Corona-Demos: Was eint die Protestierenden?
Immer wieder steht der Vorwurf im Raum die aktuellen Anti-Corona Proteste würden von Verschwörungsmythen bis hin zu offenem Antisemitismus dominiert. Panorama 3 hat Protestierende am vergangenen Samstag in Hannover gefragt, was sie antreibt und wen sie verantwortlich machen für Pandemie, Maskenpflicht und Abstandsgebot.
Ein bunter Haufen
Rund 1.100 Gegnerinnen und Gegner der Pandemie-Maßnahmen haben sich laut Angaben der Polizei am Samstag in Hannover versammelt. Sie wirken wie ein bunter Haufen mit ihren Regenbogen-Fahnen und selbstgemalten Protestplakaten. Frauen mit bunten Kleidern, Männer mit Sandalen und Schlabberjeans erwecken den Eindruck, als ginge es hier um den Protest gegen eine neue Autobahn oder gegen ein Atomkraftwerk. Doch es geht gegen die Maskenpflicht, gegen das Impfen, und bei manchen auch gegen den Ausbau des 5G-Netzes, mit dem wir angeblich alle kontrolliert werden sollen.
Auch das wichtige Feindbild der Corona-Demonstranten, der Microsoft-Gründer Bill Gates, ist allgegenwärtig. "Gib Gates keine Chance" ist da auf Ansteckern an T-Shirts zu lesen. "Impfen=Chippen" steht auf einem Pappschild. Offenbar glauben diese Anhänger eines Verschwörungsmärchens an einen Chip, den Bild Gates uns mit der Impfung gegen Corona einpflanzen wolle. Reichsbürger mit schwarz-weiß-roten Fahnen wie am 29. August in Berlin sind hier nicht dabei. Und an Kleidung und Symbolen zu erkennende mutmaßliche Nazis sind nur eine kleine Minderheit. Hier demonstrieren offenbar überwiegend Menschen aus der Mittelschicht.
Antisemitische Denkmuster als Klebstoff
Schnell entsteht der Eindruck, hier seien einfach harmlose Menschen unterwegs, die ihren Frust über die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nur etwas skurril ausdrücken. Fragt man genauer nach, dann ergibt sich allerdings ein ganz anderes Bild. Ein Mann erklärt uns hinter den Maßnahmen gegen Corona, das nicht gefährlich sei, stecke "die Elite". Er ist sich sicher, "das sind Einzelne, die das bestimmen." Er wisse nicht wer da regiert, aber Merkel sei "auch nur noch eine Marionette".
Auch ein anderer ist sich sicher, es seien "Finanzkräfte, die im Hintergrund wirken, die nicht in der ersten Reihe stehen", am Werk. Der nächste sieht einen "Staatsputsch" hinter dem sehr "wenige Reiche, sehr Mächtige" stecken würden. Das Parlament spiele dabei keine Rolle mehr. Fast alle von uns auf der Demonstration Befragten sehen Drahtzieher im Hintergrund, die bei der Pandemie und den Maßnahmen gegen diese eine Rolle spielen würden. Mal ist es Bill Gates, dann wieder George Soros oder Finanzeliten, die angeblich die Fäden ziehen.
Johanna Thiemecke von der Amadeu Antonio Stiftung gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus sieht in solchen Sichtweisen "antisemitisch strukturiertes Denkverhalten", bei dem Einzelne für die Pandemie und ihre Auswirkungen verantwortlich gemacht würden. Mit Blick auf die deutsche Vergangenheit mahnt Johanna Thiemecke: "Antisemitische Denkstrukturen fangen da an, wo gesellschaftliche Prozesse personifiziert werden, wo einer bestimmten kleinen Gruppe die Schuld gegeben wird für Probleme in der Gesellschaft".
Tatsächlich zeigen auch unsere Recherchen vor Ort: Ein verbindendes Element unter den Corona-Demonstranten ist, dass Einzelne als Feinde ausfindig gemacht werden, die bekämpft werden sollen. Man bedient sich vielfach antisemitischer Stereotypen, jedoch ohne Jüdinnen und Juden offen zu nennen.
Offener Antisemitismus
Viele der Verschwörungsgläubigen sind sich selbst vermutlich gar nicht bewusst, was die da verbreiten. Doch auch offener Antisemitismus wird geduldet. Da ist die Frau mit dem gelben Davidstern, die sich damit zum Opfer der Corona-Politik stilisiert und damit den Holocaust bagatellisiert. In den Chatgruppen von Veranstaltern des Corona-Protestes in Hannover finden sich Dutzende offen antisemitische Einträge. In der Regel unwidersprochen. Dort wird Angela Merkel als "zionistische Jüdin" bezeichnet und behauptet, dass "Juden die Medien kontrollieren".
Auch auf den Protestveranstaltungen wird offener Antisemitismus zu Schau gestellt. Der Bundesverband der Recherche und Informationsstellen Antisemitismus RIAS hat allein zwischen dem 17. März und dem 17. Juni 2020 bundesweit 123 offen antisemitische Vorfälle auf Corona-Demonstrationen dokumentiert. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Offenbar treffen bei den Protestveranstaltungen Antisemiten auf Anhänger anderer Verschwörungsmythen, die an die "Drahtzieher im Hintergrund" glauben. So bunt und harmlos wie es auf den ersten Blick erscheint, ist dieser Haufen von Corona-Demonstranten also nicht.