Vergiftet: Die Macht der Chemielobby (Manuskript)
Anmoderation Anja Reschke: "Wenn eine Regierung ankündigt, neue Verordnungen oder Gesetze zu verabschieden, ist es normal, dass alle möglichen Interessenvertreter, etwa von Wirtschafts- Industrie- oder Umweltverbänden versuchen, mit Argumenten die Sache noch zu Ihren Gunsten zu drehen. So weit, so üblich. Das allerdings, was Lobbyisten der Chemieindustrie im letzten Jahr abgezogen haben, ist dann aber doch recht beispiellos.
Die deutsche Regierung hatte gemeinsam mit 4 anderen Ländern bei der EU beantragt, die Verwendung von PFAS einzuschränken. PFAS, auch genannt Ewigkeitsgifte, sind chemikalische Stoffverbindungen, die in hunderten Produkten zu finden sind. Und von denen einige zu Krebs führen oder Leber und Hormone stören können. Seitdem kämpft die Chemielobby auch mit irreführenden Studien und falschen Angaben für die unbeschränkte Verwendung von PFAS.
Johannes Edelhoff, Catharina Felke und Milan Panek haben gemeinsam mit Journalist*innen aus 16 Ländern tausende Dokumente der Lobby geprüft und konnten so das Ausmaß der Desinformationskampagne und die Beeinflussung von politischen Entscheidungsträgern offenlegen."
Jeder Tropfen Regen ist mit Chemikalien vergiftet. So stark, dass ihn niemand oft trinken sollte. Klingt dramatisch? Ist es auch.
O-Töne:
"Sie bleiben sehr lange im Blutkreislauf erhalten."
"Sie sind eben chronisch toxisch giftig."
"Sie fanden etwas in ihrer linken Niere."
Die Chemikalien stecken in tausenden Produkten. Warum sind sie nicht längst verboten? Norwegen. Dieser Gang fällt Arne Vannebu nicht leicht. Er geht an den Ort, den er mit dem Tod seiner Frau verbindet.
O-Ton Arne Vannebo, Ehemann: "Das ist kein angenehmer Raum für mich. Ich mag diesen Raum nicht."
Dieser Raum ist für ihn ein Tatort. Toril Stokebo, seine Frau, wachst hier jahrelang die Ski ihrer Kinder. Mit diesem Bügeleisen erhitzt sie das Wachs, atmete dabei die Chemikalien ein. Bis dahin war die dreifache Mutter sportlich und kerngesund.
O-Ton Arne Vannebo, Ehemann: "Toril war unglaublich fit. Sie war nie krank. Mit 48 lief sie, die Slalomstrecken genauso rauf wie die Jugendlichen, die jungen Athleten."
Doch eines morgens verändert sich alles. Toril legt ihre Ski an. Spürt ein Ziehen in ihrem Oberkörper und muss zum Arzt.
O-Ton Arne Vannebo, Ehemann: "Sie haben Bilder von ihrer Lunge gemacht und etwas gefunden in ihrer linken Niere. Wir waren in großer Sorge."
Die Diagnose: Nierenkrebs. Schon auf der Rückfahrt vom Krankenhaus rätselt die Familie, woher der Krebs kommt.
O-Ton Arne Vannebo, Ehemann: "Da Toril so gesund gelebt hat, kein Rauchen, sehr wenig Alkohol, gesunde Ernährung, viel Training. Es war ein Schock, als wir mit den Ärzten im Krankenhaus zusammensaßen. Das Krankenhaus dort ist spezialisiert auf Krebsbehandlungen. Die Ärzte sagten uns, dass sie außerordentliche viele Patienten aus der Skiszene hatten."
Bei der Familie kommt ein Verdacht auf: Hat das Skiwachs Toril krank gemacht? Denn bei jedem Erhitzen des Wachses atmet sie giftige Dämpfe ein, sogenannte PFAS. PFAS P F A S - das steht für Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen. PFAS sind nicht nur eine Chemikalie, sondern eine ganze Stoffgruppe. 10.000 chemische Verbindungen mit verschiedenen Bezeichnungen. Sie stecken in vielen Produkten, nicht nur im Skiwachs im Imprägnierspray, im Pizzakarton. Sie sind das Teflon in der Pfanne, sie stecken in der Weltraumtechnik, in Solaranlagen, in der Klimaanlage im Auto, in Hautpflegen und Kosmetik. Wir finden sie überall.
O-Ton Prof. Martin Scheringer, Chemiker ETH Zürich: "PFAS haben ganz besondere Eigenschaften, nämlich dass sie Wasser abstoßen sind und dass sie Fett abstoßen sind. Und es hat sonst keine Substanz, dass sie beides abstößt Wasser und Fett. Und sie sind sehr stabil. Sie sind nicht brennbar und sie sind sehr robust."
So robust, dass sie ein Problem werden können. Einmal in der Umwelt, breiten sie sich überall aus - im Wasser, im Regen, im Boden,- weltweit- und einige dieser PFAS sind gesundheitsgefährdend.
O-Ton Prof. Martin Scheringer, Chemiker ETH Zürich: "Das sind genau die PFAS, die dann dazu führen, dass man eben all die Krankheiten bekommt, die auch wirklich alle bekannt sind. Leberschädigungen, Nierenschädigungen, Schilddrüsenschädigungen, vermehrte Immunantwort, Krebs, Nierenkrebs und Hodenkrebs ist nachgewiesen. Spermienzahl bei Männern nimmt ab, das Geburtsgewicht des Nachwuchses nimmt ab."
Toril atmet beim Erhitzen des Skiwachses genau diese Stoffe ein. Ob ihr Krebs daher kommt, ist nicht bewiesen. Aber er ist hochaggressiv. Die einst so sportliche Frau kann am Ende nicht mal mehr ohne Hilfe atmen.
O-Ton Arne Vannebo, Ehemann: "Sie war sehr stark, sehr optimistisch. Aber sie sagte, sie sei so traurig, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Sie saß den ganzen Tag auf dem Sofa, auf dem Stuhl und natürlich war ihr bewusst, dass sie sterben würde."
Toril Stokebo hinterlässt drei Kinder. Ihr Tod löst eine Debatte aus, nicht nur in Norwegen. Eine Debatte, die die PFAS-Industrie erschüttern wird. Denn die EU will den Einsatz aller 10.000 PFAS-Chemikalien einschränken, und dabei spielt ein Land eine besondere Rolle: Deutschland. Das Umweltministerium startet auf EU-Ebene ein Beschränkungsverfahren. Erlaubt bleiben sollen PFAS nur in Produkten, die die Gesellschaft unbedingt braucht, fordert Umweltministerin Steffi Lemke.
O-Ton Steffi Lemke, Bundesumweltministerin, Bündnis 90/ Die Grünen: "Es sind halt sehr viele Menschen betroffen. Eigentlich wir alle und auch unsere Kinder und Enkel werden mit den Altlasten dieser Anwendung noch zu tun haben. Die Stoffe reichern sich an, sie verschwinden nicht aus der Umwelt. Das heißt, dieses Problem wird immer größer."
Das Umweltministerium hat Erfolg bei der EU. Die übernimmt den Plan, PFAS zu beschränken. Doch die PFAS-Industrie will das verhindern. Wir recherchieren, finden schnell zig Lobbyisten. Dieser Mann spielt offenbar eine große Rolle - Martin Leonhard, Beauftragter für Regierungsangelegenheiten beim Unternehmen Karl Storz. Hier trifft er die EU-Kommissarin.
Hier: Landes-Minister*innen. Überall taucht er auf. Besonders oft als Gast von CDU, CSU. Hier in diesem Sitzungssaal im Bundestag behauptet er: Einige PFAS seien harmlos. Sein Beispiel: Teflon. Zum Beweis führt er den Politikern ein Experiment vor.
O-Ton Martin Leonhard, Beauftragter für Regierungsangelegenheiten Karl Storz: "Dazu habe Ich Ihnen auch gern ein Experiment mitgebracht. Ich habe diesen Löffel und eine Resektionselektrode mit dem gelben Teflon hier schon seit Sitzungsbeginn in Wasser eingelegt - das kann ich bedenkenlos trinken."
Nochmal zum Verstehen: Leonhard behauptet, weil sich das Teflon im Wasser nicht auflöst, sei es ungefährlich und die Anti-PFAS-Maßnahmen unnötig. Ist da was dran?
Professor Martin Scheringer forscht seit 18 Jahren zu PFAS, einer der renommiertesten Forscher weltweit. Überzeugt ihn das "Experiment des Lobbyisten"?
O-Ton Prof. Martin Scheringer, Chemiker ETH Zürich: "Erst mal ist es ein Trick. Denn es ist selbstverständlich, dass es ungefährlich ist. Es ist eigentlich albern, das so vorzuführen. Wenn Sie ein Stück Plastiktüte ins Wasser halten, können Sie das Wasser auch trinken. Ein Kunststoff, dem man ins Wasser tut, der macht das Wasser nicht schmutzig. Aber darum geht es hier gar nicht. Wir reden hier über was ganz anderes. Es geht darum, wie die Stoffe hergestellt werden und dass eben genau die Herstellung dieser Substanzen enorme Umweltbelastungen ausgelöst hatten, noch gesunde Belastungen, dass Menschen gestorben sind wegen den Prozess-Hilfsmitteln für die Herstellung."
Fassen wir das kurz zusammen: Stecken PFAS fest in Produkten - etwa in einer Bratpfanne - ist die Nutzung ungefährlich. Ausnahme Skiwachs: Beim Wachsen können PFAS eingeatmet werden. Schädlich für die Gesundheit.
Das größte Problem ist aber ein anderes: die Produktion. Denn bei der Herstellung der Chemikalien in der Fabrik werden gefährliche PFAS eingesetzt. Die werden bis heute ins Abwasser abgeleitet, verbreiten sich in Flüssen und kommen so unkontrolliert in die Umwelt und auch in uns Menschen. Über das giftige Abwasser der Fabriken redet der Lobbyist mit den Politikern offenbar nicht. Aber wir wollen mit ihm darüber reden. Martin Leonhard arbeitet im Medizintechnik-Unternehmen Karl Storz. Jobtitel: "Beauftragter für Beziehungen zur Regierung."
O-Ton Martin Leonhard, Beauftragter für Regierungsangelegenheiten Karl Storz: "Ich freu mich, dass wir Sie heute hier zu besuchen haben. Karl Storz ist im Bereich minimalinvasive Chirurgie tätig. Weltweit."
Und tatsächlich - auch für unser Interview hat Martin Leonhard wieder den Trick mit den Wassergläsern vorbereitet.
O-Töne
Martin Leonhard, Government Affairs bei "Karl Storz": "Ich habe das Glas dabei. Das ist so eine trübe, milchige Flüssigkeit. Ich habe da heute Morgen ein bisschen von meinem Rasierschaum genommen. Also das ist ein Beispiel für eine Seife, für ein Tensid. Das ist eine Substanz, die wasserlöslich ist. Und auf der anderen Seite haben wir Teflon, das ist ein Festkörper, der nicht wasserlöslich ist und sich auch nicht in Patienten und Menschen finden lässt."
Panorama: "Das heißt dann, dass ein Glas Wasser, wo das Teflon drin wäre. Das würden Sie trinken?"
Martin Leonhard: "Das würde ich trinken. Also, das kann ich Ihnen zeigen. Das habe ich letzte Woche in Brüssel gemacht."
Wir fragen nach dem giftigen Abwasser bei der Herstellung. Würde er das genauso trinken?
O-Töne
Panorama: "Würden Sie das Trinken? Ja oder nein?"
Martin Leonhard, Government Affairs bei "Karl Storz": "Schauen wir uns die Situation an und dann reden wir darüber."
Panorama: "Das kann man doch beantworten. Ja oder nein? Würden Sie sagen, "Ja", Sie würden Teflon. Damit gehen Sie auch in die Politik im Bundestag, in Brüssel, tun dieses Teflon Stück ins Wasser und sagen Sie: "ha, kein Problem, kann ich trinken". Aber zur Wahrheit gehört: Es wird hergestellt. Und da kommt ein Abwasser, das landet, statt jetzt noch, in der Umwelt. Würden Sie dieses Abwasser, was ja zu diesem Teflon dazugehört, würden Sie das auch trinken?"
Martin Leonhardt: "Lassen Sie uns die Werte anschauen und mit den Fachleuten sprechen und dann können wir die Frage gerne dann beantworten."
Panorama: "Die Werte gibt es ja schon."
Martin Leonhardt: "Ich kann dazu hier und heute keine Details bewerten, weil mir die hier jetzt heute nicht vorliegen."
O-Töne
Panorama: "Was passiert, wenn man das Trinken würde - Das Abwasser?"
Prof. Martin Scheringer, Chemiker, ETH Zürich: "Dann nimmt man eine große Menge PFAS auf und erhöht die Belastung im Körper. Und dann hat man ein viel höheres Risiko für gefährliche Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Erkrankungen durch PFAS. Das sind enorm hohe Konzentrationen an PFAS in diesem Abwasser. Der Wert ist offiziell, den kann jeder sehen. Und er ist sehr hoch. Und das Abwasser würde niemand trinken. Niemand."
PFAS-Hersteller 3M schreibt: "man werde Ende des Jahres die PFAS-Produktion beenden". Teflonproduzent Chemours schreibt: wir "handeln gemäß den Umweltgesetzen und -vorschriften", man wolle "bis 2030 die Emission um 99% oder mehr reduzieren…".
Halten wir fest: Anders als von der Industrie behauptet: die Produktion von PFAS ist schädlich. Aber wenigen ist bekannt: in bestimmten Fällen sind auch Verbraucher in Gefahr. Wir sind beim Langlaufski - ein Amateurrennen im österreichischen Galtür.
O-Ton Ansager: "Eine Minute bis zum Start Ladies und Gentleman - the last 60 seconds"
Das PFAS-Wachs hat einen Vorteil, es macht die Fahrer schneller - viele hier erzählen uns, sie haben Jahrelang ihre Ski so präpariert. Wussten sie um die Gefahr?
Umfrage:
Skiläufer 1: "Wir haben da mal ein gutes Beispiel gehabt mit. Vor vielen, vielen Jahren wo wir gewachselt haben, waren da Vögel drinnen und die waren am nächsten Tag, nachdem wir dort in dem Raum gewachst haben mit Fluor, sind die am nächsten Tag nicht mehr aufgestanden. Die haben nicht mehr gezwitschert am nächsten Tag. Und dann haben wir gewusst die Quelle, dass das das Zeug ist."
Skiläufer 2: "Zimmervögel und am nächsten Tag sind wir reingegangen und dann wurde dem Hotel die Wirtin nicht sehr amüsiert mit uns. Und ich glaube 17 waren es an der Zahl damals."
Panorama: "17 Vögel getötet?"
Skiläufer 2: "17 Vögel. Der hat eine kleinere Lunge wie der Mensch, der Vogel. Und dann wurde es uns schon bewusst."
Panorama: "Und dann wurde ihnen klar: Das kann nicht so gesund sein."
Skiläufer 2: "Ja, genau."
Inzwischen sind große Hersteller wie Swix wegen der Gesundheitsrisiken aus der Produktion mit PFAS ausgestiegen. Und empfehlen in Videos, sogar beim Entfernen solche Atemschutzmasken aufzusetzen.
O-Ton Skiläufer: "Wenn du im Gelände bist, dann hast du keine Maske dabei oder so. Entweder machste das im Freien und wenn nicht anders, wenn der Ski zu kalt ist, dann macht man das im Raum. Da setzt du keine Maske auf oder so - das geht ratzi-fatzi."
Im Profisport ist Fluorwachs mittlerweile ganz verboten. Doch alle anderen können es bis heute legal kaufen. Hat das jahrelange Wachsen Auswirkungen der Amateure? Unter den Skifahrern fragen wir, ob sie bei einem Test mitmachen. Wir wollen ihr Blut auf PFAS aus dem Wachs untersuchen lassen. Einige machen mit.
Umfrage Skifahrer: "Ich weiß ja nicht, was tatsächlich dann am Schluss, ob es wirklich gesundheitsschädlich dann ist. Also ich hab noch nicht das Gefühl von dem her, weil das ist ja nicht ständig und wir sind ja auch an der frischen Luft und wir lüften ja auch die Räume und wie schlimm es wirklich ist, weiß glaub keiner eigentlich genau."
Die Blutproben der Skifahrer lassen wir hierhin schicken: An die Uni-Klinik Aachen. Findet Dr. Schettgen PFAS aus dem Skiwachs im Blut? Sein Ergebnis ist eindeutig.
O-Töne
Panorama: "Was haben Sie da jetzt entdeckt?"
Thomas Schettgen, Toxikologe, Uniklinik RWTH Aachen: "Wir haben vor allem erhöhte Messwerte für Perfluoroctan Säure, aber vor allem für Perfluornonan und für Perfluordekan-Säure gefunden. Das sind längerkettige PFAS, die zum Beispiel in diesen Skiwachs Präparaten auch enthalten sein können."
Panorama: "Also das sehen Sie auch eindeutig einen Zusammenhang?"
Thomas Schettgen: "Da sieht man Eindeutig ein Zusammenhang. Also im Vergleich zu einem Vergleichskollektiv waren jetzt diese Skiwachsfahrer mindestens um den Faktor zehn über dem Normwert."
Durchs Wachsen haben die getesteten Fahrer also PFAS im Blut. Zwar werden sie davon nicht gleich krank, aber ihr Risiko ist erhöht.
O-Ton Thomas Schettgen, Toxikologe, Uniklinik RWTH Aachen: "Es kann zu erhöhten Cholesterinwerten im Blut kommen und damit in Verbindung natürlich auch zu erhöhtem Risiko für Herz-Kreislauf Erkrankungen. Eine verminderte Immunantwort für verschiedene Impfungen wurde in der Literatur beschrieben. Ein reduziertes Geburtsgewicht bei Frauen ist tatsächlich auch damit assoziiert worden. Und die WHO hat erst letztes Jahr Perfluoroctansäure als eindeutig krebserregend für den Menschen eingestuft."
PFAS sind heute überall, gelangen in die meisten Nahrungsmittel. Aber wie lange schon? Der Chemiker Michael Müller untersucht die PFAS-Rückstände in Weinen. Wein wird über Jahrzehnte gelagert, die PFAS-Belastung verschiedener Jahrgänge lassen sich vergleichen. Wie viel steckt im Wein von 1940, wieviel 1966 - und wieviel sind es heute.
O-Ton Prof. Michael Müller, Chemiker, Universität Freiburg: "Ab den 2000 Jahren ist dann ein sehr starker Anstieg festzustellen. Nicht wirklich exponentiell, aber nahezu exponentiell - ist explodiert. Der Anteil an diesem PFAS im Wein nimmt sehr deutlich zu seit 15 Jahren."
Bis in die 1960er Jahre war Wein fast noch PFAS frei. Danach steigt die Konzentration langsam an. Aber ungefähr seit den 2000ern nimmt der PFAS-Gehalt rapide zu. Die Untersuchung belegt, dass die PFAS-Verschmutzung immer größer wird. Immerhin: für Weintrinker gibt es einen Trost. Dieser PFAS-Stoff, hier TFA, ist nicht akut gefährlich.
O-Ton Prof. Michael Müller, Chemiker Universität Freiburg: "Dieses Abbauprodukt, das wir untersuchen, das ja auch ein PFAS ist, aber wasserlöslich, wasserliebend ist, das wird im Körper mit dem Urin ausgespült. Dieses eine PFAS, was wir untersuchen, ist in den Konzentrationen noch nicht toxisch."
Aber der Stoff ist nicht nur im Wein, sondern auch in Obst und Gemüse. Und PFAS verschwinden nie - sind Ewigkeitschemikalien. Je länger wir sie herstellen, desto mehr werden sie sich in der Umwelt ansammeln. Ob und wie dieser lebenslange Konsum schadet, ist noch nicht erforscht.
O-Ton Prof. Michael Müller, Chemiker Universität Freiburg: "Wir müssen drastischere Maßnahmen ergreifen. Das bedeutet ja, wir müssen raus aus den polyfluorierten Substanzen und hier gibt es kein fünf vor zwölf, sondern wir müssen jetzt und heute handeln."
Warum werden PFAS dann noch eingesetzt? Könnte man sie nicht einfach ersetzen? Beim Skifahren bestimmt. Aber sie werden auch bei lebenswichtigen Produkten eingesetzt, etwa Operationsbesteck. Das ist ein Resektoskop. Die Firma vom Lobbyist Martin Leonhardt stellt das Gerät her. Man braucht es, sagt er, für hunderttausende Operationen pro Jahr. Ohne Teflon funktioniert es nicht.
O-Töne
Martin Leonhard, Government Affairs bei "Karl Storz": "Dieses weiße Bauteil ist aus Vollmaterial Teflon. Das sieht man in der Form relativ selten."
Panorama: "Das Weiße das ist Teflon?"
Martin Leonhard: "Das weiße Das ist pures Teflon. jawoll. Benötigen wir das wir hier eine super sanfte Bewegung, also eine Schnittführung chirurgisch gesprochen haben. Damit wird Gewebe hier vorne mit dieser Schlinge entweder aus der Prostata, aus der Blase oder aus der Gebärmutter entfernt."
Panorama: "Und wenn das jetzt nicht so aus Teflon wäre, würde es vielleicht dann haken."
Martin Leonhardt: "Ohne Teflon würde es ruckeln."
Tatsächlich ein überzeugender Grund, PFAS nicht komplett zu verbieten. Könnte man nicht eine Ausnahme machen?
Die Antwort: Die Politik plant genau so etwas.
O-Ton Steffi Lemke, Bundesumweltministerin Bündnis 90/ Die Grünen: "Wo gibt es noch keine Alternativen? Und wo wären die Auswirkungen, wenn man dennoch diese Stoffe verbietet, unverantwortlich. In der Medizintechnik kommen sie fast überall zum Einsatz, wenn es dort noch keine Alternativen gibt, dann werden wir dort für ein Übergangszeitraum diese Dinge noch in Kauf nehmen müssen."
O-Töne
Panorama: "Eine Ausnahme für den ganzen Medizinbereich - wie wäre das?"
Martin Leonhard, Government Affairs bei "Karl Storz": "Das würde charmant klingen, am Ende aber nicht greifen. Weil unsere Lieferkette sehr komplex ist, 5 bis 7 Stufen sprechen wir davon, Alles Firmen, die keine Medizinproduktehersteller sind und selbst wenn man durch magische Möglichkeiten die Lieferkette für Medizinprodukte schützen würde, ist es sehr wahrscheinlich, dass durch die kleinen Mengen, die wir abnehmen, trotzdem am Ende kein Produkt mehr herauskommen, was für uns verfügbar ist."
Es wäre also komplizierter und teurer - aber soll man deshalb weitermachen wie bisher?
70.000 Seiten hat die Industrie an die Politik verschickt. Wir - Journalistinnen und Journalisten unter anderem von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" - haben diese Dokumente ausgewertet. Und sind dabei immer wieder auf eine Behauptung gestoßen. Demnach stuft die OECD - eine internationale, hochangesehene Organisation - Fluorpolymere als unbedenklich ein. Als: "polymers of low concern". In den Lobby- Papieren an die Politik heißt es immer wieder: OECD, OECD, OECD - es ist DER Freibrief überhaupt.
Wir fragen bei der OECD nach. Die Antwort überraschend: "Man habe nie gesagt, dass Fluorpolymere unbedenklich seien. Zitat OECD: "Es besteht keine Einigkeit darüber, dass Fluorpolymere wenig besorgniserregend sind."
Zwar hat die OECD diese Frage mal untersucht - daher stammt auch die zitierte Formulierung. Das Ergebnis aber: Genug Beweise für eine abschließende Unbedenklichkeits-Bewertung hat sie nie gefunden.
O-Ton Prof. Martin Scheringer, Chemiker ETH Zürich: "Erst einmal kann das die OECD gar nicht sagen, hat sie auch nicht gesagt. Denn es gibt keine OECD Kriterien für 'polymers of low concern'. Die OECD hat die Arbeit an solchen Kriterien 2009 abgebrochen und abgeschlossen."
So weit, so falsch. Die OECD sagt das also gar nicht. Aber manche PolitikerInnen haben offenbar eine große Nähe zu Lobbyisten. Hier die baden-württembergische Wirtschaftsministerin mit dem Lobbyisten Marten Leonhard. Und sie - Nicole Hoffmeister-Kraut - übernimmt die Falschbehauptung der Lobbyisten 1:1. In diesem Brief an die EU wiederholt die Ministerin das falsche OECD Argument.
Wir wollen von ihr wissen: Hat sie nie bei der OECD nachgefragt? Ihre Antwort: irgendwie verwirrend.
O-Töne
Panorama: "Wir haben mit der OECD gesprochen und die OECD sagt das, was Sie hier behaupten, das ist falsch. Haben Sie bei der OECD mal nachgefragt?"
Nicole Hoffmeister-Kraut, Wirtschaftsministerin Baden-Württemberg, CDU: "Also wir sind da natürlich in der Auslegung dieser Kriterien zu diesem Schluss gekommen. Ich glaube, es geht jetzt auch nicht darum, mit der OECD zu diskutieren, über Kriterien, die die OECD setzt und wie wir sie auslegen und interpretieren."
Zum eigentlichen Vorwurf der Falschbehauptung, sagt sie nichts. Stattdessen behauptet sie, dass einige PFAS - die Fluorpolymere - sicher hergestellt werden können.
O-Ton Nicole Hoffmeister-Kraut, Wirtschaftsministerin Baden-Württemberg, CDU: "Es gibt eben Gruppen, die Fluorpolymere, die in einem sicheren Kreislauf eingesetzt werden können, sodass die Gefahr gegen Null geht, dass diese in den Umweltkreislauf quasi eingebracht werden.
O-Ton Prof. Martin Scheringer, Chemiker ETH Zürich: "Ja, das stimmt nicht. Die Fluorpolymer-Herstellung hat die stärksten, größten und gravierendsten PFAS-Kontaminationen in der Umwelt überhaupt verursacht. Es gibt in Europa sechs Standorte für Fluorpolymer-Herstellung und dort ist der Boden, das Wasser so stark verseucht, dass es zum Teil heißt, man darf nichts aus dem Garten essen, das Wasser muss gefiltert werden. Also das ist gravierend. Das sind gravierende Einschränkungen der Lebensqualität und der Lebensmöglichkeit der Menschen an diesen Orten."
Noch ein Politiker wiederholt offenbar die Lobbybehauptung. Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Wir finden ein internes Dokument aus seinem Ministerium. Auch dort heißt es wieder, einige PFAS seien "Polymers of low concern”, also unbedenklich. Und diese PFAS "sollen ausgenommen werden" also erlaubt bleiben." "Unbedenklich" - wie kommt das Ministerium auf diese Erkenntnis?
Wir fragen schriftlich nach. Die Antwort: "Hierbei handelt es sich um einen Bewertungssatz der OECD." Ist auch Habeck den Lobbyisten aufgesessen? Ein Interview dazu lehnt er ab. Also sprechen wir ihn auf einer Industrieveranstaltung an.
O-Töne
Panorama: "Herr Habeck, eine Frage zu PFAS."
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister Bündnis 90/Die Grünen: "Machen wir mit einem vernünftigen Termin."
Panorama: "Wollten wir, Sie haben uns keinen Termin gegeben. Warum kämpfen Sie denn dafür, dass giftige Chemikalien erlaubt bleiben?"
Wir fragen noch einmal bei seinem Ministerium zur falschen Quelle nach. Jetzt heißt es auf einmal, man habe nur auf die OECD verwiesen, sich das Argument allerdings nicht zu eigen gemacht.
Was bleibt? Guter Wille - PFAS sollen verschwinden - aber wenig Änderungen, denn die Lobby verzögert die Beschränkung mit Erfolg. Schon jetzt finden Forscher PFAS im Boden, im Wasser in unserer Nahrung, sogar in unserer Luft. Sie werden von Jahr zu Jahr mehr.
Wie lange wollen wir noch warten?
Bericht: Johannes Edelhoff, Catharina Felke, Milan Panek
Kamera: David Diwiak, Carsten Janssen, Florian Kössl, Andrzej Król, Florian Leo, David Piepenborn, Alexander Rott, Andrea Rumpler
Schnitt: Markus Ortmanns
Mitarbeit: Lea Busch, Daniel Drepper
Abmoderation Anja Reschke: "Wenn Sie wissen wollen, wie gefährlich PFAS ist, insbesondere vielleicht auch beim Skiwachsen: auf Panorama.de finden Sie weitere Informationen."