Presseerklärung: Behörden haben Bedrohung durch selbstgebastelte Terroristen-Sprengstoffe verschlafen
Flugverkehr ungeschützt, bisher keine ausgebildeten Spürhunde
Die Bedrohung durch selbstgebastelten Chemie-Sprengstoff, wie er mit großer Wahrscheinlichkeit bei den Londoner Anschlägen vom 7. Juli verwendet wurde, ist von deutschen Behörden "fünf Jahre lang verschlafen" worden, so Klaus Jansen, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, in Panorama. "Leider ist es offensichtlich erst durch die aktuellen Anschläge in London ins Bewusstsein der Sicherheitspolitiker gekommen, dass es hier Handlungsbedarf gibt." Am Tatort der Londoner Anschläge fanden die Ermittler Chemikalien, die etwa beim Sprengstoff TATP eingesetzt werden. TATP läßt sich aus leicht erhältlichen Bestandteilen privat herstellen.
Nach einem internen BKA-Lagebericht zu den Londoner Anschlägen, der Panorama vorliegt, haben andere Länder die Gefahr durch TATP schon früh erkannt und damit begonnen, Hunde speziell auf das Erkennen der Substanz zu trainieren. Obwohl der Sprengstoff in Deutschland seit Jahren bekannt ist, gibt es hierzulande bis heute noch keinen einzigen Spürhund, der auf TATP konditioniert wurde. Auch an Flughäfen kann TATP bisher kaum erkannt werden: "TATP sieht aus wie Zucker, es kann weder von Röntgenmaschinen noch von Massenspektrometern erkannt werden", so der israelische Chemieprofessor Ehud Keinan in Panorama.
Dabei gab es bereits im Jahr 2000 einen Fall, bei dem die verantwortlichen Stellen hätten aufhorchen müssen: Eine von Frankfurt aus operierende Gruppe algerischer Extremisten plante damals einen Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt. Den Sprengsatz mischten die Täter aus frei erhältlichen Chemikalien zusammen - es war TATP. Das Attentat wurde verhindert, die Täter gefasst und verurteilt. Doch eine akute Bedrohung durch weitere Attentäter mit selbstgemischten Sprengstoffen sahen Politik und Sicherheitsbehörden offenbar nicht.
Dem Bundeskriminalamt (BKA) sind seit 1985 insgesamt 153 Fälle bekannt, in denen TATP in Deutschland als Tatmittel festgestellt werden konnte.
Professor Ehud Keinan von der Technion-Universität Haifa befasst sich seit mehr als 18 Jahren intensiv mit der Erforschung von TATP. Seinen Erkenntnissen nach reicht ein halbes Kilogramm TATP aus, um ein Flugzeug abstürzen zu lassen. "Es ist nicht die Frage ob, sondern wann so etwas passieren wird", so Keinan. Als der Experte vor kurzem in Deutschland bei einer Tagung vor Sicherheitsexperten über TATP berichtete, stieß er auf ungläubiges Staunen. "Mein Eindruck war: In Deutschland hält man TATP nicht für eine reale Bedrohung. Und deshalb wurde hier bisher nichts oder beinahe nichts unternommen."
4. August 2005