Arbeit auf Abruf: Das Leiden der Arbeitnehmer
Allzeit bereit, aber nicht allzeit bezahlt - das sind ungefähr 1,5 Millionen Menschen in Deutschland, die auf Abruf arbeiten. So schätzt es das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Marion H. (Name von der Redaktion geändert) ist eine von ihnen. Mit einem Teilzeitvertrag über 25 Stunden. Sie werde auf jeden Fall mehr arbeiten können, hieß es von ihrem Arbeitgeber. Das Modell hieße "Teilzeit auf Abruf".
Tatsächlich arbeitete sie häufig auch mehr, doch eben nicht immer. Ihre Unsicherheit wuchs und wuchs, denn: "Ich wusste nie, wie viel Geld ich im nächsten Monat habe", sagt Marion H. Einen Zweitjob, um ihr Gehalt aufzubessern, konnte sie nicht annehmen. Sie hatte zwar einen Teilzeitvertrag, war aber Vollzeit auf Bereitschaft. Wann sie wie viel in der nächsten Woche arbeiten würde, das erfuhr sie meistens erst am Wochenende davor. Ob sie einen Arzttermin oder das Treffen mit Freunden einhalten kann, wusste sie auch selten rechtzeitig.
Risiko liegt beim Arbeitnehmer
"Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit", kurz Kapovaz, nennt sich dies. Arbeitgeber können so äußerst flexibel ihren Bedarf an Arbeitskräften decken, ohne wirtschaftliches Risiko. Denn das tragen allein die Arbeitnehmer. Wenn es nicht so viel zu tun gibt, fallen sie einfach auf die im Vertrag geregelte Mindeststundenzahl zurück.
Für viele ein Problem, denn Arbeit auf Abruf leisten häufig, die, die sowieso wenig verdienen. Und es bleibt ein finanzielles Risiko, viele Beschäftigte wissen monatelang nicht, wie ihr Gehalt am Ende des Monats aussehen wird. Diese neuen flexiblen Arbeitsverträge sind kein neues Phänomen, sie nehmen aber zu. In fast allen Dienstleistungsbranchen gebe es inzwischen diese Art der Verträge, sagt Björn Krings von der Gewerkschaft Verdi. Er kritisiert, dass diese Mini Verträge Arbeitnehmer häufig in eine Bettlersituation bringen, während der Arbeitgeber dagegen die Freiheit besitze, seine Arbeitnehmer beliebig einzusetzen, ohne großes Risiko.
Stundenlohn: 8,84 Euro
So ergeht es auch einigen Mitarbeitern am Hamburger Flughafen, vor allem im Bereich der Bodenverkehrsdienste, wie zum Beispiel der Gepäckabfertigung. Dort arbeiten nach Angaben der Gewerkschaft Verdi bis zu 200 Mitarbeiter mit so genannten Effektivverträgen, also zwischen 10 und 20 Stunden fest pro Woche - der Rest erfolgt auch auf Abruf. Auch hier können die betroffenen Beschäftigten kaum von dem Stundenlohn von 8,84 Euro Brutto leben.
Panorama 3 hat mit einem Mitarbeiter anonym gesprochen. Bernd P. (Name von der Redaktion geändert) hat seit mehreren Jahren einen Effektiv-Vertrag, immer wieder befristet. Das frustriert, große Sprünge könne er nicht machen. Im Gegenteil: Um den Lebensunterhalt für sich und seiner Familie zu sichern, bekommt er Unterstützung vom Amt. Der Flughafen Hamburg verteidigt dieses Arbeitsmodell. Ein Mindestanteil von vollflexiblen Kräften sei notwendig, um Bedarfsspitzen abfedern und den Verkehrsfluss am Flughafen aufrechterhalten zu können, heißt es auf Anfrage des NDR. Die Arbeitnehmerrechte seien zu jeder Zeit gewährt.
Stadt Hamburg profitiert
Anteilseignerin des Flughafens Hamburg ist unter anderem die Stadt. Und profitiert damit von den Gewinnen, die in Fuhlsbüttel eingeflogen werden. Die regierende SPD ruft mit ihren Genossen seit Monaten ihr neues Motto ins Land. Sie stehe für "Gute Arbeit". Klingt nach einem Dilemma. In der Hamburger SPD-Fraktion ist der Abgeordnete Wolfgang Rose sehr abwägend. Die Stadt Hamburg setze sich zwar für gute und faire Arbeitsbedingungen, er sehe aber kaum Handlungsspielraum, dieses Arbeitsmodell zu ändern. Wichtig sei es daher, so Rose, dass mit dem Modell kein Missbrauch betrieben würde. In dem SPD geführten Bundesarbeitsministerium sieht man "Arbeit auf Abruf" auch als Zahn der Zeit: Die gesetzlichen Regelungen spiegeln die Erkenntnis wider, dass eine moderne Wirtschaft in einem gewissen Umfang auch flexible Jobs braucht. (...) aber zu fairen Bedingungen für die Beschäftigten.