verteidigt werden müssen, hätte sie es nicht geschafft. Die Vorgesetzten hätten mit diesem Widerstand nicht gerechnet, sagt sie: "Das war der Denkfehler."