Aktion Wegschauen - wie die Polizei Rechtsextreme schont
Panorama hatte über die Vorgänge in der Polizeidirektion Dessau berichtet. Staatsschützer bekamen angesichts der hohen Zahl rechtsextremer Straftaten offenbar die Anweisung, etwas weniger zu arbeiten. Inzwischen beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss mit den Vorwürfen gegen die Polizei.
Eigentlich wollte die Theatergruppe nur ihre Premiere in Halberstadt feiern. Stattdessen wurden sie von Nazis angegriffen und brutal verprügelt. Als die Polizei anrückte, standen die Täter noch immer am Tatort - doch festgenommen wurde keiner von ihnen. Die Polizei in Sachsen-Anhalt schaute weg. Auch bei den Ermittlungen und dem folgenden Prozess kam es offensichtlich zu Pannen. So sollen Gericht und Verteidigung erst im Januar wichtige Ermittlungsergebnisse erhalten haben - der Prozess läuft seit Oktober 2007.
In der Polizeidirektion Dessau bekamen Polizisten angesichts der hohen Zahl rechtsextremer Straftaten sogar offenbar die Anweisung, etwas weniger zu arbeiten. Drei Staatsschützer, die erfolgreich gegen Nazis ermittelt hatten, wurden zum Dienstgespräch zitiert - und vom stellvertretenden Polizeipräsidenten angeblich darauf hingewiesen, "dass man nicht alles sehen müsse." Bei Panorama berichteten die Staatsschützer über ihre anschließende Versetzung.
Rechtsextreme Propaganda nicht relevant?
Weitere Beispiele für die "besondere Strategie" der Polizei in Sachsen-Anhalt im Kampf gegen Rechts: Die Mobile Opferberatung in Halle erhob schwere Vorwürfe im Zusammenhang mit einem Prozess gegen vier Angeklagte, die an einem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Sangerhausen beteiligt gewesen sein sollen. Ein als Zeuge gehörter Staatsschutzbeamter hielt bei der Hausdurchsuchung einer Angeklagten offensichtlich rechtsextremes Propagandamaterial für "nicht relevant für den Sachverhalt”.
Wiederum in Dessau wurde der Polizei vorgeworfen, nicht konsequent Hinweisen auf Schießübungen von Neonazis nachgegangen zu sein. In Burg wurden ein Dienstgruppenleiter und sein Vertreter nach Polizeipannen von ihren Posten entbunden. Beide hätten die Gefahrenlage nach einem rassistischen Überfall falsch eingeschätzt und die mutmaßlichen Täter nicht sofort in Gewahrsam genommen, hieß es zur Begründung. Die Polizeibeamten hatten betrunkene Schläger laufen lassen, nachdem diese zwei Mal in die Wohnung einer vietnamesischen Familie eingedrungen waren. Beim dritten Angriff verwüsteten die Neonazis die Wohnung auch noch, die Familie war zu diesem Zeitpunkt bereits geflüchtet. Denn auf die Polizei in Sachen-Anhalt wollte sie sich nicht mehr verlassen.
Innenminister soll vor U-Ausschuss aussagen
Zurzeit läuft ebenfalls in Burg ein Prozess gegen mutmaßliche Neonazis. Sie sollen im Oktober 2006 eine Party von alternativen Jugendlichen überfallen haben. Laut Zeugenaussagen hatten Rechtsextremisten die Tat bereits am Vorabend angekündigt. Die daraufhin verständigte Polizei schenkte dem aber offenbar keinen Glauben. Das Innenministerium weist auch in diesem Fall die Vorwürfe zurück - spricht aber von "erheblichen Kommunikationsproblemen" bei der Polizei.
Zudem musste der Chef des Landeskriminalamts in Sachsen-Anhalt, Frank Hüttemann, seinen Hut nehmen. Er hatte kurzerhand die Statistik-Kriterien für rechtsextreme Straftaten verändert, so dass die Zahl der Fälle stark abnahm. Der LKA-Chef tat dies ohne Absprache mit dem zuständigen Innenminister Holger Hövelmann. Diesem wird zwar von allen Seiten bescheinigt, er bemühe sich im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Doch zunehmend wird bezweifelt, ob der Innenminister seinen Apparat unter Kontrolle bekommt.
Mittlerweile beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Landtags mit den Vorgängen bei der Polizei. Dabei wiederholten die versetzten Staatsschutzbeamten ihre Aussage, die sie gegenüber Panorama gemacht hatten: Sie sollten bei rechtsextremen Straftaten nicht so genau hinschauen. Ende März soll Innenminister Hövelmann vor dem Ausschuss aussagen.