AWD drohen Millionen-Rückzahlungen
Auf den Finanzdienstleister AWD kommen möglicherweise Kunden-Rückforderungen in dreistelliger Millionenhöhe zu, weil er über eine Tochterfirma überhöhte Provisionen für Fondsgeschäfte kassiert haben soll. Gemeinsame Recherchen von Panorama und NDR Info decken erstmals das System auf, mit dem der AWD rund um den Börsengang im Jahr 2000 Kasse machte.
Die Vorwürfe beziehen sich nach Informationen von Panorama und NDR Info auf den Vertrieb von geschlossenen Fonds rund um den Börsengang im Jahr 2000. Dokumente aus der damaligen Zeit belegen, dass in vielen Fällen offenbar mehr als 15 Prozent Provision geflossen sind. Laut geltender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hätte der AWD seine Kunden damals darüber aufklären müssen.
Gewinn war wichtig für den Börsengang
Diese Provisionen wurden den Recherchen zufolge über eine bisher weitgehend unbekannte Tochterfirma des AWD-Konzerns mit Namen Allgemeine Immobilien, Makler & Service GmbH (AIMS) abgewickelt. Zwischen dieser Tochterfirma und dem eigentlichen Finanzvertrieb des AWD wurden die Provisionen anschließend aufgeteilt. Der ehemalige Geschäftsführer der AIMS, Hermann J. Winkler, bestätigte gegenüber Panorama und NDR Info diese Praxis: "Für mehr als 75 Prozent der Produkte wurde eine Vergütung von mehr als 15 Prozent gezahlt. Der Vertriebsvertrag zwischen AIMS und AWD sah vor, dass maximal 11 Prozent Provision von der AIMS weitergegeben wurde." Der Rest sei bei AIMS verblieben. Da jedoch beide Unternehmen dem AWD-Konzern gehörten, seien die gesamten Provisionen von über 15% in die Konzernbilanz eingeflossen, so Winkler weiter.
Das Geschäft mit geschlossenen Fonds galt um die Jahrtausendwende als wichtig für den Börsengang des AWD, denn es warf durch die Provisionen gute Gewinne ab: "Das hat letztendlich auch zum erfolgreichen Börsengang des AWD beigetragen", so Winkler. Das Umsatzvolumen im Geschäft mit den geschlossenen Fonds habe schätzungsweise zwischen 500 und 700 Millionen Euro gelegen. Der frühere Geschäftsführer AWD-Vertrieb, Jörg Jacob, bestätigte die Angaben Winklers. In den Beratungsgesprächen mit AWD-Kunden seien hohe Provisionen von mehr als 15 Prozent damals nicht angesprochen worden, "weil es auch kein Bestandteil der Beratungsgespräche sein musste". Der Bundesgerichtshof hatte 2004 erstmals klargestellt, dass Finanzberater wie der AWD die Kunden aufklären müssen, wenn mehr als 15 Prozent Provision fließen. Das Urteil gilt auch rückwirkend.
AWD streitet die Vorwürfe ab
Der AWD bestreitet die Vorwürfe, Provisionszahlungen von mehr als 15 Prozent erhalten zu haben. Die Provisionspraxis habe immer im Einklang mit der geltenden Rechtsprechung gestanden, betonte ein Sprecher des Konzerns. Derzeit reichen rund 2.000 AWD-Kunden an verschiedenen Landgerichten Klagen ein. Da die meisten Fälle Ende des Jahres verjähren, könnte diese Zahl kurzfristig noch einmal drastisch steigen. Nach Panorama und NDR Info vorliegenden Dokumenten hatten sich allein an zwei Medienfonds mehrere Tausend Kunden beteiligt. Für den Vertrieb dieser Fonds hatte der AWD-Konzern den Ex-Managern zufolge ebenfalls insgesamt mehr als 15 Prozent Provision kassiert. Auch diesen Sachverhalt bestreiten der AWD und der betroffene Fondsemittent.
"Paukenschlag" für die Anleger?
Der Hamburger Finanzrechtler Rüdiger Veil bezeichnet die neuen Erkenntnisse als "Paukenschlag": "Das kann ein Durchbruch sein für Anleger. Es geht da ja um beträchtliche Summen." Die Klagen hätten deshalb wohl auch gravierende Auswirkungen auf die Bilanz des AWD, weil das Unternehmen voraussichtlich Rückstellungen vornehmen müsse. Angesichts des hohen Umsatzvolumens könnte es sich dabei um einen dreistelligen Millionenbetrag handeln. Der AWD war 2008 an den schweizerischen Versicherungskonzern Swiss Life verkauft worden. Inzwischen ist bekannt geworden, dass Swiss Life die Rückstellungen für Rechtsstreitigkeiten erhöht haben soll. Der langjährige AWD-Chef und Swiss-Life-Großaktionär Carsten Maschmeyer will sich Medienberichten zufolge zudem aus dem Konzern zurück ziehen. Er soll unzufrieden sein mit der Art, wie AWD mit den Rechtsstreitigkeiten umgehe.