"Das ist kaum auszuhalten"
Panorama: Was hat Sie dazu veranlasst, das Vorgehen der Pharmalobby und Apotheker öffentlich zu machen?
Dr. Ulrich Fritz: Wenn Sie wissen, dass irgendwo Straftaten begangen werden, ist es das Natürlichste, dass Sie das öffentlich machen. Damit sorgen Sie auch dafür, dass klar wird, dass Sie nicht Bestandteil des Systems sind. Bereits im vergangenen Jahr hatte ich mich deshalb selbst angezeigt.
Ich war hinter ein System illegaler Abrechnungen in einem Onkologie-Zentrum gekommen, in dem ich selber seit Jahren verantwortlich arbeitete. Die Staatsanwälte ermitteln bis heute, das Magazin "stern" und viele andere Medien berichteten damals darüber, doch Anklagen hat es immer noch keine gegeben. Nun wollte ich einen Schritt weitergehen und es für jedermann begreifbar machen, wie manche in dieser Branche ticken.
Sie kümmern sich hier auf der einen Seite um Menschen, die schwer krank sind, und dann haben Sie gleichzeitig diesen mutmaßlichen kriminellen Vorgang. Wie bewerten Sie das?
Das ist kaum auszuhalten, und das ist auch die entscheidende Frage, die mich am meisten belastet. Dieser wahnsinnige Spannungsbogen von dem eigentlich seelsorgerischen Auftrag, den ein Onkologe hat. Und dann gibt es dort so einen Morast. Das ist etwas Unfassbares, wie man mit dem Leid anderer Leute so ein Geschäft macht. Wir Onkologen müssen den Menschen Mut machen. Wenn wir Patienten sagen: 'Wir können nichts mehr für Sie tun', beginnt unsere eigentliche Arbeit. Es muss heißen: 'Die Chemie kann nichts mehr für Sie tun.' Dann müssen wir als Onkologen die Menschen weiter begleiten. Das ist der Punkt, den ich als seelsorgerischen Auftrag bezeichne.
Onkologen behandeln Patienten, die schwer krank sind, die nicht wissen, wie lange sie zu leben haben. Wir müssen ihnen Mut machen und glaubwürdig sein. Und dagegen steht dieser Unrat.
Sie zahlen einen Preis dafür, dass Sie diesen Skandal öffentlich machen. Heute stehen zwei Bodyguards vor der Praxis. Wie geht es Ihnen damit?
Ich bin völlig angstfrei. Mich hat das nicht irritiert. Aber ich habe Familie, und das erfüllt mich mit Sorge. Ich vertraue da auf die Maxime: Öffentlichkeit schützt. Denn nun ist die Sache ja raus, und sollte jetzt was passieren, dann ist der Kreis der Verdächtigen überschaubar. Aber das Risiko selber kann ich nicht einschätzen.