Kickboard, Handy, Pokémon - Kinder im weihnachtlichen Konsumrausch
Weihnachten - gestresste Eltern, konsumorientierte Kinder, denn Apfel, Nuss und Mandelkern liegen schon lange nicht mehr unterm Christbaum.
Die Wünsche der Kinder von heute: "Ich wünsch' mir zu Weihnachten einen Reiterkurs, eine Reiterausrüstung und ein rosanes Tütü."
"Ein Kickboard und ein Computerspiel."
"Also, ich wünsche mir ein Kickboard mit drei Rädern und einem Lenkrad."
Schon längst keine frommen Wünsche mehr. Kinder wissen genau, was sie wollen, und das muss möglichst teuer und trendy sein.
Im Münchner Nobelkaufhaus Lodenfrey. Larissa unterwegs mit ihrer markenbewussten Mama. Sie braucht noch ein hübsches Kleidchen für das Fest. Nicht ganz billig. Mit Jäckchen kostet das 600 Mark. Aber was soll's, die Marke stimmt, Blumarin. Und auch im Alltag zieht Tochter Larissa nicht irgendetwas an, erklärt die Mutter:
"Ansonsten sind das eher so sehr gängige Marken, die die anderen Klassenkameraden auch tragen, so Max, More and More, Armani, so diese Sachen, die sind schon sehr angesagt."
Designerlabel in der Kinderabteilung. Von der Pampers direkt ins Polohemd von Lacoste. Auch Larissas Freundin Sophia guckt, zusammen mit der Mama, nach was Passendem. Und was passt, bestimmt der Aufdruck auf dem Etikett. Kleider machen eben auch Kinder, das hat Sophia längst gelernt:
"Chiemsee und von Hummelsheim, More and More, ich finde die Qualität gut, und es ist auch - zwar nicht so billig, aber das ist eine gute Qualität."
Jan-Moritz und Torge kommt es weniger auf Qualität als auf den Trend an. Ihre zweirädrigen Roller heißen zwar Speedboard, aber der letzte Schrei ist es immer noch nicht:
"Ja, also da ist ein Kickboard immer am besten, weil, ja, weil es teurer ist eigentlich und weil das nicht jeder hat. Einen Speedroller hat fast jeder."
Und sie wissen auch, was der Spaß kostet:
"499."
"Es gibt auch noch teurere für 500."
Mit ihren zehn Jahren wissen die beiden Trendsetter genau, was angesagt ist, Kicker und Billard des Jugendzentrums jedenfalls nicht:
"Ich glaube, jeder Junge möchte cool sein oder versucht es zumindest."
Und jeder Junge weiß auch, was man dazu braucht:
"Ein Kickboard, ein Handy, alles, was in ist, alles teure Sachen!"
Und wenn einer da nicht mithalten kann, na, dann bekommt er eben Nachhilfeunterricht in Sachen Coolness.
"Wir sagen ihm, was cool ist, und dann möchte er das natürlich auch haben."
Die Kinder von Sandra Leister möchten auch Kickboards, Markenkleidung, eben teure Sachen. Aber die bunte Warenglitzerwelt ist für die alleinerziehende Mutter nur zum Angucken da, zum Zugreifen reicht die Sozialhilfe nicht. Immer wieder muss sie nein sagen.
Der älteste Sohn Oliver leidet besonders darunter. Er hat nicht, was alle anderen haben, und ist so zum Außenseiter in seiner Klasse geworden:
"Meine Freunde ärgern mich meistens, weil wir kaum Geld haben."
Sandra Leister spürt den Druck ihrer Kinder, aber was soll sie machen? Die Reaktionen auf das ständige Nein tun ihr weh: "Sie fangen an zu weinen, sind tierisch sauer. Und dann pöbeln sie rum und sagen: Mein Freund hat das auch und die kriegen das alle, und ich möchte es gerne auch haben. Und so läuft das dann nachher. Und das finde ich dann nicht so toll. Und viele sagen: Deine Mutter kauft dir das sowieso nicht, und ihr habt ja sowieso kein Geld. So sieht das dann immer aus. Und dann versuche ich immer, dass meine Kinder doch auch ein bisschen dran teilhaben können."
40 Werbespots in einer Stunde Kinderprogramm auf RTL. Einfache Botschaften, die aber bei Kindern, egal ob reich oder arm, gut ankommen. Einen Umsatz von fünf Milliarden Mark nur mit Pokémon-Produkten erwartet Nintendo allein in diesem Jahr. Pokémon - ihr bestes Zugpferd. Geschäftsführer Axel Herr hat um die kleinen japanischen Monster ein knallhartes Marketing gestrickt:
"Das Geheimnis daran liegt zum einen in der Markteinführung, es ging ja mit der Fernsehserie los. Und diese gleichen Pokémon finden Sie auch im Videospiel wieder, in den Sammelkarten und in allem anderen. Und das ist eigentlich das Erfolgsgeheimnis hinter Pokémon. Also ein hochgradig integriertes aufeinander abgestimmtes Marketing rund um das Thema Pokémon herum."
Und dieses hochgradig integrierte Marketingkonzept zeigt Wirkung in den Klassenzimmern. Längst haben die japanischen Monster die Aufmerksamkeit im Unterricht allein auf sich gezogen. Die Lehrerin ist machtlos. Die Schüler im Pokémon-Fieber, und es lässt nicht nach.
"Zuerst mal waren wir ziemlich fassungslos im Lehrerkollegium, woher so was kommt, wie so was entstehen kann, und dann auch fassungslos, weil so viel Geld dahinter steckt auch, woher bekommen die Kinder das", berichtet eine Lehrerin.
Die Kinder sagen über ihre Eltern: "Die Eltern sind ja - die kann man so leicht überreden, die sagen dann gleich: Ja, das dürft ihr jetzt, weil man da nur meckert, dass die es auch machen."
"Da machen sie das dann sofort. Und wenn man es nicht darf, da kenn' ich einen Freund, der macht das einfach dann, der nimmt Taschengeld und macht das."
Nicole hat wohl auch kräftig genervt - mit Erfolg: In ihrem Kinderzimmer türmen sich die Spielsachen. Stundenlang können sie und ihre Freundin sich mit den kämpferischen kleinen Monstern beschäftigen, und sie kennen alle 151 Pokémon:
"Das ist Turtok."
"Da fehlt noch einer dazu, das ist Chilla, der ist auch so was wie die."
Ihre Mutter ist berufstätig und findet es wichtig, dass Kinder mit den richtigen Sachen spielen. Dazu gehört der eigene Computer und Pokémon:
"Jedes Kind hat die Pokémonkarten, wo man dann auch getauscht hat, wo sie immer noch tauschen. Das ist eigentlich eine Geschichte, wenn das Kind nicht zum Außenseiter werden sollte, dann sollte man oder muss man mitmachen."
Wolfgang Schmidbauer ist Psychologe, Buchautor und Konsumexperte. Er warnt Eltern davor, Kinder zu sehr zu verwöhnen und ihre Wünschen ständig zu bedienen:
"Ich denke, dass Kinder, die sozusagen in diese Verwöhnungsspirale besonders reingeraten, dass das häufig auch Kinder sind, die eigentlich vernachlässigt sind und die dann natürlich besonders gierig werden. Und nachdem sie sozusagen die Eltern nicht haben können, weil die Eltern viel zu sehr mit sich selbst oder mit ihrer Karriere beschäftigt sind, möchten sie von den Eltern irgendwelche Dinge haben. Dann ist eben diese Spirale auch da, dass sie eben immer mehr von den Dingen wollen und immer leichter enttäuscht und depressiv sind, wenn sie nicht genügend davon kriegen."
Aber bei den meisten dreht sich die Verwöhnungsspirale weiter. In diesem Arbeitskreis "Ohne Moos nix los" der Caritas soll mit einer gründlichen Budgetplanung der Konsumsucht von Jugendlichen vorgebeugt werden. Nicht ganz einfach, denn teure Handys sind bei ihnen mittlerweile selbstverständlich. Und ohne ist man out:
"Ich glaube, zwei oder so, drei haben aus der Klasse kein Handy, und ich gehöre dazu. Aber ich bin grad am überreden, zu Weihnachten vielleicht."
"Ich hab' meine Mutter gefragt, ob ich ein Handy darf, und sie meinte: Ja, zu Weihnachten. Da hab' ich sie gefragt, ob ich das schon vorher bekommen kann, und da hat sie mir das gekauft."
Aber irgendwann einmal wird auch die großzügigste Mama aufhören zu kaufen. Und dann fangen die Probleme an, wie Wolfgang Schmidbauer erklärt:
"Die beiden typischen Reaktionen auf das Ende der Verwöhnung ist entweder eine depressive Reaktion, Lähmung, blockiert sein, gedrückte Stimmung, Selbstmord-Phantasien oder eine aggressive Reaktion."
Valentin ist glücklich, denn sein Vater hat Zeit für ihn. Mal wieder in die Spielwarenabteilung gucken, ist Papa doch selbst fasziniert von Pokémon, Playstation und Computerspielen. Und es gibt immer etwas Neues auf dem Markt. Valentin darf sich etwas aussuchen, aber was?
"Da kann man sich so eine Playstation kaufen, die kostet dann wahrscheinlich ein paar hundert Mark. Damit kann mann dann an unserem Fernseher spielen."
Bekommt Valentin alles, was er sich wünscht?
"Geben tut's eigentlich das meiste. Also es ist gar nicht so leicht, ihm das dann klar zu machen, dass alle anderen Kinder das haben und er nicht."
Deswegen ist es einfacher, es zu kaufen.
Und es wird gekauft, dieses Mal ein Pokémonspiel für 249 Mark. Wenn das kein Liebesbeweis ist. Das tut dem Papa gut, das tut dem Kaufhaus gut, natürlich auch Nintendo.
Nur Valentin scheint immer noch zu suchen, nach etwas, was er in der Kaufhaus-Glitzerwelt wohl kaum finden wird.
Literaturtipp:
Schmidbauer, Wolfgang: Jetzt haben, später zahlen. Die seelischen Folgen der Konsumgesellschaft, Rowohlt Verlag, Reinbek 1995.