DITIB-Moscheegemeinden: Fragwürdige Spendenpraxis
In den 36 Moscheegemeinden der sunnitisch-muslimischen Organisation DITIB-Nord wird bei Freitagsgebeten Geld gesammelt, um es anschließend auf ein Konto des türkischen Generalkonsulats in Hamburg zu überwiesen. Diese Spendenpraxis wirft Fragen auf.
Regelmäßig werden nach dem Freitagsgebet Spenden gesammelt - so auch an diesem ersten Freitag im Oktober. Der Imam in der DITIB-Zentrum-Moschee in Hamburg-Hamm ruft die Gläubigen auf, großzügig zu sein: "Möge Allah Eure Spenden mit dem Paradies belohnen." Diesmal sei das das Geld für den "Islam-Unterricht" bestimmt, für die Jugend. Gesammelt wird in einer Kiste, viele der rund 500 Moscheebesucher geben etwas. Was sie nicht wissen: Das Geld soll diesmal an das türkische Generalkonsulat in Hamburg gehen. Panorama 3 liegt eine Nachricht aus einem internen Chat vor, gerichtet an die Vorstände aller DITIB-Moscheegemeinden in Hamburg und Schleswig-Holstein. Darin heißt es: Es werde "nach dem Freitagsgebet für die Kosten der Bildungsausgaben des Hamburger Attachés gesammelt, und es wird gebeten, den gesammelten Betrag bis Freitag, 17 Uhr, auf das folgende Konto zu überweisen." Und dann ist eine Kontonummer des Generalkonsulats der Republik Türkei in Hamburg angegeben.
"Neutralität des Staates gegenüber Religionen"
DITIB ist der einflussreichste Verband für türkische Muslime in Deutschland. Zu DITIB Nord gehören 36 Gemeinden in Hamburg und Schleswig-Holstein. Der Verband gehörte zu den islamischen Gemeinschaften, mit denen die Freie und Hansestadt Hamburg Staatsverträge geschlossen hatte, unter anderem um die Gestaltung des Religionsunterrichts an Schulen zu regeln. Darin bekennen sich die Partner auch ausdrückliches zur "Neutralität des Staates gegenüber Religionen".
Wie sind Zahlungen an das türkische Generalkonsulat mit diesem Bekenntnis vereinbar? "Nicht wirklich", sagt der Religionswissenschaftler Friedmann Eißler, Islambeauftragter der Evangelischen Landeskirche Württemberg. "Offensichtlich wurde dieses Geld nicht auf ein Konto von DITIB, also einem deutschen Verein, überwiesen, sondern auf ein Konto des Generalkonsulats, das eben eine türkische Staatsbehörde in Deutschland ist. Insofern zeigt dieser Fall wieder, dass die Türkei und DITIB aufs engste verbunden sind und Hand in Hand arbeiten."
Zu viel Nähe zur Türkei, zu viel Einfluss aus Ankara
Diese Vorwürfe gibt es immer wieder. Das liegt auch an der Verbandsstruktur: So arbeiten die Mitglieder ehrenamtlich, viele engagieren sich für Integration und Demokratie. Aber: Die wichtigsten Personen in den Moscheen, die Imame, gehören nicht zum Verband, sondern sind türkische Beamte. Und auch die Aufseher der Imame sind Beamte - die sogenannten Religionsattachés, die der türkischen Regierung direkt unterstellt sind.
Seit Mitte 2021 ist Osman Dikec als Religionsattaché beim türkischen Generalkonsulat in Hamburg im Amt. Mit ihm soll der Einfluss der Türkei auf DITIB Nord gewachsen sein. Erst Ende Mai war Dikec auf einer viertägigen Tagung in Ankara, ein Foto zeigt ihn gemeinsam mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Eine seiner ersten Amtshandlungen in Hamburg war, zu initiieren, dass bei den regelmäßigen Spendensammlungen in den Moscheegemeinden ab sofort auch für die Belange des Attachés gesammelt werde, angeblich, um seine Bildungsausgaben zu decken.
Spendenaktion "zu Gunsten des Attachés"
Das Protokoll der Sitzung, an der die Vorstände der Moscheevereine teilnahmen und das von Osman Dikec unterschrieben wurde, liegt Panorama 3 vor. Dort wurde eine Spendenaktion im Oktober 2021 "zu Gunsten des Attachés" beschlossen. Und nicht nur das: Auch die Mindest-Spendensumme wird vorgegeben: "Der gesammelte Spendenbetrag wird von den Vereinen über die Beträge unter 500 Euro pro Verein aufgestockt, und die Beträge über 500 Euro werden ohne Abzüge auf das Bankkonto unseres Attachés überwiesen." Die Gesamtspendensumme hat sich bei 36 Gemeinden also wohl auf mindestens 18.000 Euro belaufen. Denn die Ansage an die generell eher klammen Gemeinden war klar: Wer nicht auf 500 Euro aus dem Vereinsvermögen aufstocke, dem würden die "Kurslehrer" gestrichen. Insider behaupten, dass Dikec den Gemeinden gar damit gedroht habe, den Imam abzuziehen, wenn zu wenig Geld überwiesen werde.
Für Religionswissenschaftler Eißler zeigt sich hier eine klare Hierarchie: "Die Ansage kommt vom Religionsattaché, vom Generalkonsulat, im Grunde von den staatlichen Behörden, die dann auch offensichtlich das Sagen über die Moscheegemeinden haben. Das heißt, die Moscheegemeinden haben gar nicht den Spielraum, selbst über ihre Entwicklungen zu entscheiden, sondern sind direkt abhängig von türkischen Staatsbeamten in Deutschland."
Warum gehen Spendengelder auf ein Konto des Generalkonsulats?
Konfrontiert mit den Vorwürfen reagierten weder das türkische Generalkonsulat noch der Attaché. DITIB Nord räumte auf NDR Anfrage ein: Ja, die Gelder seien geflossen, es handele sich aber um ein Treuhandkonto. Der Verband habe die Kontrolle über die Ein- und Ausgaben. Wer genau bei DITIB die Kontrolle hat - und ob das Geld wirklich für Bildungsarbeit eingesetzt wird, dazu kam keine Antwort mehr, trotz mehrmaliger Nachfrage. Außerdem habe Dikec in seiner Rolle als "ehrenamtliches Mitglied des Religiösen Beirats" gehandelt. Aber warum dann ein Konto des Generalkonsulats? Die Nähe zum türkischen Staat bleibe ja, sagt Friedmann Eißler: "Man muss sich im Grunde die Frage stellen: Warum hat DITIB nicht einfach ein Konto, auf das das Geld überwiesen wird? Warum geht das an den türkischen Staat und wird von dort aus verwaltet und dann möglicherweise in Projekte eingespeist, die gar nicht direkt mit den Gemeinden zu tun haben?"
Wie geht es weiter mit den Staatsverträgen?
Die neuen Vorwürfe kommen für DITIB Nord zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Derzeit diskutiert die Politik in Hamburg, wie es mit den Staatsverträgen mit den islamischen Verbänden nach zehn Jahren weitergeht. Die Evaluierung soll im November abgeschlossen sein. Dennis Thering, Fraktionsvorsitzender der CDU, vertritt da eine klare Position: "Eine Neutralität des Staates zur Religion ist hier ganz offensichtlich nicht gegeben. Das zeigen die Vorgänge noch einmal sehr, sehr deutlich. Und solange das weiterhin der Fall ist, kann Ditib nicht Teil der Staatsverträge mit der Stadt Hamburg sein". So weit wollen die in Hamburg mitregierenden Grünen nicht gehen. Der religionspolitische Sprecher der Partei, Michael Gwosdz, begrüßt generell, wenn es eine eigenständige Bildungsarbeit bei DITIB gebe, mitfinanziert von den Gemeindemitgliedern. Er gibt aber auch einen klaren Rat: "Ich würde jedem Verein immer empfehlen, ob das nun DITIB ist oder jeder andere, für Transparenz zu sorgen und eigene Vereinskonten zu haben, auf die das Geld geht. Um wirklich deutlich zu machen, das ist getrennt von privaten Interessen oder eben auch von staatlichen Interessen."
Am Ende der Stellungnahme an den NDR schreibt DITIB Nord: "Auch in unseren Augen ist diese Verfahrensweise verbesserungswürdig, so dass wir eine andere Verfahrensweise anstreben." Beobachter wie der Religionswissenschaftler Friedmann Eißler bezweifeln allerdings ein echtes Umdenken beim Verband, schon oft habe es solche Ankündigungen gegeben: "Das ist jetzt wieder ein Beispiel dafür, wie eng die Verflechtungen von DITIB mit der türkischen Politik nach wie vor sind. Und dass noch keine Konsequenzen aus den Debatten der letzten Jahre gezogen worden sind." DITIB zeige sich hier entweder unwillig oder unfähig, diese Entflechtung vorzunehmen. "Jedenfalls hat sie bisher noch nicht stattgefunden."