Blockieren ohne Durchblick - Verwirrte CDU-Politiker zur Steuerreform
Anmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
Eine deutsche Krankheit wurde es genannt, unser Land als Schrottgürtel Europas bezeichnet und im Ausland mitleidig belächelt. Man mokierte sich über üppige Sozialprogramme und vor allem über zu hohe Abgaben bei uns. Jetzt will die Bundesregierung die längst überfällige Steuerreform endlich durchsetzen, und sogar unsere Wirtschaftsbosse stehen diesmal Seit an Seit mit der SPD und den Grünen. Die Gewerkschaften treten ebenfalls dafür ein. Aber das neue Gesetz wird eventuell morgen verhindert, abgelehnt vom Bundesrat. Die CDU-geführten Länder wollen dagegen stimmen, weil Friedrich Merz, der neue Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag gegen die Reform zu Felde gezogen ist. Er braucht einen persönlichen Erfolg im neuen Job, und die große Oppositionspartei will endlich mal wieder ihre Stärke unter Beweis stellen. Der Finanzfachmann Merz mag ja wissen, wovon er redet - etliche seiner Parteifreunde haben offenbar keine Ahnung, welchen Skandal ihr Vorsitzender meint aufgespürt zu haben.
Volker Steinhoff und Mathis Feldhoff haben mit einigen gesprochen.
KOMMENTAR:
Dieser Mann will die rot-grüne Steuerreform stoppen: Friedrich Merz, Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag. Morgen sollen seine Ländervertreter im Bundesrat das Vorhaben niederstimmen, denn Merz hat gewaltige Mängel in der Reform erkannt. Sein wichtigster Einwand: das sogenannte "Halbeinkünfteverfahren" bedeutet einen Systemwechsel. Beim Halbeinkünfteverfahren geht es um ein Detail bei der Besteuerung von Dividenden.
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FRIEDRICH MERZ:
(CDU-Fraktionsvorsitzender)
"Ich weiß, dass da schwierig zu kommunizieren ist. Aber wenn Sie von der Sache etwas verstehen und vom Ergebnis überzeugt sind, dass es so richtig ist, dann muss man es auch mal politisch durchhalten, selbst wenn nicht sofort alle sagen: Jawohl, ich verstehe das auch, und ich weiß, worum es geht. Das ist unsere Aufgabe, das zu verstehen, worum es geht."
KOMMENTAR:
Worum es geht, warum das Halbeinkünfteverfahren so schlimm ist, das wollte PANORAMA von den CDU-Landespolitikern auch beim Sommerfest in Hannover wissen, schließlich stimmen morgen die Länder im Bundesrat ab.
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INTERVIEWER:
"Worin konkret besteht der Systemwechsel beim Halbeinkünfteverfahren?"
KARL-HUBERT TROGLAUER:
(CDU-Landesvorstand Niedersachsen)
"Da habe ich jetzt meine Probleme, also ich bin nicht der Steuerfachmann, da deutlich was zu zu sagen."
RITA PAWELSKY:
(CDU-Landtagsabgeordnete Niedersachsen)
"Ich muss sagen, ich bin keine Steuerfachfrau, ich bin überfragt. Aber das müssen Sie sich von Herrn Merz erklären lassen."
WILFRIED HASSELMANN:
(Ehrenvorsitzender CDU Niedersachsen)
"Darf ich da ganz offen sein? Ich kann es nicht übersehen, aber Merz ist der Fachmann, der kann das besser als ich."
KOMMENTAR:
Ahnungslosigkeit in der Sache, Tapferkeit vor der Kamera.
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INTERVIEWER:
"Worin besteht der Systemwechsel beim Halbeinkünfteverfahren?
MANFRED HÖLZL:
(CSU-Landtagsabgeordneter)
"Bitte, beim?"
INTERVIEWER:
"Beim Halbeinkünfteverfahren."
MANFRED HÖLZL:
"Beim Halbeinkünfteverfahren - ich bin jetzt nicht mit allen Details vertraut, aber ich nehme an, dass der Herr Merz damit diese Wahlmöglichkeit von dem Mittelständler meint."
INTERVIEWER:
"Worin besteht denn dieser Systemwechsel beim Halbeinkünfteverfahren?"
HERIBERT RECH:
(CDU-Landtagsabgeordneter Baden-Württemberg)
"Also, da sag` ich Ihnen jetzt ganz offen: Bis in die letzten Feinheiten dieser finanzpolitischen Frage bin ich jetzt auch noch nicht durchgestiegen. Aber das wird sich in den nächsten Wochen noch sehr schnell erhellen. Also, ich hab` mich mit den Einzelheiten gerade dieses Halbwertverfahrens noch nicht so auseinandergesetzt."
INTERVIEWER:
"Worin konkret besteht der Systemwechsel beim Halbeinkünfteverfahren?"
UWE SCHÜNEMANN:
(CDU-Landtagsabgeordneter Niedersachsen)
"Hier ist genau der Kritikpunkt, den ich grade schon gesagt habe, dass also hier eben die großen Einkünfte, zum Beispiel eben die Aktionen - die Aktiengesellschaften hier auf jeden Fall bevorzugt werden und die kleineren Einkommen, vor allen Dingen eben auch die kleineren Unternehmer eben nicht entlastet werden."
INTERVIEWER:
"Aber beim Halbeinkünfteverfahren geht es ja um Dividendenbesteuerung, nicht um die Spitzensteuersätze, das hat doch eigentlich mit dem Mittelstand nichts zu tun, oder?"
UWE SCHÜNEMANN:
"Eigentlich nicht, da haben Sie Recht, ja."
INTERVIEWER:
"Also vielleicht noch mal die Frage: Worin konkret besteht der Systemwechsel beim Halbeinkünfteverfahren?"
KARL-HUBERT TROGLAUER:
(CDU-Landesvorstand Niedersachsen)
"Kann ich Ihnen nicht genau sagen."
KOMMENTAR:
Merz hat noch einen wichtigen Kritikpunkt: Eichels Steuerreform schaffe eine "Gerechtigkeitslücke durch die Spitzensteuersätze". Damit kritisiert Merz, dass es für Kapitalgesellschaften einen deutlich niedrigeren Spitzensteuersatz geben soll als für Personengesellschaften.
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INTERVIEWER:
"Worin besteht die Gerechtigkeitslücke in Bezug auf den Spitzensteuersatz?"
KARL-HUBERT TROGLAUER:
(CDU-Landesvorstand Niedersachsen)
"Da weiß ich jetzt auch nicht Bescheid, tut mir leid."
MANFRED HÖLZL:
(CSU-Landtagsabgeordneter)
"Nun, die Gerechtigkeit besteht schlichtweg darin, dass bei dem linear zu betrachtenden, sich steigernden Steuersatz alle profitieren, wenn der Spitzensteuersatz abgesenkt wird."
KOMMENTAR:
Gerecht oder ungerecht - falsch ist die Antwort auf jeden Fall, genauso wie die nächste.
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INTERVIEWER:
"Worin besteht denn die Gerechtigkeitslücke bei den Spitzensteuersätzen?"
WILFRIED HASSELMANN:
(Ehrenvorsitzender CDU Niedersachsen)
"Die liegt darin, dass ja die Spitzensteuersätze geschaffen worden sind und das Geld der Staat bekommt. Aber sie selbst würden viel mehr investieren, viel mehr Geld einsetzen, wenn sie diese Steuerlast nicht zu tragen hätten."
KOMMENTAR:
Auskunftsfreudig sind die Politiker auch zum Gegenkonzept der CDU: " Beim Bundeslastenausgleich sollten kommunale Vergnügungssteuern angerechnet werden". Was sie nicht wissen: Dieser Vorschlag stammt gar nicht von Friedrich Merz, PANORAMA hat ihn frei erfunden. Dennoch - man kann ja mal fragen.
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INTERVIEWER:
"In dem Konzept der CDU im Rahmen der Steuerreform wird auch gefordert, beim Bundeslastenausgleich auch die kommunalen Vergnügungssteuern anzurechnen, warum?"
HARTWIG FISCHER:
(CDU-Generalsekretär Niedersachsen)
"Die Vergnügungssteuern anzurechnen - weil sie im Gesamtsteueraufkommen natürlich auch einen Teilbereich bedeuten. Wenn wir einen neuen Bundesfinanzausgleich machen, werden alle Steueraufkommen mit Berücksichtigung finden müssen, um eine gerechte Steuer für alle Ebenen zu haben."
KOMMENTAR:
Interessante Erkenntnisse zu einem CDU-Vorschlag, den es gar nicht gibt. Der Mann ist nicht allein.
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INTERVIEWER:
"Die CDU fordert im Rahmen der Steuerreform beim Bundeslastenausgleich, auch die kommunalen Vergnügungssteuern anzurechnen, warum?"
WILFRIED HASSELMANN:
(Ehrenvorsitzender CDU Niedersachsen)
"Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich weiß es nicht, aber ich glaube, dass das bei der SPD genauso gesehen wird wie bei den Kommunalpolitikern."
ARNOLD TÖLG:
(CDU-Landtagsabgeordneter Baden-Württemberg)
"Würden Sie die Frage noch mal wiederholen."
INTERVIEWER:
"Die CDU-CSU fordert im Rahmen der Steuerreform beim Bundesausgleich, auch die kommunale Vergnügungssteuer anzurechnen, warum?"
ARNOLD TÖLG:
"Ja, ich nehme an, die kommunale Vergnügungssteuer, dass dies natürlich wieder in den Länderfinanzausgleich höhere Beträge hineinbringt, und deswegen möchte man diesen kommunalen Bereich ebenfalls mit einbinden, wobei ja viele Gemeinden ja überhaupt keine Vergnügungssteuer erheben, muss ich dazu sagen."
KOMMENTAR:
Den von PANORAMA frei erfundenen Gagavorschlag hält sogar ein amtierender Ministerpräsident für einen alten CDU-Wunsch.
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ERWIN TEUFEL:
(Ministerpräsident Baden-Württemberg)
"Also, das ist sicher nicht unser erstes Ziel. Wir haben zehn, fünfzehn Wünsche, aber wir stimmen zu, wenn zwei erfüllt sind."
KOMMENTAR:
Wortgewaltige Ahnungslosigkeit. Und morgen wird blockiert. Und sie alle behaupten, zu wissen, warum sie es tun.
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FRIEDRICH MERZ:
(CDU-Fraktionsvorsitzender)
"Ich bin mir eigentlich in keiner politischen Frage in der Beurteilung des Sachverhaltes und in der Beurteilung des Ergebnisses so sicher gewesen wie bei dieser. Und wenn man sich sicher ist, dass man in einer bestimmten Frage richtig liegt, dann muss man es durchhalten und durchstehen."
Abmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
Entweder keine Ahnung oder Schaumschlägerei - Floskeln, um Unwissenheit zu verbergen. Wir haben noch mehr CDU-Politiker interviewt. Keiner von ihnen konnte genau sagen, worum es Friedrich Merz eigentlich geht. Nur die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und der Vorsitzende der niedersächsischen CDU, Christian Wulff, sie wussten Bescheid.
