Stand: 08.09.2020 19:21 Uhr

Ärgernis am Straßenrand: Warum Schrottautos Städte verschandeln

von Claudius Maintz

Alte, abgemeldete Autos, die ohne Nummernschild am Straßenrand parken: Für die meisten Städte Norddeutschlands sind sie zu einem großen Problem geworden. Oft gehören sie Händlern und werden meist irgendwann von Exporteuren abgeholt. Was übrigbleibt, müssen die Städte entsorgen.

Alte Autos - abgemeldet, fast immer ohne Nummernschild und in einem schlechten Zustand. Das Gewerbegebiet "Alter Flughafen" in Hannover-Vahrenheide ist zugestellt mit Schrottkarren. "Wir haben eine Firma und auch mehrere Lkw und Anhänger, die auf der Straße stehen müssen, die aber keinen Platz haben da, weil die Straßen hier mit nicht mehr zugelassenen Fahrzeugen zustehen", sagt Michael W., der hier wohnt und arbeitet. "Es sind Autos dabei, die verlieren Öl, auch auf den neuen Asphalt, Diesel läuft aus, da kümmert sich keiner drum."

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Abgemeldete Autos selbst in ruhigen Wohngegenden

In ruhigeren Wohngegenden sieht es kaum besser aus. Ulrike Gerwert musste wochenlang um abgemeldete Autos ohne Kennzeichen herumkurven, die sich vor ihrer Haustür wochenlang die Reifen platt standen. "Wir hatten in der Zeit öfter Handwerker, die konnten vor der eigenen Tür weder be- noch entladen."

Besonders ärgerlich wird es, wenn man in einem Viertel wohnt oder arbeitet, in dem es ohnehin schon zu wenige Parkplätze gibt - so wie in Hannover-List. Werkstatt-Mitarbeiter Uwe Fischer-Baeumer: "Es sind etwa 20 Fahrzeuge, die abgemeldet an der Straße parken und das ist schon seit Jahren so. Wir sind hier morgens zehn Minuten bis eine Viertelstunde am Parkplatz suchen. Teilweise ist das echt eine Katastrophe."

Das Problem mit alten Autos in Hannover ist groß. Die Zahl illegal am Straßenrand entsorgter Fahrzeuge stieg in den vergangenen Jahren rasant an. Von 3.498 vor zwei Jahren auf 5.077 im Jahr 2019. Mitte August 2020 waren es bereits 3.484.

Steigende Zahlen in Norddeutschlands Städten

Auch in anderen norddeutschen Großstädten erhöhte sich die Zahl illegal entsorgter Altautos. In Kiel von 340 (2018) auf 1.056 (2019), in Hamburg im selben Zeitraum von 3.498 auf 5.077, in Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt Schwerin von 178 auf 190. In Hannover suchen seit ein paar Jahren Abfallfahnder gezielt nach illegal abgestellten Altautos. Und je mehr sie finden, desto höher sind natürlich auch die Zahlen in der Statistik.

Die Straße ist zum Umschlagplatz geworden

Müllfahnder Daniel Borchardt (l.) und Stefan Hencke schreiben ein Auto auf. © NDR Foto: Screenshot
Müllfahnder Daniel Borchardt (l.) und Stefan Hencke finden in der Region Hannover häufig herrenlose Fahrzeuge.

Fündig werden Hannoveraner Abfallfahnder meist in der Nähe von Autohändlern, die ihre Ware einfach an die Straße stellen. Grund hierfür ist nicht immer nur Platzmangel auf dem eigenen Gelände. Die alten Autos sollen jederzeit zugänglich für ihre Abholer sein: Aufkäufer, die oft aus Osteuropa anreisen: "Die Straße ist zum Umschlagplatz geworden. Die Autos werden aufgekauft, zwischengelagert. Ich vermute, teilweise repariert, bevor sie dann verkauft werden oder in den Export gehen nach Osteuropa überwiegend", sagt Stefan Hencke, einer von neun Abfallfahndern des Zweckverbandes Abfallwirtschaft Region Hannover.

Der Nachbar eines Straßen-Händlers ergänzt: "Seine Kunden kommen direkt hierher zum Gucken an die Straße. Und gegebenenfalls, wenn sie fahrtüchtig sind, wird noch eine Probefahrt gemacht. Wird Geld, Papiere übergeben und dann kommt der Sammeltransport und dann sind sie irgendwann weg", sagt der Mann, der anonym bleiben will. Zu jeder Tageszeit kämen Transporter, um das rollende Altmetall abzuholen.

Abfallfahnder im Einsatz in Hannover

Hannover stuft die Autowracks als Abfall ein, weshalb die städtischen Abfallfahnder an das Kreislaufwirtschaftgesetz gebunden sind. Das heißt: Sofort abschleppen dürfen sie ein abgemeldetes Auto nicht. Stattdessen sind sie verpflichtet, einen grellorangefarbenen Aufkleber mit einer einmonatigen Frist an die Scheibe zu kleben. Die empfindet Abfallfahnder Daniel Borchardt oft als kontraproduktiv. "Die wissen dann doch, dass sie einen Monat frei parken können." Wenn es nach ihm ginge, müssten die Fristen zumindest für Händler auf ein oder zwei Wochen verkürzt werden. "Die haben dann mehr Stress", sagt er.

Bremen schleppt sofort ab

So wie in Bremen. Dort werden abgemeldete Autos seit zwei Jahren nicht mehr als Abfall eingestuft, sondern wie Falschparker behandelt, wenn sie ohne Kennzeichen an der Straße stehen. Zu welchem Zeitpunkt der Abschleppwagen kommt, ist für die Absteller unberechenbar - und das ist genauso auch von dem Bundesland gewollt. Die Aufkleber mit der Monatsfrist hat Bremen 2018 abgeschafft. Das Ordnungsamt recherchiert zudem die Eigentumsverhältnisse. Für Abschlepp- und Verwahrkosten muss aufkommen, wer keinen schriftlichen Kaufvertrag vorweisen kann. Und die können schon nach ein paar Tagen den Fahrzeugwert übersteigen.

Wie ein alter Clio an der Straße landete

Frank Pomowski © NDR Foto: Screenshot
Frank Pomowski wollte an seinem alten Wagen noch etwas verdienen.

Frank Pomowski aus Gustedt/Elbe in Niedersachsen hatte einen Kauvertrag für seinen alten Clio, den er vor ein paar Wochen losgeworden ist. Er hätte nie gedacht, dass der Wagen einmal am Straßenrand landen würde. Er hatte das Auto im Internet inseriert. Ein junger Mann aus Hannover kam vorbei und kaufte den Wagen. "Ich wollte auf jeden Fall noch etwas Geld rausschlagen. 120 Euro bekam er für den alten Renault, dessen Bremsen verschlissen waren. Die Fahrt zum Schrottplatz hätte mich Zeit und Geld gekostet", sagt Pomowski.

Schrotthändlern gehen die Wracks aus

Dass viele Autoverkäufer wie er denken, kann für Schrotthändler zum Problem werden. Insbesondere die Händler, die ihre Verkaufsofferten in Form von Visitenkarten ungefragt an die Seitenscheibe stecken. "Die Kärtchenstecker, die die Fahrzeuge zum Teil eben einem illegalen Export zuführen, nehmen uns das, was wir dringend brauchen: unsere Wertschöpfungskette", sagt Hagen Hamm Inhaber eines Verwertungsbetriebes in Pinneberg.

Hagen Hamm (r.) und ein Mitarbeiter in einer Autowerkstatt © NDR Foto: Screenshot
Hagen Hamm (r.) ist Inhaber eines Verwertungsbetriebes in Pinneberg. Seine Branche leidet darunter, dass Händler den Markt bei alten Autos leerfegen.

Laut Altfahrzeug-Verordnung ist er dazu verpflichtet, ausgediente Pkw bestimmter Marken kostenlos anzunehmen. Die Idee bei der Verabschiedung des Gesetzes damals war, dass er an den Teilen verdienen kann. Doch diese Rechnung geht nicht mehr auf, seit Händler den Markt leerfegen und alles kaufen, was so gerade noch fährt. Hagen Hamm dagegen muss sich an strenge Umweltauflagen halten. Am Beispiel eines Opel Corsa erklärt er: "An diesem Fahrzeug entstehen uns Entsorgungskosten von rund 500 Euro. Das bekomme ich mit den Teilen nicht erwirtschaftet." Seinen Betrieb hat er daher schon vor Jahren um Abschleppdienst, Werkstatt und Gebrauchtwagenhandel ergänzt. "Um über die Runden zu kommen", wie er sagt.

Autowracks gelten als gefährlicher Abfall

Dabei haben Verwertungsbetriebe eine wichtige Funktion: Umweltschutz. Regina Kohlmeyer vom Umweltbundesamt: "Fahrzeuge werden als gefährliche Abfälle eingestuft und das hat auch einen guten Grund. Fahrzeuge enthalten ja viele Schadstoffe wie zum Beispiel Altöle. Dann, das Kältemittel ist sehr klimarelevant, es ist eine Blei-Säure-Batterie enthalten." Laut "Jahresbericht Altfahrzeug" von UBA und Bundesumweltministerin fielen 2018 in Deutschland 3,23 Millionen Altfahrzeuge an. 2,36 Mio. davon wurden exportiert, 560.000 ordnungsgemäß verschrottet. Bei 310.000 ist der Verbleib statistisch nicht belegt. Laut einer Studie des Instituts Ökopol im UBA-Auftrag wurde davon etwa die eine Hälfte exportiert, die andere in Deutschland illegal zerlegt.

Umweltbundesamt fordert Nachverfolgbarkeit

Das Umweltbundesamt fordert, dass mit der Abmeldung eines Autos nicht automatisch alle Kosten (Versicherung, Kfz-Steuer) stoppen, sondern dass vom Besitzer aktuellen weiterhin regelmäßige Kosten zu entrichtet werden. Zudem müssten Behörden jederzeit wissen, wer der aktuelle Eigentümer und damit verantwortlich für Umweltgefährdungen ist. "So wäre es zum Beispiel dann Behörden möglich, genau abzufragen, wem ein verlassenes Fahrzeug, das auf dem Straßenrand oder im Wald steht, gehört", sagt Regina Kohlmeyer.

Das dem UBA übergeordnete Bundesumweltministerium nimmt gegenüber Panorama 3 Stellung: "Welche Maßnahmen sind wirkungsvoll und wo sollten diese am zielführendsten verankert werden - diesen und weiteren Fragen gehen wir aktuell mit den relevanten Akteuren nach. Selbstverständlich sind hierbei auch die Vorschläge des Umweltbundesamtes Gegenstand der Diskussionen."

2021 Novellierung der EU-Altfahrzeug-Richtlinie

Ab 2021 stehe auf EU-Ebene die Novellierung der Altfahrzeug-Richtlinie an. In diesem Rahmen werde auch diskutiert, wo in den beiden von illegalen Praktiken beim Umgang mit Altfahrzeugen betroffenen Rechtsgebieten (Altfahrzeugrecht und Fahrzeugzulassungsrecht) weitere Regelungen zur wirksamen Verhinderung von Altfahrzeugen aufgenommen werden sollten.

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Autofreie Städte. © NDR

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 08.09.2020 | 21:15 Uhr

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