Sendedatum: 22.08.2024 21:45 Uhr

Das Klima im Kohleland (Manuskript)

Panorama v. 22.08.2024

Anmoderation Anja Reschke: "Katastrophenfilme in Hollywood laufen ja meist nach diesem Muster: Phase 1: Ein Forscher entdeckt ein Problem, das die Menschheit zerstören wird, 2. Phase: Er versucht, die Bevölkerung zu warnen und die Politik für Schutzmaßnahmen zu gewinnen, stößt aber auf Unverständnis, Widerstand und Herunterreden des Problems. Phase 3: die Katastrophe rückt immer näher, nur durch beherztes Eingreifen können der Forscher und seine wenigen Getreuen am Ende die Menschheit retten.

Wenn man sich Deutschlands Verhalten im Klima-Katastrophenszenario ansieht, scheinen wir vielerorts irgendwie in Phase 2 hängen geblieben zu sein. Die Anzeichen sind offensichtlich: Dürre, Starkregen, Rekordwassertemperaturen, der heißeste März, April, Mai, Juni seit Wetteraufzeichnung. Los kommt in die Gänge, würde man als Kino-Zuschauer rufen. Aber nein: da ist Widerstand und Herunterreden. Einige Politiker tun sogar so, als könne man Maßnahmen wie Verkehrswende, Energiewende wieder rückgängig machen. Behalten, bewahren, zurückdrehen, das ist die Botschaft, die ausgesandt wird. Während andere warnen und drängen. Phase 2 des deutschen Klimakatastrophenthrillers lässt sich gerade gut in der Lausitz beobachten. Oda Lambrecht und Isabel Schneider waren lange unterwegs in einer Region, die vom Braunkohleabbau lebt."  

Schicht für Schicht tragen riesige Bagger die Kohle ab. Seit Jahrhunderten liefert der wertvolle Rohstoff den Menschen Energie.

O-Ton Silke Butzlaff, Baggerfahrerin: "Die Kohle hat unserer Gesellschaft natürlich das Leben gebracht. Denn was funktioniert denn ohne Strom?"

Doch längst ist klar, dass die Kohle unser Leben auch gefährdet. Denn sie heizt das Klima auf.

O-Töne Prof. Mojib Latif, Klimaforscher: "Wenn wir also die Erderwärmung begrenzen wollen, müssen wir aussteigen aus den fossilen Brennstoffen und vor allen Dingen schnellstmöglich aus der Kohle."

Robert Habeck (B‘90/Grüne), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz: "Wir kämpfen ein bisschen gegen die Zeit."          

Schluss mit der Kohle? Den Ausstieg sogar beschleunigen? In der Region, die Jahrzehnte gut davon gelebt hat, regt sich Widerstand.

O-Töne Anwohner: "Wind und Sonnenenergie macht auch die Erde kaputt."

Anwohner: "So schnell und drastisch, wie es die Bundesregierung macht, finde ich jetzt falsch."

Anwohner: "Das überschlägt sich. Das ist viel zu schnell."

Zu schnell oder zu langsam? Wie läuft die Energiewende? Ihr Arbeitsplatz im Lausitzer Braunkohlerevier. Seit mehr als zwanzig Jahren steuert Silke Butzlaff hier die Bagger.

O-Ton Silke Butzlaff, Baggerfahrerin: "Ich merke und sehe, was ich mit meinen Händen schaffe. Das heißt gerade abends, wenn, wenn, wenn Licht angeht und in den kalten Monaten, wenn aus meiner Heizung Wärme kommt, dann weiß ich, dass ich dafür gearbeitet habe, und das macht mich stolz."

Ihr Revier liegt im Süden Brandenburgs. Die Lausitz ist eine wichtige Region für die Energieerzeugung. Im Tagebau südlich von Cottbus wird bisher noch Braunkohle abgebaggert. Doch in Zukunft soll hier ein Zentrum für grüne Energie entstehen. Kohle: Denn Braunkohle ist der klimaschädlichste aller Energieträger - noch vor Öl und Gas. Deshalb wurde vor vier Jahren ein Gesetz verabschiedet, um den Kohleabbau Schritt für Schritt zu beenden. Spätestens bis 2038 muss Schluss sein. Um ihre eigene berufliche Zukunft macht sich die 57-Jährige keine großen Sorgen mehr. Doch es fällt ihr dennoch schwer, sich von der Kohle zu verabschieden.

O-Ton Silke Butzlaff, Baggerfahrerin: "Wenn man so viele Jahre wie ich in diesem Beruf arbeitet und man weiß, dass der Beruf des Bergmanns ausstirbt. Das tut weh. Aber wir tragen das auch mit Stolz."

Rund 7.000 Menschen arbeiten in der Lausitz heute noch im Bergbau. Dessen Ende löst bei vielen hier Wehmut aus. Doch der Klimaforscher Mojib Latif betont, dass ein schneller Kohleausstieg zwingend notwendig sei. Er arbeitet am Kieler Helmholtzzentrum für Ozeanforschung und ist auch Präsident der Hamburger Akademie der Wissenschaften.

O-Ton Prof. Mojib Latif, Klimaforscher: "Kohle ist der fossile Energieträger, der pro Energieeinheit am meisten CO2 produziert und CO2 heizt die Erdatmosphäre auf. Deswegen ist es von fundamentaler Wichtigkeit, wenn man eine Energiewende durchführen will, dass man vor allen Dingen aus der Kohle aussteigt."

Schnell aussteigen? Bisher hält das die Kohleindustrie in der Lausitz nicht für möglich. Die Kraftwerke gehören zur "Lausitz Energie Kraftwerke AG" - kurz LEAG. Eigentlich wollte die Bundesregierung den Kohleausstieg schon für 2030. Doch die LEAG protestierte, bestand auf den Ausstieg erst 2038.

O-Ton Philipp Nellessen, Vorstand Lausitz Energie Kraftwerke AG: "Das hat nichts damit zu tun, dass wir die Zahl 2038 so schön finden. Das hat einfach nur was damit zu tun, dass wir sagen, diese Transformation muss gelingen. Wir dürfen das nicht riskieren. Wir dürfen nicht riskieren, dass wir das jetzt alles überhastet machen und dann die Region, unsere Kollegen, aber auch die Energiewende selbst riskieren."

Die Entwicklung neuer Technologien wie etwa dieser Batteriespeicher bräuchten Zeit, so der Vorstand, Beschäftigte müssten umgeschult werden. Aber auch die LEAG bestreitet nicht, dass ihr aktuelles Geschäft dem Klima schadet.

O-Ton Philipp Nellessen, Vorstand Lausitz Energie Kraftwerke AG: "Natürlich wissen wir, dass wir mit den Kohlekraftwerken, die wir im Moment noch betreiben, natürlich auch zur Klimaerwärmung beitragen."

Der Umbau hin zu Erneuerbaren hat zwar begonnen, wie etwa dieses Solarfeld zeigt, doch um die Kohle komplett zu ersetzen, fordert die LEAG Zeit. Denn für eine neue Energieerzeugung seien auch hohe Investitionen nötig. Die müssten sich erst einmal rechnen.

O-Ton Philipp Nellessen, Vorstand Lausitz Energie Kraftwerke AG: "Bis 2038 wollen wir unsere Position als zweitgrößter Stromerzeuger der Bundesrepublik beibehalten, aber komplett auf Grün-Stromanlagen umstellen."

Obwohl Silke Butzlaff seit Jahrzehnten im Tagebau arbeitet, stellt sie den Kohleausstieg nicht in Frage. Doch schon 2030 auszusteigen, hält auch sie nicht für realistisch.

O-Ton Silke Butzlaff, Baggerfahrerin: "Ich sage mal so eine Energiewende eines ganzen Landes in so einem kurzen Zeitraum umkrempeln zu wollen und neu auf die Füße stellen zu wollen. Ich weiß nicht, ob es funktionieren kann. Also ich habe da meine Zweifel, weil gerade solche, das sind ja Dimensionen, die da geschaffen werden müssen. Und ich glaube, das braucht ein bisschen mehr Zeit."

Selbst die Bundesregierung spricht inzwischen nicht mehr von einem Kohleausstieg schon 2030.

Möglicherweise kommt ein früherer Ausstieg aber trotzdem, wegen der Preisentwicklung. Denn Energie-Unternehmen müssen nun für klimaschädliche Emissionen zahlen. Dieser CO2-Preis wird wohl weiter steigen. Deshalb könnte sich das Geschäft mit der Kohle schon bald nicht mehr rechnen. Was halten Menschen vom Kohleausstieg, die früher im Bergbau gearbeitet haben? Eine Kneipe am Rande des Braunkohle-Tagebaus. Was denken sie hier über Energiewende und Erderhitzung?

O-Töne:
Panorama: "Macht Ihnen die Klimakrise Sorge?"

Gast: "Mir persönlich nicht."

Gast: "Mir och nicht."

Aber die Energiewende macht ihnen Angst. Wird es in Zukunft überhaupt noch genug Strom geben?

O-Töne:
Jürgen Tafelski:
"Was passiert, wenn keine Sonne ist? Wenn kein Wind ist?"

Manfred Gurisch: "Wir können irgendwann mal dasitzen, dann geht das Licht aus, weil irgendein Betrieb Strom zieht. Weil er irgendwas produzieren muss."

Jürgen Tafelski: "Reicht für die Haushalte nicht mehr."

Manfred Gurisch: "Reicht für uns nicht mehr. So, und ich habe 40 Jahre Schichten im Tagebau gearbeitet. Ich bin der Meinung, wenn ich jetzt als Rentner verzichten muss, weil sie den Strom abstellen. Und dann wird's erreicht. Also das geht gar nicht. Ich habe meine Kraft dort gelassen. Und ich will auch jetzt den Strom."

Panorama: "Aber bislang ist ja noch gar kein Strommangel, oder?"

Manfred Gurisch: "Bis jetzt ist es ja nur durch die Kraftwerke, die geht ja noch, die laufen ja noch. Aber es kommt der Tag. Die haben hier die Atomkraftwerke abgeschaltet. Da ging es ja schon los. Dann schalten sie jetzt die Kohlekraftwerke ab und dann ist irgendwann Schluss."

Deutschland würde es im Vergleich zu anderen Ländern schlicht übertreiben mit dem Umwelt- und Klimaschutz.

O-Ton Jürgen Tafelski: "Man sollte darauf achten, Umweltprobleme zu lösen. Aber ich persönlich bin sehr viel rumgekommen in der Welt und meine Einschätzung ist die: Deutschland versucht die Welt zu verändern, mit ganz krassen Mitteln. Aber wenn man nach Indien reist oder man reist nach Südamerika oder man reist nach China, da kümmert sich keiner um die Umwelt, es wird alles so belassen, wie es ist. Dann wird alles in die Luft geblasen. Und wir? Wir kleinen Deutschen wollen die Welt verändern. Mit 82 Millionen Menschen, da leben 2,8 Milliarden Menschen. Es geht einfach nicht."

Die Zustimmung zur Energiewende ist in der Lausitz zuletzt sogar noch gesunken, ergab eine Umfrage. Die Skepsis in der Region. Hier im Rathaus von Spremberg ist sie eine große Herausforderung. Seit zehn Jahren ist Christine Herntier hier Bürgermeisterin. Engagiert treibt die parteilose Politikerin in der Lausitz die Energiewende voran. Was entgegnet sie Menschen, die Angst haben, dass es keinen Strom mehr gibt?

O-Ton Christine Herntier (parteilos), Bürgermeisterin Spremberg: "Wir werden in der Lausitz auch zukünftig Strom haben. Sicherlich wird die Stromversorgung demnächst etwas regionaler gestaltet werden. Aber wir in der Lausitz werden immer Strom haben. Darüber muss sich keiner Sorgen machen."

Dennoch werde natürlich nicht alles auf Anhieb klappen, aber immer nur Ängste schüren, das führe zu nichts.

O-Ton Christine Herntier (parteilos), Bürgermeisterin Spremberg: "Bangemachen ist das Einfachste. Das ist wirklich einfach. Zweifel sehen. Bange machen. Ängste verbreiten, so dass man gar nicht den Kopf dafür frei gibt, darauf zu schauen. Was kann denn eigentlich werden?"

Und werden kann und muss noch viel, etwa der Bau weiterer Windräder. Dafür ist immer wieder Überzeugungsarbeit nötig. Ein Windparkentwickler hat deshalb Interessierte eingeladen, verschiedene Anlagen in einem Wald zu besichtigen - eine Art Windkraft-Werbetour. Immer wieder gibt es die Befürchtung: Windräder im Wald sind ein zu großer Eingriff in die Natur. Doch das Unternehmen betont, man sorge für Ausgleich - etwa durchs Wiederaufforsten.

O-Ton Daniel Pick, Energieparkentwickler UKA: "Wir haben für den Windpark Gölnitz in der Vergangenheit Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen im Umfang von ca. 300 - 330.000 Euro umgesetzt. Dazu kommt die Zahlung fürs Landschaftsbild."

Auch sein Kollege Frank Buchholz bestreitet nicht, dass Windräder Nachteile haben. So würde man etwa den Schall der kreisenden Rotorblätter durchaus hören.

O-Ton Frank Buchholz, Energieparkentwickler UKA: "Also es ist nicht so, dass sie mitunter gar nichts hören, aber es ist sozusagen im Rahmen dessen, was der Gesetzgeber definiert hat."

Die Auflagen seien also streng. Und man brauche die Windräder für den nötigen Klimaschutz. Deshalb hält der Energie-Planer das Erstarken der AfD in der Region für ein Problem.

O-Ton Frank Buchholz, Energieparkentwickler UKA: "Na, es macht in der Form schon Sorge, weil die AfD die Energiewende de facto als also grundsätzlich den Klimawandel nicht anerkennt und damit auch die Notwendigkeit und den Ausbau der Erneuerbaren in Frage stellt."

So fordert die AfD Brandenburg etwa den "Erhalt der Braunkohle als wichtigen Wirtschaftsfaktor". In ihrem Wahlprogramm spricht sie von "Klimahysterie". Für Klimaforscher geht dagegen alles viel zu langsam, um die Erderhitzung auszubremsen.

O-Ton Prof. Mojib Latif, Klimaforscher: "Wir müssen viel schneller werden als es im Moment der Fall ist. Wir müssen die Energiewende beschleunigen, um ein Faktor 3 bis 4, damit wir unsere eigenen Klimaziele einhalten. Und insofern wäre es wichtig, dass der Kohleausstieg so schnell wie möglich kommt."

Doch dafür fehlt noch viel. Denn bisher wird erst etwa 60 Prozent des Stroms aus Erneuerbarer Energie erzeugt. Vor allem aber müssen Stromnetze ausgebaut und Energie-Speicher entwickelt werden - für Zeiten, in denen kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Zum Speichern von Strom wird etwa dringend grüner Wasserstoff benötigt. Auch hier in der Lausitz soll ein Kraftwerk für Wasserstoff gebaut werden. Doch bisher ist nur eine grüne Wiese zu sehen. Deshalb empfängt Bürgermeisterin Christine Herntier Besuch aus Berlin, einen Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium. Sie wollen beraten, wie es mit dem Wasserstoffkraftwerk schneller vorangehen könnte.

O-Ton Michael Kellner (B’90/Grüne), Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: "Wir brauchen grünen Wasserstoff einmal für die Industrie als Grundstoff um grünen Stahl zu erzeugen oder nachhaltige grüne Chemikalien. Wir brauchen ihn aber auch in der Energiewirtschaft, wenn mal die Sonne nicht scheint der Wind nicht weht."

Doch bisher fehlt der Wasserstoff nicht nur hier, sondern in fast ganz Deutschland.

O-Ton Michael Kellner (B’90/Grüne), Staatssekretär Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: "Wir müssen Tempo aufnehmen. Deswegen bin ich wirklich dankbar hier. Die Stadt Spremberg, die Bürgermeisterin an der Spitze, sind ja wirklich dabei, diese diesen Wandel auch zu gestalten. Und es gibt hier manche den Wandel aufhalten wollen und wir können uns diese Verzögerung nicht leisten. Und es würde übrigens auch die ökonomische Position unseres Landes schwächen, weil es mittlerweile ein Standortvorteil geworden ist, viel erneuerbare Energien zu haben."

Selbst wenn das geplante Wasserstoffkraftwerk steht, kann es nur laufen, wenn auch genug Strom aus Windrädern da ist. Dafür soll hier im Spremberger Stadtwald ein bestehender Windpark erweitert werden. Doch auch hier protestieren Naturschützer gegen die neuen Windräder und kritisieren einen zu großen Eingriff in die Natur. Und die AfD in Spremberg ist grundsätzlich gegen Windenergie. Vor der Kommunalwahl verspricht sie sogar: "Mit uns gibt’s keine neuen Windräder im Stadtwald." Dabei hatte das Spremberger Stadtparlament bereits im vergangenen Jahr beschlossen, dass der Wald für neue Windräder genutzt werden darf. Und Bürgermeisterin Herntier hofft weiterhin, dass die Energiewende in der Lausitz gelingt, und die Region damit Vorbild für andere wird.

O-Ton Christine Herntier (parteilos), Bürgermeisterin Spremberg: "Wir wollen Menschen in nah und fern in Deutschland, in Europa in der ganzen Welt aufmerksam machen auf die Chancen, die es hier gibt, in nie gekanntem Ausmaß. Wir hoffen aber, dass diese Hoffnung auch trägt, das gestalten wir selbst mit."

Doch wie wollen sie alle Menschen überzeugen und Bedenken zerstreuen? Sie wollen dafür sorgen, dass alle etwas davon haben. Die Stadtverordneten betonen, dass die Windräder der Stadt auch zusätzliches Geld bringen könnten - durch eine Beteiligung und auch durch die Verpachtung der Waldfläche.

O-Töne
Andreas Bränzel (CDU), Stadtverordnetenversammlung Spremberg:
"Und das macht in Spremberg auf 30 Jahre 33 Millionen Einnahmen für die Bürgerinnen und Bürger, das heißt 33 Millionen für soziale Projekte, Vereine, Schulessen, Kitaunterstützung, Schulbauten, Sanierungen usw. Also das Geld kommt in die Stadtkasse und steht jedem Bürger zu seinem Anteil mit zur Verfügung."

Dirk Süßmilch (SPD), Stadtverordnetenversammlung Spremberg: "Wenn wir grünen Strom haben, dann haben alle Bürger was davon, weil dann kommen Unternehmen, siedeln sich an, wir haben mehr Gewerbesteuern. Das ist der größere Mehrwert für die Sprembergerinnen und Spremberger."

Die AfD scheinen solche Argumente nicht zu überzeugen. Ihr Fraktionsvorsitzender im Stadtparlament, Michael Hanko, erkennt nicht einmal den Hauptgrund für die Energiewende an: die zunehmende Erderhitzung.

O-Töne
Michael Hanko (AfD), Stadtverordnetenversammlung Spremberg:
"Ja, ich betrachte das nicht so als Problem, weil Wetteraufzeichnungen gibt es erst seit genau 160 Jahren oder so und da gab es extreme Winter. Es gab extreme Sommer Wir hatten eigentlich alles schon und ich bin mir sicher, wir bekommen auch mal wieder einen verregneten Sommer. Nicht im Moment. Dieses Jahr ist ein ziemlicher feuchter Frühling gewesen, also schauen wir mal!"

Panorama: "Aber damit leugnen Sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse."

Michael Hanko: "Es gibt auch andere Wissenschaftler, die andere Sachen sagen."

Panorama: "Aber zu fast 100 Prozent der Wissenschaftler sind sich einig."

Michael Hanko: "Das kann ich mir nicht vorstellen. Das glaub ich auch nicht."

Kurz darauf, bei der Kommunalwahl Anfang Juni, gewinnt die AfD deutlich hinzu. Sie erhält 39,1 Prozent der Stimmen in Spremberg.

O-Ton Prof. Mojib Latif, Klimaforscher: "Für mich ist das unfassbar. Ich bin wirklich fassungslos, dass solche Menschen, die sich Fakten widersetzen, so einen Zuspruch bekommen. Und darüber hinaus geht es ja auch um unsere Demokratie, um die Freiheit."

Der Rechtsruck gefährdet die Energiewende noch aus einem anderen Grund. Denn er schreckt auch gesuchte Fachkräfte aus dem Ausland ab. Fachkräfte, die etwa für die neue Energieerzeugung bei der LEAG gebraucht werden. Deshalb beteiligt sich der Kohlekonzern an einem Fest gegen Rassismus.

O-Ton Alexandra Bakir, Corporate Affairs & Marketing LEAG: "Wir brauchen als starkes Unternehmen auch Vielfalt. Wir brauchen Demokratie, wir brauchen eine Kultur der Offenheit, um unseren Weg in Richtung Energiewende weiter gestalten zu können."

O-Töne
Panorama:
"Inwiefern sehen Sie Rechtsextremismus hier in der Region schon als Problem?"

Marcel Molch, Deutscher Gewerkschaftsbund: "Definitiv. Klar, das ist eine große Baustelle, die wir haben und die wir auch weiterhin auch als Gewerkschaften bekämpfen und bearbeiten werden, logischerweise."

Lars Katzmarek, Deutscher Gewerkschaftsbund: "Ich glaube, dass wir als Gesellschaft nur fortbestehen können, wenn wir vielfältig unterwegs sind. Und vielfältig heißt, dass wir auch Leute von außen brauchen."

Die Lausitz soll attraktiver werden. Dabei erhoffen sich die Menschen auch Unterstützung aus Brüssel. Und so warten sie hier im Mai auf einen einflussreichen Vertreter der Europäischen Union. Der EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Thierry Breton, kommt in die Lausitz. Denn die Region will eine "europäische Modellregion für klimafreundliche Energieerzeugung" werden. Der EU-Kommissar lobt den Einsatz dafür.

O-Ton Thierry Breton (parteilos), EU-Kommissar Binnenmarkt: "Ich war sehr beeindruckt, wie engagiert die gewählten Politikerinnen und Politiker hier die Zukunft in die Hand nehmen und gestalten. Ihre Mission ist klar. Sie machen sich auf den Weg, eine Region zu werden, die keine klimaschädlichen Emissionen mehr erzeugt. Diese Entschlossenheit hat mich sehr beeindruckt."

Auch Baggerfahrerin Silke Butzlaff freut sich über die Wertschätzung des EU-Kommissars.

O-Ton Silke Butzlaff, Baggerfahrerin: "Ich glaube, das ist für die Menschen hier in der Lausitz sehr wichtig, dass jemand aus Brüssel auch die Aufmerksamkeit auf die Lausitz legt, denn es geht ja hier um die Zukunft von ganz vielen Menschen, die hier in der Lausitz leben."

Auch bei dieser Veranstaltung sprechen die Menschen über das Erstarken der extremen Rechte in Europa. Viele halten das für eine Gefahr - auch für die Energiewende. Und wie sieht das der parteilose Kommissar aus Brüssel?

O-Töne Panorama: "Wie bewerten Sie die Rolle der extremen Rechte bei der Energiewende?"

Thierry Breton (parteilos), EU-Kommissar Binnenmarkt: "Ich werde mich nicht zu dieser oder jener Partei äußern. Jeder hat seine Rolle, meine Rolle ist es nicht, bestimmte Parteien zu kommentieren. Meine Rolle ist es, alle zu unterstützen, die im allgemeinen europäischen Interesse handeln und im Sinne eines grünen Wandels. Und ich sehe hier viele, die diese Philosophie teilen und das ermutigt auch mich weiter, alles zu tun, was im europäischen Interesse liegt."

In Terpe, einem Stadtteil von Spremberg, ist Brüssel weit weg und das Kohlerevier sehr nah. Anfang Juli feiert der Ort den "Tag des Bergmanns". Der Dorfplatz bekommt einen neuen Namen: Gustav-Adolph-Platz - benannt nach einer Kohlegrube. Auch die Bürgermeisterin Herntier schätzt die Bergbau-Tradition sehr, aber verherrlichen möchte sie den Kohleabbau nicht.

O-Ton Christine Herntier (parteilos), Bürgermeisterin Spremberg: "Die Umweltfolgen für Mensch und Natur waren doch erheblich und auch damit haben wir heute noch zu kämpfen. Ganz schön zu kämpfen sogar. Das macht uns viele, viele Probleme."

Doch hier haben ganze Generationen vom Bergbau gelebt und wollen sich die Kohle nicht schlecht reden lassen.

O-Ton Jörg Pistrosch: "Jetzt habe ich irgendwie so ihre Probleme damit, dass der Bergbau so irgendwie sang und klanglos verschwindet und keiner mehr irgendwie Notiz davon nimmt und man bloß noch darüber spricht. Wie kann man das alles auffangen? Wie kann man diese Schäden, die entstanden sind, wieder rückgängig machen? Es ist schon eine schwierige Sache alles insgesamt."

Die Bürgermeisterin versucht, Mut zu machen und Altes mit Neuem zu verbinden.

O-Ton Christine Herntier (parteilos), Bürgermeisterin: "Die Kohle-Tradition wird bleiben. Und ich persönlich wünsche mir, dass dieser Stolz auf Tradition und wir haben ja hier wirklich einmal etwas geschafft mit der Kohle und mit der Energiewirtschaft, dass wir das mitnehmen und auch auf das Neue so stolz sind. Aber die Zukunft, das ist das Neue."

Zustimmung von einem Bergbaubeschäftigten.

O-Ton Lars Mudra: "Man muss neue Wege gehen und man muss sich entsprechend anpassen. Ist eine Herausforderung. Auf jeden Fall gerade der Strukturwandel hier in der Region. Das merken wir auch als Beschäftigte in der Kohle. Aber auf jeden Fall ist es machbar und ich bin fest davon überzeugt, dass es gelingen kann."

Andere haben daran Zweifel und wollen schlicht nicht wahrhaben, dass die Kohle überhaupt die Erde aufheizt, und dass wir Menschen den Klimawandel verursachen.

O-Töne Frank Köhler: "Das ist nicht menschengemacht und das ist auch nicht tiergemacht. Das ist die Natur."

Chris Jochim: "Zu sagen, wir dürfen nicht mehr so viel CO2 ausstoßen, obwohl die Bäume ja CO2 auch brauchen für die Photosynthese. Alles drum und dran find ich dann immer alles irgendwo hingestellte Politik."

O-Ton Dieter Freißler (AfD), Stadtverordtnetenversammlung Spremberg: "Wir sind jetzt in einer Warmzeit. Und ob das von der Kohleindustrie kommt oder, wer will das sagen? Da gibt es unterschiedliche Meinungen. Es gibt Studien von der Art und Weise und es gibt Studien von der grünen Seite. Jeder legt es für sich aus. Ich hab da ne andere Meinung."

Bei der Kommunalwahl im Juni holt die AfD hier im Ortsteil Terpe 48,2 Prozent der Stimmen. Wie will der grüne Klimaschutzminister, Robert Habeck, darauf reagieren? Im Juli macht er während seiner Sommerreise in Wismar Station. Was sagt er dazu, dass Deutschland beim Klimaschutz zu langsam ist, es aber dennoch vielen Menschen zu schnell geht?

O-Töne
Robert Habeck (B90/Grüne), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz:
"Man kann das ausbalancieren Die Wahrheit ist, wir sind zu lange zu langsam gewesen. Also, um aus der Kohle auszusteigen, muss man ja für den sozialen Zusammenhalt, für die Menschen, für die Beschäftigung etwas anderes aufbauen."

Panorama: "Klimaforscher sagen Deutschland ist nicht auf Kurs, um das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten. Was antworten Sie der Wissenschaft?"

Robert Habeck: "Viel schneller geht nicht, würde ich sagen. In den Bereichen, wo wir die Beschleunigung eingelegt haben, Ausbau der erneuerbaren Stromnetze usw, sind wir auf einer Geschwindigkeit, die es davor noch nie gab in Deutschland. Deswegen haben wir auch eine Chance, wieder die Klimaschutzziele zu erreichen."

Panorama: "Trotzdem ist das ja ein Dilemma. Also auf der einen Seite sind wir zu langsam beim Klimaschutz, das ist Fakt. Auf der anderen Seite gibt es einfach viele Leute, die wirklich den Klimaschutz nicht für nötig halten, die ihre Politik ablehnen. Wie gehen Sie damit um?"

Robert Habeck: "Ich als Politiker kann mit dem Wort Dilemma nichts anfangen. Dilemma ist ja unauflösbar. Da steht man davor und sagt für ein Dilemma Damit kann ich ja gar nicht umgehen. Mein Job ist, eine Lösung zu finden. Und die Lösung besteht darin, Menschen teilhaben zu lassen. Bei den Vorteilen der erneuerbaren Energien von Balkonanlagen bis zu Bürgerwindparks. Das ist dann auch attraktiv für die Menschen, so dass ich versuche, durch konkrete Schritte dieses vermeintliche Dilemma in ein Problem und das Problem in eine Lösung zu überführen."

Ganz so einfach ist es wohl kaum. Für Silke Butzlaff ist es aber nicht entscheidend, wie lange die Energiewende dauert, sondern ob sie am Ende gelingt.

O-Ton Silke Butzlaff, Baggerfahrerin: "Ich hoffe, dass es - wenn es so weit ist - funktioniert, dass die Energiewende natürlich ein Erfolg wird, weil ohne Energie bleibt das Leben stehen. Meine Oma hat immer gesagt, das Alte muss das Neue begleiten, bis es auf eigenen Füßen stehen kann. Und genau das tun wir jetzt."

Doch das Neue muss auch schnell genug kommen, um die Erderhitzung auszubremsen. Zu langsam und gleichzeitig zu schnell - es gibt kaum eine größere Herausforderung.

Bericht: Oda Lambrecht, Isabel Schneider
Kamera: Andrej Król, Sven Giebel
Schnitt: Louisa Reimers
Musik: Michael Dommes
Sprecherin: May Bothe

Abmoderation Anja Reschke: "Ob es dem einen jetzt zu langsam und dem anderen zu schnell geht, ist der Natur allerdings ziemlich egal. Die Temperatur der Erde steigt so oder so. Entscheidend ist nur: um wieviel Grad. Und da hat langsam oder schnelles Handeln schon eine Bedeutung."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 22.08.2024 | 21:45 Uhr

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