Prozente durch platte Parolen - Der politische Aufstieg von "Richter Gnadenlos" Schill
Er hat Ausstrahlung, aber er ist überheblich. Er findet Politik ein schmutziges Geschäft, aber er will Hamburgs Innensenator werden. Ronald Schill, bundesweit bekannt als "Richter Gnadenlos" ist nach seriösen Umfragen bereits bei zwölf Prozent, und in drei Wochen ist in Hamburg Bürgerschaftswahl.
Schill schürt die Ängste der Wähler. Er bedient Klischees. Er sieht sich als politischen Messias. Mit platten Formeln bietet er dem Wähler Scheinlösungen an. Seine Hintermänner, Geldgeber oder seine Partei sind weitestgehend unbekannt - stattdessen nur sein Name.
Am vergangenen Wochenende war Ronald Schill auf dem Weg zu seinen Wählern, flankiert von Bodyguards. Es war einer der heißesten Tage in Hamburg, und Schill war sicher: Er kann noch mehr aufheizen. Der Mann, der sich selbst als die Hoffnung von Hamburg bezeichnet:
"Das weiß man ja nie, wir liegen schon bei 15 bis 20 Prozent, das wird noch mehr."
Den Haider des Nordens nennen ihn manche, einen Rechtspopulisten viele. Er will mit der CDU koalieren und Hamburger Innensenator werden. Umfragen geben ihm gute Chancen.
Eine Prognose, die sechzig Prominente in Alarmstimmung versetzte. Der Kabarettist Hans Scheibner begutachtet das Plakat der Künstlerinitiative gegen Schill. Das Motto: "Hamburg ist zu schön, um rechts zu sein". Scheibner: "Ich behaupte, dass dieser Schill ein verkappter Neonazi ist. Und das Verkappte ist das Gefährliche daran, weil das viele Leute nicht merken."
Der Mann, der seit Wochen die Säle füllt, polarisiert. Früher schon: Als Strafrichter galt er als Hardliner. Heute profitiert er davon. Damals verurteilte er eine psychisch kranke Autokratzerin zu zweieinhalb Jahren Gefängnis. Bis heute ist er deshalb als "Richter Gnadenlos" berüchtigt und umstritten. Ein Image, das Schills Wähler gar nicht stört, und Schill auch nicht - im Gegenteil. Schill: "In einer Stadt, in der die Gnade mit dem Füllhorn ausgeschüttet wird, zu Lasten der vielen Opfer, ist es fast ein Prädikat als gnadenlos bezeichnet zu werden. Und ich bin Politiker wider Willen, es waren einzig und allein die verheerenden Verhältnisse in unseren geliebten Stadt Hamburg, die mich haben nicht länger tatenlos und wortlos zuschauen lassen, wie die Sache hier immer mehr den Bach runtergeht, wie die Menschen den Verbrechen immer schutzloser ausgeliefert werden."
Olaf Scholz ist die Waffe der SPD im Wahlkampf gegen Schill. Der neue Innensenator - ein Hardliner in der Sicherheitspolitik - schiebt konsequent kriminelle Ausländer ab:
"Wir haben bei der Frage der inneren Sicherheit uns immer entschieden, dass dies eine Sache von Taten ist. Und ich bin seit Mai Innensenator und hab' hier die Möglichkeit, durch Taten zu handeln und zu überzeugen, wenn ich die Rückmeldung der Menschen richtig verstehe, mit großem Erfolg."
Medienwirksam inszeniert Scholz den neuen Kurs: massive Polizeipräsenz am Hauptbahnhof im Kampf gegen Drogendealer. Neuerdings werden auch Brechmittel verabreicht, damit Dealer verschlucktes Rauschgift wieder ausspucken. Bis dahin fand die SPD das unmoralisch. Dazu sagte Holger Christier, SPD-Fraktionschef noch im Februar 2001: "Das ist ja eine unangenehme Geschichte von Polizeiarbeit, und nach meiner Überzeugung verstößt das eigentlich auch gegen die Menschenwürde. Der jetzige Stand in Hamburg ist: Wir brauchen keine Brechmittel."
Bevor Scholz seine harte Hand als Innensenator erhob, fuhr er als Landeschef der SPD eine ganz andere Strategie. Alles klang irgendwie zahmer. Der Parteienforscher Frank Decker sieht es so: "Die ursprüngliche Strategie von Scholz war - und das hat er intern auch so formuliert -, das Thema innere Sicherheit möglichst gering zu hängen, herunterzuspielen und die ökonomischen Erfolge der SPD in dieser Stadt zu betonen. Das ist fatal gescheitert. Symbolisch dafür war der Wechsel im Innenressort, der natürlich viel zu spät erfolgt ist. Von daher mangelt es den Maßnahmen, die die SPD jetzt trifft, an der notwendigen Glaubwürdigkeit."
Aber Schill findet Glauben. Am Abend in Hamburg-Bergedorf: Die Menschen stehen andächtig draußen vor dem Fenster, weil sie drinnen keinen Platz mehr gefunden haben. Und Schill redet von seinem Lieblingsthema, dem Verbrechen. Sagt der Drogenkriminalität den Kampf an. Will auch Graffitischmierer härter bestrafen. Erntet Beifall, weil er kriminelle Ausländer abschieben und Linksautonome verfolgen will: "Es ist symptomatisch für die Hamburger Politik, Politik immer zu machen nur für die Minderheiten, je asozialer und krimineller sie sind."
Dazu Parteienforscher Decker: "Schill beherrscht die klassischen Agitationsformen eines rechten Populisten. Er schürt Unsicherheitsängste. Er stilisiert sich in der Rolle eines Opfers. Er identifiziert sich mit den kleinen Leuten gegen eine abgehobene Elite. Und er bedient dann natürlich auch die typischen Ressentiments gegen die etablierten Politiker und Parteien, gegen den Parteienstaat."
Zitat Ronal Schill: "Der Bürgermeister Runde in seiner Selbstgefälligkeit sagt: Schill ist eine Gefahr für Hamburg, Schill ist ein Verderbnis. Der Bürgermeister hat ganz Recht: Wir sind eine Gefahr, wir sind ein Verderbnis, aber nicht für Hamburg, sondern für die SPD. Und dazu stehen wir auch."
Nach der Veranstaltung mit Ronald Schill fragt die Interviewerin in die Gästerunde: "Sie haben jetzt Herrn Schill zugehört - wie hat er Ihnen denn gefallen?"
"Gut, gut." - "Warum?" - "Weil er das sagt, was wir Alten alle denken. Grade wir sind die Senioren, und - also es ist zu viel Verbrechen auf der Straße, im ganzen. Also es ist einfach so, dass wir uns nicht mehr sicher fühlen in Hamburg." - "Sind Sie selbst schon mal überfallen worden?" - "Nein, Gott sei Dank nicht."
Ein anderer Zuhörer: "Wenn ich, woll'n mal sagen, nachts um eins alleine in der S-Bahn drei oder vier Ausländern gegenübersitze, dann fühle ich mich bedroht, oder zumindest bin ich geängstigt." - "Sind Sie schon mal überfallen worden?" - "Nein, bin ich noch nicht."
Gegen diese Ressentiments ist es schwer, Wahlkampf zu machen, auch für die SPD gestern Abend, nur einige hundert Meter von Schill entfernt. Dennoch geben sich Bürgermeister Ortwin Runde und sein Bremer Amtskollege Henning Scherf locker, scherzen. Eine öffentliche Diskussion mit Schill lehnt Runde ab. Dafür gab es Medienschelte und Kritik.
Kommentar von Olaf Scholz: "Jemand, der auf Diskussionsveranstaltung sich in einer Weise aufführt, die nicht mit den üblichen Regeln demokratischen Diskurses übereinstimmt, der kann natürlich sich mit dem Innensenator und mit anderen streiten, aber mit den Bürgermeistern besser nicht, denn das würde die Würde dieses Amtes beschädigen."
Parteienforscher Decker sieht das anders: "Das ist nicht die richtige Strategie. Die richtige Strategie wäre es, den rechten Populisten entgegenzutreten, zu versuchen, ihre Argumente zu widerlegen. Das bedeutet, dass man sich der Diskussion mit ihnen stellen muss. Tut man das nicht, dann bestärkt man die Populisten ja gerade in ihrer Rolle des Angreifers, auch in ihrer selbst auferlegten oder selbst stilisierten Opferrolle. Das halte ich unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung solcher Parteien für kontraproduktiv."
Und so hat bislang kein Konkurrent den Herausforderer demaskiert.