Corona-Tests: Verdächtige Teststellen in Buxtehude

Stand: 07.09.2022 07:28 Uhr

Wer kontrolliert Corona-Schnelltest-Zentren? In Buxtehude konnte ein verdächtiger Betreiber seinen Stand einfach um 50 Meter verlegen und dort weitermachen.

von Markus Grill, Lea Struckmeier

Die Abrechnungen der Teststelle an der Petrikirche in Buxtehude sollen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) schon mehrere Monate lang fragwürdig vorgekommen sein. Im November 2021 soll sie dann nach Informationen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" die Zahlungen komplett gestoppt haben. Doch die Teststelle änderte einfach ihren Standort, zog 50 Meter weiter. Dass der Betreiber dort gerade mal eine 1,5 mal 2 Meter große Box aufgebaut hatte, in der er angeblich mehr als 1.000 Corona-Tests pro Tag machen konnte, kam niemandem komisch vor. Die KV zahlte einfach weiter Geld für den neuen Standort. Von Oktober 2021 bis März 2022 meldete der Betreiber der Mini-Teststelle insgesamt 75.000 Bürgertests - ein Rekord für Buxtehude.

Ein Mitarbeiter eines Corona-Testzentrums in Buxtehude. © Screenshot
Wer kontrolliert die Teststationen? In Buxtehude offenbar niemand so richtig.

Der Landkreis Stade, zu dem das Gesundheitsamt gehört, behauptet, von der KV nie über den Zahlungsstopp informiert worden zu sein. Die KV hingegen will nichts zu dem Fall sagen, weil sie aus Datenschutz-Gründen keine Auskunft zu einzelnen Teststellen geben dürfe. 

Auffällig wenig positive Testergebnisse

Laut einem Schreiben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ans Gesundheitsministerium ist "eine unterdurchschnittliche Rate positiver Testergebnisse" eine Auffälligkeit, die zu einer erweiterten Prüfung führt. Doch im Fall der Mini-Teststelle in Buxtehude scheint auch das kein Problem gewesen zu sein. Während im ganzen Landkreis Stade von Oktober 2021 bis März 2022 rund 3,3 Prozent aller Bürgertests positiv waren, waren es bei der Buxtehuder Testbude nur 0,6 Prozent.

Gesundheitsamt hatte Hinweise auf Unregelmäßigkeiten

Der Fall zeigt exemplarisch, wie schlecht die Kontrolle der Corona-Testzentren immer noch funktioniert. In einem anonymen Schreiben aus dem Gesundheitsamt Stade an den Norddeutschen Rundfunk (NDR) heißt es: "Obwohl uns bereits entsprechende Hinweise auf Unregelmäßigkeiten vorlagen, wurde aus unserem Hause nichts unternommen."

Detlef Haffke. © Screenshot
"Kurios" sei es, was derzeit stattfinde, sagt Detlef Haffke von der KV Niedersachsen.

Routiniert sind die Behörden hingegen darin, die Verantwortung abzuschieben. So schreibt der Landkreis Stade: "Die Abrechnung und deren Überprüfung obliegt ausschließlich der Kassenärztlichen Vereinigung." Die KV widerspricht: "Diese Aussage ist falsch. Wir sind keine Aufsichtsbehörde, die vor Ort tätig wird. Das ist Aufgabe der Gesundheitsämter", sagt Sprecher Detlef Haffke. Deshalb habe man auch nie die Test-Box vor Ort inspiziert, bevor man die Zahlungen wieder aufgenommen habe. 

Ermittlungen gegen Betreiber

Der Betreiber der Teststation in Buxtehude will selbst keine Fragen beantworten: Per E-Mail räumt er ein, dass inzwischen Ermittlungen gegen ihn laufen. Deshalb "möchte ich mich in der Öffentlichkeit zu dem Sachverhalt nicht äußern". Er sei aber "selbstverständlich jederzeit bereit, den zuständigen Behörden, insbesondere der KVN, die Plausibilität meiner Abrechnungen nachzuweisen".

Fragen ergeben sich auch bei einer anderen Teststation in Buxtehude. Die Station, die an einer Bundesstraße liegt, hat von Oktober bis März mehr als 28.000 Tests abgerechnet, die Positivquote lag hier bei 0,2 Prozent. "Auch wir waren über die niedrige Positivrate verwundert", schreiben die Geschäftsführer auf Anfrage. "Manche unserer Mitarbeiter haben die notwendigen Arbeiten in unserer Teststation nicht richtig durchgeführt", deshalb "mussten wir einige Entlassungen vornehmen." Nachfragen zum Fall beantworteten die beiden Geschäftsführer nicht mehr.

Vier verdächtige Teststationen im Kreis Stade

Die KV Niedersachsen sagt, dass sie insgesamt vier Teststationen im Kreis Stade im Verdacht habe, falsch abzurechnen - um welche es sich handle, könne man aus Gründen des Datenschutzes nicht verraten. In ganz Niedersachsen habe man zehn Fälle an die Staatsanwaltschaft gemeldet. 

Urteil gegen Bochumer Teststations-Betreiber

Im Mai 2021 deckten NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung" den ersten größeren Fall von Teststellen-Betrug auf: Der in Bochum ansässige Betreiber Medican meldete damals unplausibel hohe Testzahlen ans Ministerium. Der Inhaber der Kette wurde inzwischen vom Landgericht Bochum zu sechs Jahren Haft verurteilt, den Schaden beziffert das Gericht allein in diesem Fall auf 24,5 Millionen Euro.

Geschätzter Schaden bundesweit: Eine Milliarde Euro

Nach Bekanntwerden des Falls kündigte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an, den Betrug bei Teststellen durch mehr Kontrollen unterbinden zu wollen - doch die Betrugsfälle gingen auch danach munter weiter. Das Landeskriminalamt Berlin schätzt, dass bundesweit bei jedem zehnten Corona-Test betrogen werde. Insgesamt gab der Bund bisher rund zwölf Milliarden Euro für die Tests aus, das LKA geht deshalb von einem Schaden von mehr als einer Milliarde Euro für den Steuerzahler aus.

Hunderte Millionen Euro für Abrechnungsprüfungen

Zu den Profiteuren des Systems gehören auch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV), deren eigentliche Aufgabe es ist, das Geld der Krankenkassen an niedergelassene Ärzte zu verteilen. Der Bund hat die KVen aber auch mit der Aufgabe betraut, die Gelder an die Teststellen-Betreiber auszuzahlen und die Abrechnungen zu überprüfen. Sie erhalten dafür von jedem Bürgertest 2,5 Prozent als "Verwaltungskostenersatz", bis Mai waren es sogar 3,5 Prozent. Dank der gewaltigen Ausgaben für die Tests flossen auf diese Weise bisher auch rund 350 Millionen Euro an die KVen.

Allein bei der KV Niedersachsen landeten so 30 Millionen Euro Steuergeld. "Wir haben diese Summe nie gefordert", sagt KV-Sprecher Haffke. Nur einen Bruchteil davon habe die KV tatsächlich für die Abrechnungsprüfung eingesetzt. "Aber wir werden das Geld nicht zurückerstatten", teilt Haffke mit. Man habe die "Überschüsse sinnvoll geparkt", um damit Arztsitze in ländlichen Regionen zu fördern.

Robert Koch-Institut soll Aufgabe übernehmen

Künftig wollen die KVen aber nicht mehr mit der Abrechnungsprüfung behelligt werden, das haben sie in einem Schreiben an den Bundesgesundheitsminister klar gemacht. Lauterbach will die Plausibilitätsprüfung deshalb auf das Robert Koch-Institut übertragen. Das RKI will diese Aufgabe zwar auch nicht erledigen, kann sich aber nicht wehren, weil es dem Gesundheitsministerium unterstellt und deshalb weisungsgebunden ist.

Zur Verwunderung der KVen sollen sie aber trotz der Änderung der Kontrollen weiterhin 2,5 Prozent von jedem Bürgertests für Abrechnung und Kontrolle erhalten. Selbst Niedersachsens KV-Sprecher Haffke hält den Plan für "einen Webfehler im Gesetz". Er wehrt sich zwar nicht gegen den anhaltenden Geldsegen aus Berlin, zweifelt aber daran, dass die Juristen im Gesundheitsministerium das wirklich durchdacht haben. "Das ist schon kurios, was da zurzeit stattfindet."

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 06.09.2022 | 21:15 Uhr

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