Stand: 18.08.2011 21:45 Uhr

"Das Parlament ist der eigentlich Verantwortliche"

von Jasmin Klofta, Panorama

Seit der Grundgesetzänderung Ende der 1960er Jahre stieg die Staatsverschuldung in Deutschland kontinuierlich an. Dabei gibt es eigentlich gesetzliche Regelungen, die das Schuldenwachstum begrenzen sollen. Panorama sprach mit Siegfried Broß, der sich als Verfassungsrichter unter anderem mit der Gesetzmäßigkeit von Bundeshaushalten beschäftigte.

Panorama: Gegen den ungebremsten Anstieg der Staatsschulden gibt es Regelungen im Grundgesetz. Warum steigen die Schulden dann immer weiter?

Siegfried Broß: Da muss man einfach ehrlich sagen, dass man komplexe Sachverhalte, wie eine Finanzverfassung oder einen Haushalt, die wirtschaftlichen und internationalen Einflüssen ausgesetzt sind, normativ nicht befriedigend fassen kann. Die Regelung damals im Artikel 115 war sehr weit gefasst. Unbestimmte Verfassungsbegriffe, die der Auslegung bedürftig waren, sollten das Gesamtproblem einfangen.

Panorama: Waren diese Regelungen denn eindeutig genug, dass die Politik sie verstehen und auch umsetzen konnte?

Broß: Ein Verfassungsgeber kann erwarten, dass oberste Staatsorgane ihre Verpflichtung aus der Verfassung gerecht werden und diese Verantwortung auch bewusst an- und wahrnehmen. Der Verfassungsgeber hat natürlich erwartet, dass die jeweils amtierende Regierung sich bewusst ist, was bei der Haushaltsgestaltung erforderlich ist und dem Anwachsen der Schulden entsprechend entgegenwirkt. Diese Verantwortung gilt übrigens auch – und das wird häufig übersehen – dem Parlament als Gesetzgeber und als der eigentlich Verantwortliche.

Panorama: Wann wird die Verschuldung des Staates gesetzlich problematisch?

Broß: Natürlich ist es bedrückend, wenn wir den Schuldenstand anschauen und die Zinslast. Aber wir müssen sehen, und ich war 12 Jahre als Richter des Bundesverfassungsgerichtes in dem zuständigen zweiten Senat, dass sich hier Vieles der Kontrolle des Verfassungsgerichtes entzieht, wegen dieser Weite der Bestimmung im Artikel 115. Und auch, weil ein Verfassungsgericht nicht gestalten, sondern nur kontrollieren darf.  Ich warne immer davor, dass eine enorm hohe Erwartungshaltung an das Bundesverfassungsgericht herangetragen wird. Die ist nur gerechtfertigt im Grundrechtsbereich, also wenn es um die Ausübung staatlicher Gewalt gegen die Menschen geht.

Im Staatsorganisationsrecht gelten andere Regeln, hier steckt die Verfassung einen Rahmen ab.  Das darf natürlich nicht dazu führen, und hat auch nicht dazu geführt, dass sich das Bundesverfassungsgericht aus seiner Verantwortung zurückzieht. Das verficht niemand ernsthaft. Aber weil es dem Bundesverfassungsgericht verwehrt ist selbst zu gestalten, kann es nur darum gehen, dass das, was hier zur Prüfung steht, vertretbar und nachvollziehbar begründet ist.

Panorama: Im Jahr 1989 hat das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit des Bundeshaushalts geurteilt, vorher musste die Bundesregierung noch nicht einmal darlegen, wenn sie sich außerordentlich Geld geliehen hat. Was hat das Urteil bewirkt?

Broß: Damals war es ein wissenschaftlicher Streit letztlich. Man muss immer bedenken, es gibt keine verlässliche, genau bestimmbare ökonomische Größe für das Maß der Verschuldung. Sondern es gibt Meinungen, Schulen in der Ökonomie. Und der Verfassungsrechtler, und dann natürlich das Parlament, ist gehalten, hier eine grundlegende Entscheidung zu treffen. Aber bei der Ausgangslage sieht man sofort, die Entscheidung kann immer nur unvollkommen sein. Die Klage hatte seinerzeit keinen Erfolg, auch weil das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich feststellte, dass die zuvor umstrittene Regelung nicht rückwirkend gilt.

Das Zeitmoment ist noch in einem weiteren Zusammenhang wichtig. Die Klage wurde 1989 entschieden, aber es ging um den Haushalt 1981. Eine derartige rückschauende Kontrolle hilft auch deshalb nichts, weil die Verantwortlichen schon mit der nächsten Legislaturperiode beschäftigt sind. Deshalb kann das Urteil auch nicht bewirken, dass man die Verantwortlichen wachrüttelt.

Panorama: Hat die weite Auslegung des gesetzlichen Rahmens es der Politik leichter gemacht, Schulden zu machen?

Broß: Es ist natürlich bei der Weite dieser Regelung zunächst mal einfacher, vor allem als noch nicht die seit 1989 geltende Darlegungslast damit verbunden war. Andererseits kann der Verfassungsgeber erwarten, dass die verantwortlichen staatlichen Institutionen ihrer Verantwortung gerecht werden. Man sieht ja auch, dass es bis 1969/70 ganz gut funktioniert hat. Und deshalb wäre eben wichtig gewesen, sich 1989 oder 1990 zurückzubesinnen und abzuklären, was sich geändert hat.

Möglicherweise haben sich auch Rahmenbedingungen geändert, auf die der Staat und die Institutionen reagieren mussten. Von Globalisierung war damals noch nicht die Rede, aber es kann natürlich auch ein Klima entstanden sein, das die Erwartung der Menschen an den Staat veränderte und Politiker fühlen sich natürlich berufen, auf so ein Klima einzugehen. Da hätte einem schon etwas einfallen können.

Panorama: 2007 war wieder ein Bundeshaushalt vor dem Bundesverfassungsgericht, diesmal der von 2004. Sie waren damals Richter. Welche Diskussionen gab es damals unter den Richtern?

Broß: Ohne Verletzung des Beratungsgeheimnisses kann ich sagen, dass die Entscheidung fünf zu drei ergangen ist – also die knappest mögliche Mehrheit. Wäre es vier zu vier ausgegangen, wäre der Antrag abgelehnt gewesen. Und es gab zwei abweichende Meinungen. Da können sie sich vorstellen, dass die Beratung vielleicht nicht ganz gemütlich verlaufen ist.

Panorama: Letztendlich haben Sie geurteilt, dass der Haushalt verfassungskonform war. Was war das für ein Gefühl, so urteilen zu müssen?

Broß: Da muss ich unterscheiden. Als Staatsbürger und Steuerzahler freue ich mich natürlich nicht über diese Entwicklung. Aber als Richter man muss sich von Gefühlen frei machen. Man muss sich schlicht an der Verfassung orientieren. Es ist mir nicht also schwer gefallen.

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 18.08.2011 | 21:45 Uhr

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