Blackbox Kita: Was passiert mit den Kindern?
Endlich an der Kita angekommen, fing die zweijährige Matilda an zu schreien und zu weinen. Ihrer Mutter Irina Enting brach es das Herz, aber sie hielt es auch nicht für außergewöhnlich: "Sie konnte mir natürlich nicht in ganzen Sätzen erklären, warum sie nicht dableiben wollte, sondern ich dachte mir, es ist halt noch früh und die Erzieherinnen trösteten sie ja auch."
Schreckliche Szenen im Kita-Alltag
Matilda ging seit einigen Monaten in die Kita Regenbogen, eine Kindertagesstätte in einer Nebenstraße von Antweiler. Das Dorf liegt in der Eifel, umgeben von waldigen Hügeln. Was den Kindern hier, hinter der heilen Kita-Fassade, widerfuhr, war von außen nicht zu erahnen.
Doch irgendwann kam heraus, dass die Kinder beim Essen wohl gequält wurden. Die Hauswirtschaftskraft beschrieb bei der Polizei schreckliche Szenen. Kinder seien zum Essen gezwungen worden. Der Löffel sei in den Mund eines Kindes geschoben worden, der Kopf dabei nach hinten gedrückt, und als das Kind immer noch nicht essen wollte, habe die Erzieherin mit dem Trinkbecher Wasser in den Mund gekippt, um den Schluckreflex auszulösen.
Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Erzieherinnen
Szenen wie diese waren nach Ermittlung der Staatsanwaltschaft Koblenz an der Tagesordnung in der Kindertagesstätte. Sie hat Anklage gegen drei Erzieherinnen erhoben. Die bestreiten die Vorwürfe. Die Aufsichtsbehörde will sich nicht äußern, bis ein Urteil gefällt worden ist.
Die Eltern selbst können bis heute noch nicht fassen, was passiert sein soll: "Ich habe eine Riesenwut. Wie kann man so etwas mit Kindern machen?", sagt etwa Christin Dresen, deren Tochter nun in psychologischer Behandlung ist. Ihre Tochter sei inzwischen, wie viele andere Kinder aus der Kita auch, psychisch auffällig. Sie hat so starke Verlustängste, dass die Mutter nicht einmal den Müll herunterbringen kann, ohne dass die Tochter Panikattacken bekommt.
Keine einheitlichen Kita-Qualitätsstandards
Dabei gelten Kindertagesstätten eigentlich als heile Welt. Seit Jahren boomt die Branche. Politiker versprechen, dass Kinder dort behütet aufwachsen und gedeihen können. Bildung, Geborgenheit, das Erlernen sozialer Kompetenzen, all das soll die Kita vermitteln.
Doch zur Wahrheit gehört auch, dass Eltern sich auf ein Glücksspiel einlassen, wenn sie ihre Kinder in der Kita abgeben. Denn bis heute gibt es keine einheitlichen Qualitätsstandards. In vielen Kitas werden Kinder vorbildlich umsorgt, aber in anderen ist das Personal überfordert, manchmal kommt es auch zu Horrorszenarien wie in Antweiler.
"Ich mache mir sehr viele Sorgen um die Qualität in deutschen Kitas. Die Politik guckt zu sehr weg, weil sie das Gefühl hat, alles sei paletti durch den Ausbau an Plätzen. Aber das ist überhaupt nicht so", mahnt etwa Ilse Wehrmann. Wehrmann war mal Bundesvorsitzende Evangelischer Tageseinrichtungen. Heute evaluiert sie Kitas und Erzieherteams und beobachtet regelmäßig, dass Lieblosigkeit und Überlastung viel zu häufig trauriger Alltag sind.
Höhere Qualität würde zehn Milliarden Euro jährlich kosten
Es ist nicht so, dass die Politik diese Probleme nicht kennen würde. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) kämpfte lange für ein Kitaqualitätsgesetz, damit in allen Bundesländern einheitliche Standards gelten. Doch sie scheiterte an den Bundesländern, weil die die hohen Kosten scheuten. Denn eine bessere Qualität kostet viel Geld. Etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr wären fällig, um alle Defizite abzustellen, schätzen unterschiedliche Studien.
Immerhin hat Schwesig es geschafft, ein neues Gesetzesvorhaben anzustoßen, das vorsieht, mehr Geld vom Bund an die Kitas zu verteilen. "Allerdings ist dieses Gesetz nicht mehr als eine Absichtserklärung", urteilt Ilse Wehrmann. Man wisse nicht, wer nach der Bundestagswahl das Bundesfamilienministerium übernehme und ob die Person das Gesetz weiter voranbringe.
Deshalb bleibt es für die nächsten Jahre erst mal dabei, dass Eltern kaum erkennen können, ob eine Kita gute Arbeit macht oder nicht.