Privilegien für Politiker - Zweiklassengesellschaft bei der Witwenrente
Sehr häufig ging es - natürlich! - um Politiker, um Politiker, die sich selbst gut behandeln, die sich staatliche Privilegien zukommen lassen. Das ist bekanntlich ein weites Themenfeld. Da gibt es nachvollziehbare und richtige Regeln für Amtsträger, die in der Tat ja - im besten Fall - einen harten Job haben. Aber es gibt eben auch jene Besonderheiten, die nur schwer oder gar nicht zu rechtfertigen sind. Unsere Bundesregierung hat mit der Rentenreform die Versorgung von Witwen geändert: Sie bekommen in Zukunft weniger Geld. Bei dieser Bereinigung haben unsere Parlamentarier aber ihre eigenen Angehörigen verschont. Ein gutes Beispiel für ein gängiges Muster: Minister und Abgeordnete beschließen Regelungen oder Gesetze, die für sie selbst keine Folgen haben, schon gar keine negativen. Ein Film über Politiker, über Privilegien und über ganz normale Menschen.
Berlin, Rohrdamm 56, Seniorenstift. Einmal im Monat erhält die 88-jährige Gertrud Kunzendorf Post von der Rentenkasse. Der Staat weist ihr ihre Witwenrente an. Dafür hat sich ihr verstorbener Mann jahrelang abgemüht und für seine Frau eingezahlt. Gertrud Kunzendorf erzählt: "Also mein Mann hat 38 Jahre gearbeitet. Und da kriege ich eine Witwenrente ungefähr von über 800 Mark."
Davon läßt sich schlecht leben. Gertrud Kunzendorf weiter: "Ja, wenn ich meine eigen Rente nicht noch hätte, dass ich selbst gearbeitet habe, damit kann man nicht existieren, die Miete ist ja schon dementsprechend."
Berlin, Reichstag. Dort werden die Gesetze gemacht, auch für Abgeordnete. Auf die Frage, wie die Hinterbliebenenversorgung für den normalen Bundestagsabgeordneten sei, antworten die befragten Politiker so:
Wolfgang Gerhardt (FDP): "Nein, kenne ich nicht."
Konrad Gilges m(SPD): "Nein, kenne ich nicht, die gibt es auch nicht."
Andrea Fischer (B 90/Grüne): "Nein, das weiß ich nicht."
Andrea Nahles (SPD): "Also tut mir leid, weiß ich nicht."
Sabine Kaspereit (SPD): "Inwieweit Ministerwitwen privilegiert sind, muß ich ganz ehrlich sagen, hab' ich noch nicht drüber nachgedacht."
Rainer Brinkmann (SPD): "Das weiß ich nicht, damit habe ich mich noch nicht beschäftigt, allerdings sind wir da von der Rentenreform auch nicht betroffen."
Adolf Ostertag (SPD): "Kann ich Ihnen nicht sagen, ich hab' das bisher noch nicht im Detail studiert."
Oswald Metzger (B 90/Grüne): "Im Abgeordnetengesetz ist 'ne spezielle Regelung für Abgeordnete, für - wie die für Ange...., also, ich weiß es ich nicht, tut mir leid."
Die Fakten in der Hinterbliebenenversorgung: Angehörige eines Arbeiters oder Angestellten bekommen im Durchschnitt 1.045 Mark als monatliche Witwenrente. Mindestens 3.089 Mark monatlich, so der Bund der Steuerzahler, erhalten Hinterbliebene eines im Amt verstorbenen Bundestagsabgeordneten. Und während den einen nur Geld zusteht, wenn fünf Jahre Beiträge bezahlt wurden, haben Hinterbliebene dieser Politikern bereits einen Anspruch nach dem ersten Amtstag. Alles teure Sonderregelungen, alles auf Kosten des Steuerzahlers.
Karl Heinz Däke, der Präsident des Bundes der Steuerzahler, klärt auf: "Die Politikerversorgung ist eine Klasse für sich. Das zeigt sich auch insbesondere bei der Hinterbliebenenversorgung für Witwer und Witwen. Es ist ein Unding, dass eine Hinterbliebene oder ein Hinterbliebener eines Abgeordneten bereits nach einem Tag eine Mindestversorgung von 3.089 Mark bekommt, ohne einen Pfennig davor in irgendeine Kasse eingezahlt zu haben. Das kann man den Rentnern, deren Renten gekürzt werden, nicht mehr klarmachen."
Privilegien, gesetzlich festgeschrieben. Doch vor unserer Kamera wollen viele Abgeordnete davon nichts wissen. Mit der Tatsache konfrontiert, dass die Hinterbliebenen schon nach einem Tag Bundestagstätigkeit eine Pension von 3.089 Mark bekommen, gibt es folgende Reaktionen:
Winfried Hermann: (B 90/Grüne) "Quatsch, das stimmt doch nicht."
Interviewerin: "Das stimmt."
Winfried Hermann: "Nein."
Heinz Schmitt (SPD): "Ist mir nicht bekannt, dass man mit einem Tag Abgeordnetentätigkeit die Hinterbliebenenrente erwirbt, das ist also - das stimmt gar nicht, da haben Sie sich nicht gut informiert."
Hans-Georg Wagner (SPD) : "Meine Frau freut sich da sicherlich, wenn das so ist."
Rainer Brinkmann (SPD): "Mich interessiert das ja auch nicht, weil, wenn ich sterbe, bin ich tot."
Rainer Arnold (SPD): "Ich gehöre zu den Menschen, die sich einfach mit dem Leben beschäftigen, nicht so sehr mit dem Tod."
Bundestagsabgeordnete: "Ich denke, wir haben zur Zeit ein paar andere Sorgen, was man halt auf den Weg bringen muß."
Wolfgang Bötsch (CSU): "Sie haben mit Ihrer Frage gezeigt, dass Sie sich mit dem Thema, zu dem Sie gefragt haben, nicht beschäftigt haben."
Klaus Kinkel (FDP): "Nee, nee. Ich möchte dazu mich nicht äußern, ich bin da kein Fachmann. Bitte verstehen Sie."
Aber das ist ja noch nicht alles. In Zukunft wird die Grundversorgung in der Witwenrente gekürzt, von 60 auf 55 Prozent. Bei den Bundestagsabgeordneten: keine Kürzungen.
Bei den Hinterbliebenen von Arbeitern und Angestellten werden in Zukunft Einkünfte wie etwa Lebensversicherungen mit der Rente verrechnet. Bei den Abgeordneten: keine Anrechnung.
Ein Friedhof in Hamburg. Ingrid Hansen, Witwe. Ihr verstorbener Mann hat für sie ein Leben lang eingezahlt, aber ihre Witwenrente genügt einfach nicht. Heute, mit 61 Jahren, muß sie selbst arbeiten gehen und versteht die Welt nicht mehr: "Warum, warum bekommt eine Politikerwitwe so viel Geld und warum die einfache Witwe nicht? Mit welcher Berechtigung?"
Andrea Nahles hat folgende Antwort: "Es ist eine Sonderregelung, ja, ich finde das auch in Ordnung, ich glaube, dass Abgeordnete auch eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern sind."
Panorama-Interviewerin: "So wie ich die Zahlen sehe: Ein Bundestagsabgeordneter ist ein Mensch mit Privilegien?"
Marie-Luise Dött (CDU) findet: "Das steht ihm auch zu."
Renate Rennebach (SPD): "Wir arbeiten viel. Und trotzdem wird immer an dem, was wir verdienen, was wir bekommen, herumgenörgelt."
Herbert Frankenhauser (CSU): "Gerecht ist immer eine ganz schwierige Geschichte, was ist gerecht?"
Abgeordnete: "Ich glaube, jeder Bundesbürger kann das versuchen, kann versuchen, dass er das wird und dann kommt er in den Genuß dieser Versorgung."
Berlin, Arbeits- und Sozialministerium. Dort wurde die Rentenreform geschmiedet. Jetzt regiert selbst dort das schlechte Gewissen über die Privilegien der Politiker.
Walter Riester, der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: "Das halte ich überhaupt nicht für gerecht, das läßt sich auch nicht vermitteln draußen. Aber da dürfen Sie nicht mich fragen. Also diese Entscheidungen sind alles Entscheidungen, die sich über Jahre entwickelt haben. Ich kann sie jetzt nicht abschaffen, aber wenn Sie mich fragen als Mensch: Gerecht halte ich das nicht."
Wieder im Reichstag. Kürzungen für Abgeordnete müssten die Abgeordneten selbst Beschließen - wenn denn da ein Wille wäre.
Michael Bürsch (SPD): "Wenn da eine Ungereimtheit ist, gehen wir dem nach, das würde ich auch als meine Pflicht als Abgeordneter ansehen. Und wenn das so ist, wie Sie sagen, dann bin ich auch für Gleichbehandlung."
Panorama: "Haben Sie denn einen Antrag, eine Einlassung gemacht im Bundestag? Jeder Abgeordnete kann ja da eine Einlassung machen."
Prof. Dr. Erika Schuchardt (CDU): "Ja., das ist gemacht worden, selbstverständlich. Die Frauengruppe hat es insbesondere getan. Wir haben es getan."
Panorama: "Warum ist es immer noch nicht umgesetzt?"
Prof. Dr. Erika Schuchardt: "Weil Sie dazu Mehrheiten brauchen, sonst können Sie es nicht umsetzen."
Eine schöne Ausrede. Nach Panorama-Recherchen hat ihre angebliche Einlassung den Bundestag nie erreicht.
Panorama: "Sie sitzen im Bundestag, warum ändern Sie nichts, das können Sie."
Regina Schmidt-Zadel (SPD): "Ja gut, ich kann das nicht alleine ändern, das kann man nur über einen Antrag, den alle unterstützen."
Panorama: "Warum stellen Sie den nicht?"
Regina Schmidt-Zadel : "Ja, weil ich nicht in der Arbeitsgruppe bin, weil das nicht mein spezielles Thema ist."
Alfred Hartenbach (SPD): "Wir haben es doch in der vergangen Legislaturperiode versucht, als SPD damals."
Panorama: "Aber, ich meine, Sie wären ja in der Regierung jetzt, da könnte man ja was ändern."
Alfred Hartenbach: "Ja, sicher."
Panorama: "Warum tun Sie´s nicht?"
"Wegen der mangelnden Erfolgsaussichten, das hab' ich Ihnen doch grade gesagt."
Panorama: "Auch bei Ihren eigenen Parteikollegen?"
Alfred Hartenbach: "Auch bei meinen eigenen Parteikollegen, ja. Und Sie werden noch mehr hören, die genau das Gleiche sagen. So, tschüß."
Die Bereitschaft, diese Privilegien abzuschaffen, scheint gewachsen zu sein, jedenfalls nach unserer Befragung in Berlin für diesen Film. Das geht aus den Faxen und Anrufen von Politikern hervor, die uns heute in der Redaktion erreichten.