Sendedatum: 16.03.2000 21:00 Uhr

Reiche Alte gegen arme Junge - Der Krieg der Generationen

Anmoderation

CHRISTOPH LÜTGERT:

Seit gestern neue Runde im ritualisierten Rentenringkampf. Regierung und Opposition versuchen mal wieder, eine gemeinsame Rentenreform zu Stande zu bringen. Höchste Zeit, denn unser Rentensystem ist aus den Fugen geraten, wird unbezahlbar und immer ungerechter. Beide Seiten sind sich in Details noch längst nicht einig, aber sie beteuern gebetsmühlenhaft, unseren Senioren dürfe nicht zu viel abverlangt werden. Da tapert eben noch immer das alte arme Mütterlein durch die Politkulisse, mitleiderregend und hilfsbedürftig. Und weil unsere Gesellschaft langsam vergreist, stellen immer mehr Alte ein immer größeres Wählerpotential. Auf das müssen unsere Politiker Rücksicht nehmen. Wer aber schützt die Jungen, für die immer weniger bleibt?

VIDEO: Der Krieg der Generationen (10 Min)

KOMMENTAR:

Ein Ründchen Krocket vor dem Mittagsmenü im teuren Altenstift. Hilde Garbers, Renate Degering und Greth-Inge von Tümplin. Es könnte ein Werbefilm für sorgenfreies Alter in herrlichem Ambiente sein, und ist doch Realität.

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RENTNERIN:

"Den Stab auch gleich getroffen, das ist selten."

KOMMENTAR:

Diese schöne Realität lässt sich jeder ein paar Tausender im Monat kosten. Und sie können es sich leisten.

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RENTNERINNEN:

"Das habe ich verdient, ja, das möchte ich sagen, wenn ich mir so mein Leben angucke."

"Wir haben so vieles durchgemacht, und nun war man froh, dass man jetzt so viel hat als Rentner, dass es uns wieder einigermaßen gut geht."

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DR. JÖRG SIEWECK:

(Altenforscher)

"Noch nie war die ältere Generation so reich wie heute. Die Menschen werden immer älter, können zurückblicken auf ein langes berufliches Leben, haben hohe Ersparnisse gebildet."

KOMMENTAR:

Dazu kommen noch Auszahlungen von Lebensversicherungen und bei vielen die Erträge aus Immobilien. Die renommierte Kölner Unternehmensberatung BBE, spezialisiert auf die Altenforschung, hat ermittelt, dass unsere Senioren nur 29 Prozent der Bevölkerung stellen. Ihnen gehört aber fast die Hälfte des gesamten Volksvermögens, 6,6 Billionen Mark. Viele können sich davon einen schönen Lebensabend in teuren Senioren-Residenzen machen, Betreuung und jeden Tag freie Menü-Wahl inklusive. Das Sorglospaket für unsere reichen Senioren gibt’s für 4.000 bis 8.000 Mark pro Monat.

Die Gegenwelt bei den Jungen. Weil es billig ist, gibt es bei Silvia Cerny in Berlin-Neukölln zum Monatsende, wenn das Geld wieder knapp wird, jeden Tag nur noch Spaghetti mit Tomatensauce. Die Cernys gehören zu den Armen in Deutschland. Ihre Kinder kann Frau Cerny nur noch auf die nächsten Niederlagen im Verteilungskampf einstellen.

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SILVIA CERNY:

"Tja, das einzige, was ich tun kann für meine Kinder, ist, sie gut vorzubereiten, vor allen Dingen auch hart, dass sie viel einstecken können. Das ist das einzige, was ich ihnen mitgeben kann."

KOMMENTAR:

Mit nur 1.800 Mark Sozialhilfe und Kindergeld im Monat muss die fünfköpfige Familie auskommen, wie immer mehr Familien. Die Leidtragenden sind die Kinder und Jugendlichen. Die haben den Krieg der Generationen gegen die Alten längst verloren.

In Deutschland sind 1,1 Millionen Sozialhilfeempfänger jünger als 18 Jahre, und nur 172.000 sind älter als 65.

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SILVIA CERNY:

"Ich bin sehr oft sehr wütend, aber ich muß das immer in mich hineinfressen. Und das ist es wahrscheinlich, was mich so vergrämt macht und so bitter macht, weil ich kann’s ja nicht mehr weitergeben. An wen? An meinen Mann, an meine Kinder? Kann ich nicht."

KOMMENTAR:

Immer mehr arme Junge, immer mehr reiche Alte. In Deutschland hat sich eine gigantische Vermögensverschiebung vollzogen. Trotzdem spielen die Rentner gerne arm und tun so, als müssten sie um’s nackte Überleben kämpfen, fröhlich-rüstig, mit viel Zeit und Energie. Und die Politiker bestärken sie sogar darin - jedenfalls zu Wahlkampfzeiten.

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GERHARD SCHRÖDER:

(Wahlkampf 1998)

"Und ich sage, herzugehen und zu sagen: Jenen Frauen, die die Last des Aufbaus allemal mit getragen, wenn nicht vor allem getragen haben, bei Renten zwischen 900 und 1.400 Mark ans Geld zu gehen, das ist unanständig."

KOMMENTAR:

Klatschen für’s Klischee von der armen alten Rentnerin. Das sollte Wählerstimmen der Alten bringen, war aber fernab der Wirklichkeit, denn in Deutschland gibt es kaum noch Altersarmut. 1965 - da waren tatsächlich noch 28 Prozent der Sozialhilfeempfänger 65 Jahre und älter. Heute aber sind nur noch 6 Prozent aller Sozialhilfeempfänger im Rentenalter.

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FRANZ RUHLAND:

(Verband Deutscher Rentenversicherungsträger)

"Meistens wird ja auch von der Rentenhöhe allein auf Altersarmut geschlossen. Dieser Schluss ist falsch. Viele der Rentner beziehen mehrere Leistungen aus Alterssicherungen, es können kumulieren Rente und betriebliche Altersversorgung, es können kumulieren Rente und Leistung aus der Beamtenversorgung. Die eigene Rente kann mit Hinterbliebenenrenten zusammentreffen. Um ein Beispiel deutlich zu machen: Witwen, die im Schnitt eine gesetzliche Rente von unter 300 Mark verdienen, haben ein Gesamteinkommen im Haushalt von 1.800 DM."

KOMMENTAR:

Ein anderes Beispiel: der Mehrfach-Rentner Otto-Erich Filius. Seine geräumige Wohnung im vornehmen Altenstift bei Hamburg kostet pro Monat 7.250 Mark. Und in der Tiefgarage steht ein eleganter Mittelklasse-Wagen.

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OTTO-ERICH FILIUS:

(Rentner)

"Ich kann es mir leisten, weil ich a) eine Betriebspension habe, b) habe ich eine BfA-Rente wie viele Leute auch. Und dann kommt dazu, dass ich privat mich versichert habe."

KOMMENTAR:

Kein Einzelfall: 30 Prozent der Seniorenhaushalte in Westdeutschland haben ein monatliches Einkommen von über 4.000 Mark.

Und noch ein Faktum: Etwa die Hälfte der über 65-jährigen besitzt eine Immobilie, Durchschnittswert fast eine halbe Million Mark. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ermittelt. Prof. Gerd Wagner ist Berater von Sozialminister Walter Riester. Sein Befund wird von vielen Sozialwissenschaftlern und Statistikern bestätigt.

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PROF. GERD WAGNER:

(Dt. Institut für Wirtschaftsforschung)

"Die jetzige Rentnergeneration in Deutschland ist diejenige, die materiell sehr gut gestellt ist. Es gab nie eine Rentnergeneration, die derart hohe Einkommen hatte, und mutmaßlich wird es auch nie wieder - jedenfalls nicht in den nächsten Jahrzehnten - Rentner geben, die ein derart hohes Einkommen haben, im Vergleich zu den Erwerbstätigen."

KOMMENTAR:

Konkret in Zahlen: Ein Bundesbürger im arbeitsfähigen Alter hat monatlich im Schnitt 3.033 Mark zur Verfügung, ein Rentner mit durchschnittlich 2.845 Mark hat nur 188 Mark weniger.

Trotzdem beanspruchen unsere Alten pauschal Vergünstigungen für Schwimmbäder, Bahn, Museen und andere Lustbarkeiten.

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PROF. GERD WAGNER:

"Auch dies beruht auf dem überholten Leitbild, dass Alter insgesamt mit Armut gleichzusetzen ist. Ich sehe aber nicht ein, warum beispielsweise ein pensionierter Professor, der eine durchaus üppige Pension hat, auch ein billiges Bus-Ticket bekommen muss. Sinnvoller wäre es, wenn man diejenigen Gruppen, die ein niedriges Einkommen haben, gezielt begünstigt. Das sind einige Rentner, aber insbesondere junge Familien, Alleinerziehende."

KOMMENTAR:

Wie zum Beispiel die 36-jährige Susanne Eiben und ihre drei kleinen Kinder. Alle vier müssen mit monatlich 700 Mark Sozialhilfe nach Abzug der Miete auskommen. Normalerweise könnte Frau Eiben ihren Kindern nicht einmal einen Kinogang ermöglichen, das geht nur heute, weil es freien Eintritt gibt.

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SUSANNE EIBEN:

"Ja, zum Teil ist es peinlich, vor allem dann auch zuzugeben, ist manchmal peinlich. Und zum Teil macht es auch verdammt wütend. Man muss um jedes bisschen kämpfen, was man den Kindern ermöglichen möchte, und das ist nicht einfach."

KOMMENTAR:

Diese vier Herrn haben den Krieg der Generationen für sich entschieden. Im Kaminzimmer des Altenstifts ein gepflegter Skat beim gepflegten Bier. Allesamt hatten sie eine ungebrochene Berufskarriere in den Jahren der Vollbeschäftigung. Da kamen erkleckliche Rentenansprüche und Sparvermögen zusammen.

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RENTNER:

"Ich habe immer gespart, habe ein Eigenheim gehabt, was ich verkauft habe. Und das Kapital dient mir jetzt, und hab‘ dafür eine Leibrente gekauft. Und hab‘ noch meine Aktien verkauft, hab‘ da auch eine Leibrente für gekauft."

"Meine Schwiegersöhne sagen auch: Wir haben es später nicht so gut wie du."

"Nur - die jungen Leute müssen wissen, dass sie heute etwas tun müssen, damit es ihnen später nicht so schlecht geht. Das müssen sie auch wissen."

KOMMENTAR:

Sie zum Beispiel: Marlies Gehrke, 45 Jahre alt. Sie weiß es, würde gern war tun, kann aber nicht. Seit drei Jahren ist die arbeitslos. Früher war sie Verkäuferin, dann Umschulungen. Sie hat alles versucht - vergeblich.

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MARLIES GEHRKE:

"Ja, so man hat, kann man was zurücklegen. So man nur das hat, was man zum Leben braucht, kann man sich auch nichts zurücklegen. Und darum ist das Ganze mit unsere Arbeitslosenzahlen, die wir haben, eigentlich völlig blödsinnig."

KOMMENTAR:

Ihr Zufluchtsort: eine Berliner Arbeitsloseninitiative, die sich mit resignativem Zynismus "Hängematten e.V." nennt. Man sieht einigen Menschen an, dass sie sich schon aufgegeben haben. Und den Glauben an eine bessere Zukunft haben sie hier alle verloren.

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ARBEITSLOSER:

"Ich glaube, so weit darf ich gar nicht denken, da wird mir schlecht bei, weil also - ich meine, ich muss irgendwann mal wieder einen Job kriegen, sonst kann ich ab 65 von der Sozialhilfe leben."

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MARLIES GEHRKE:

"Ja, es ist eine gewisse Aussichtslosigkeit im Prinzip, denn ich glaube nicht, dass ich noch mal eine vernünftige Arbeit kriegen werde. Und ich weiß heute, dass ich, wenn ich Rente kriege, ein Sozialfall bin."

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MEINHARD MIEGEL:

(Institut für Wirtschaft und Gesellschaft)

"Es gibt heute zwischen den Generationen keine Gerechtigkeit mehr. Die heute ältere Generation fährt gut in diesem System, die junge wird nicht annähernd so gut fahren."

KOMMENTAR:

Und daran rüttelt keiner. Die Alten haben sich formiert mit eigenen Organisationen und in den Parteien. Sie bilden unter den Wählern einen geschlossenen Block von 30 Prozent, und mit dem wollen sich die Politiker nicht wirklich anlegen. So müssen immer weniger Berufstätige die opulenten Renten für immer mehr Alte zahlen, und für die Jungen bleibt kaum was.

Das Ergebnis: Für ihre Einzahlungen in die Rentenversicherung bekommen die heute 70-jährigen an Rente 3,5 Prozent mehr als sie bezahlt haben. Wer heute 40 ist, kann später nur noch mit einer lächerlichen Rendite von 0,8 Prozent rechnen. Der 30-jährige bekommt eine Null-Verzinsung, hätte das Geld also auch unters Kopfkissen legen können. Für die Jüngeren geht’s sogar ins Minus.

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MEINHARD MIEGEL:

"Etwa ein Viertel der heute Erwerbstätigen wird nur noch Rentenansprüche haben, die niedriger sind als die Sozialhilfe. Wir programmieren hier für einen Teil der Bevölkerung Armut. Das ist auch bekannt, aber es wird zur Zeit noch nichts dagegen unternommen."

Abmoderation

CHRISTOPH LÜTGERT:

Dieser Film ist ja seit gestern in der ARD angekündigt worden, und schon den ganzen Tag über heute sind auf Grund dieser Ankündigungen viele wütende Anrufe von Rentnern bei uns eingegangen. Zugegeben, dieser Beitrag hat zugespitzt, vielleicht sogar polemisch, und das sollte er auch. Natürlich gibt es noch arme Rentner, die kaum das Nötigste haben. Aber auch das haben wir erwähnt und gezeigt. Die insgesamt jedoch gewaltige Vermögensverschiebung zu Gunsten der älteren Generation ist in der öffentlichen Diskussion bislang zu kurz gekommen.

 

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 16.03.2000 | 21:00 Uhr

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