Bio-Szene gespalten: Zwischen Corona-Leugnung und Wissenschaft
Immer wieder kam es in Bio- und Öko-Anbauverbänden in den letzten Monaten zur Stimmungsmache gegen Corona-Maßnahmen. Ist die Bio-Szene besonders anfällig für Corona-Verschwörungsmythen? Und wenn ja, warum?
Demeter ist einer der Großen unter den biologischen Anbauverbänden. Viermal im Jahr gibt der Anbauverband seine Kundenzeitschrift, das "Demeter Journal", heraus. Das Magazin liegt gratis im Biohandel aus und hat mit über 280.000 Exemplaren immerhin eine größere Auflage als die Hannoversche Allgemeine Zeitung. Kurz vor dem Höhepunkt der zweiten Corona-Welle, beschreibt dort ein unbekannter Autor seine Welt der Zukunft. In dem Artikel "Wenn wir uns trauen, zu vertrauen" wird eine Welt "ohne Forschung" beschrieben. "Das Zeitalter zerstörerischer Geisteseliten war überwunden", heißt es in dem Artikel. Die wissenschaftsfeindlichen Thesen in dem Artikel lösen im Netz Proteste aus, bis hin zu Boykottaufrufen von Demeter-Produkten. Demeter sah sich gezwungen, den umstrittenen Artikel von der Internetseite zu nehmen. Dieser habe lediglich eine Utopie beschrieben. Er könne "im Zuge der Corona-Krise falsch verstanden werden."
Corona-Verharmlosung unterm Demeter-Siegel
Doch im Demeter-Verband sind Verschwörungsmythen offenbar ein Problem. Die Demeter-Imkerin Ulrike P. verbreitet krude Thesen über die Corona-Pandemie im Internet. Sie bedient sich dabei antisemtischer Erklärungsmuster. So schreibt sie auf Telegram: "Ich möchte nicht von jüdischer Medizin sprechen. Aber es gibt Zirkel, die in großem Stil versuchen die Menschheit zu lenken." Unsere Fragen dazu will Ulrike P. nicht in einem Interview beantworten. Stattdessen erhalten wir ein wirres Pamphlet gegen die Maskenpflicht, gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie, gegen die Regierung. Auch Demeter lehnt ein Interview zu diesem Fall ab. Schriftlich teilt der Verband mit: Die Äußerungen der Imkerin seien "falsch und abstoßend". Demeter distanziere sich klar von "Rechtsextremismus und menschenfeindlichen Bestrebungen."
Die Lehren Rudolf Steiners
Die Demeter-Imkerin Ulrike P. bezeichnet Anthroposophie als ihre Lebensgrundlage. Eine Weltanschauung, die der Esoteriker Rudolf Steiner in den 1920er Jahren begründete, auf der auch Demeters biologisch-dynamische Landwirtschaft beruht.
Die Anthroposophie will den Naturwissenschaften nicht nachprüfbare Aspekte hinzufügen. So gebe es kosmische Kräfte und durch die Anthroposophie könne der menschliche Geist auf eine höhere Ebene gelangen. In Steiners Werk finden sich okkultistische und rassistische Elemente. So schrieb er von "Wurzelrassen" und hielt Krankheiten für eine Folge schlechten Karmas in einem früheren Leben. Bei der biologisch-dynamischen Landwirtschaft ist es Standard, dass Dung befüllte Kuhhörner im Boden vergraben werden. Diese sollen sich "kosmischer Strahlung" aufladen. Die Hörner werden dann wieder ausgegraben, zermahlen, mit Wasser vermischt und "rhythmisch verrührt". Dadurch können Landwirte "sich fein wahrnehmend mit dem Betriebsorganismus […] verbinden", meint Demeter.
Einfallstor für Verschwörungen
Die Soziologin Nora Pösl hält solche Esoterik für ein Einfallstor für Verschwörungsideologien: "Personen, die der Esoterik zugeneigt sind, sind prinzipiell eher wissenschaftsskeptisch, da die esoterischen Erklärungsmodelle mit wissenschaftlichen Methoden gar nicht beweisbar sind und auch meist den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen." Es seien jedoch längst nicht alle Personen innerhalb der Verbände reine Ideologen, oft stünden mittlerweile ökonomische Interessen im Vordergrund.
Auch andere Anbauverbände haben mit Corona-Verharmlosern zu kämpfen. Ein Bioland-Bauer ließ sogar die sogenannten Querdenker auf seinem Hof demonstrieren. "Es gibt einige Menschen mit Visionen, wie zum Beispiel Bill Gates. Er möchte gerne sieben Milliarden Menschen impfen. Die Frage ist nur, welche Motivation steckt dahinter?", fragt Jochen B. während seiner Rede. Auf Anfrage distanziert sich Bioland von den Aktivitäten des Landwirts. Bioland nehme "die Corona-Pandemie sowie die angeordneten Maßnahmen sehr ernst" und grenze sich klar ab "von den Denkmustern der 'Querdenker' und Corona-Leugner."
Vergleiche mit deutscher Vergangenheit
Teile der Bio-Szene schwanken zwischen Verschwörungstheorie und Distanzierung. So wie Joseph Wilhelm, Chef der Bio-Marke Rapunzel. Im April 2020 outet sich Wilhelm auf der Website seines Unternehmens als Corona-Verharmloser. So schrieb er "Masken=Maulkorb=Unterwerfung. Für mich stellt das Tragen von Masken die höchste Form der Demütigung dar." Schließlich schreibt er von Vergleichen "zu düsteren Zeiten deutscher Geschichte."
Auch Rapunzel war danach Boykottaufrufen ausgesetzt. Dann fühlte sich Wilhelm falsch verstanden, distanzierte sich öffentlich von Corona-Leugnern. "Besonders betroffen macht mich, dass ich als Verbreiter von Verschwörungstheorien genannt werde", heißt es in seiner Stellungnahme. Denn viele Konsumenten wollen zwar gesundes Essen kaufen, aber eben keine Verschwörungstheorien gratis dazu bekommen.